Rammstein Frontsänger Till Lindemann performt den Song «Deutschland» auf der Bühne am 18.06.2022.
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Rammstein-Frontsänger Till Lindemann performt den Song "Deutschland" auf der Bühne, 2022.

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Vor München-Konzerten: Gewalt-Vorwürfe gegen Rammstein

Gleich viermal spielen Rammstein nächste Woche im Münchner Olympiastadion. Gleichzeitig kursieren Anschuldigungen gegen die Band. Eine Frau behauptet, im Umfeld eines Rammstein-Konzertes in Vilnius betäubt und verletzt worden zu sein.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Seit etwa einer Woche kursieren die Vorwürfe im Netz: Sie sei im Umfeld eines Rammstein-Konzertes im litauischen Vilnius am 22. Mai betäubt und verletzt worden, berichtet die Irin Shelby Lynn auf Instagram und Twitter. Mit anderen jungen Frauen sei sie in eine gesonderte Zone – die sogenannte "Row 0" – direkt vor der Bühne eingeladen worden und habe Zugang zu den Partys vor und nach dem Konzert gehabt.

Lynn: Mit Erinnerungslücken und Blutergüssen aufgewacht

Ein Mitarbeiter der Band habe Fotos der Frauen gemacht und sie selbst während einer Konzertpause in einen Raum unter der Bühne geführt – wo Leadsänger Till Lindemann auf sie wartete, in der Annahme, sie werde Sex mit ihm haben. Nachdem sie sich geweigert habe, habe der Sänger wütend reagiert. Angefasst habe er sie jedoch nicht – das stellte Lynn am Dienstag nochmal klar.

Weiter berichtet die junge Frau, auf den Partys sei ihr und den anderen jungen Frauen Alkohol gereicht worden. Sie selbst ist überzeugt davon, dabei unter Drogen gesetzt worden zu sein. Am Morgen danach sei sie mit massiven Erinnerungslücken aufgewacht, so Lynn. Außerdem postete sie Fotos von Blutergüssen auf ihrem Körper. Noch Tage später habe sie unter Schüttelfrost, Übelkeit und Herzrasen gelitten. Sie habe deswegen bereits Anzeige erstattet. Auf Anfrage der "Bild" teilte die litauische Polizei mit, man prüfe derzeit noch die Umstände der Anschuldigung. Ob strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet würden, werde erst nächste Woche entschieden.

Rammstein dementiert Vorwürfe

Die Band reagierte noch am Sonntagabend auf Twitter: "Zu den im Netz kursierenden Vorwürfen zu Vilnius können wir ausschließen, dass sich was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat. Uns sind keine behördlichen Ermittlungen dazu bekannt", heißt es in dem Statement. Lynn teilte außerdem ein Foto mit der Abmahnung einer Anwaltskanzlei, die mutmaßlich von Rammstein beauftragt wurde. "Ich kenne die Wahrheit", kommentierte sie dazu. Sie werde nicht schweigen. Außerdem, so Lynn, hätten sich mehrere andere Frauen bei ihr gemeldet, die ähnliche Erfahrungen mit Rammstein gemacht hätten. Auch diese Berichte teilte sie – anonymisiert – auf Instagram.

Unterstützung erhält Lynn auch von einer deutschen Influencerin, der YouTuberin Kayla Shyx. "Viele der Vorwürfe zu Till Lindemann und den After-Afterpartys kann und werde ich bestätigen", so Shyx auf Instagram. "Diese Scheiße muss aufhören. Es sind hunderte Mädchen betroffen." Sie arbeite an einem Video zum Thema, das noch Ende dieser Woche online gehen werde, kündigte Shyx an.

Erinnerung an Lindemann-Lyrik

Insgesamt fallen die Reaktionen auf Lynns Anschuldigungen im Netz sehr unterschiedlich aus. Sophia Thomalla, Ex-Freundin von Till Lindemann, verteidigte ihn in der "Bild"-Zeitung und zog die Glaubwürdigkeit von Lynn in Zweifel. Die Journalistin Isabella Caldart schätzt die Vorwürfe in einem Kommentar für die "taz" indes als plausibel ein. Zum einen kursierten derartige Geschichten seit Jahren. Zum anderen verweist sie auf das lyrische Schaffen von Till Lindemann – konkret auf seinen Gedichtband "100 Gedichte", der 2020 bei Kiepenheuer und Witsch erschienen ist, und bei Veröffentlichung kontrovers diskutiert wurde. Lindemann schildert darin unter anderem Vergewaltigungsfantasien.

Verteidigt wurde der Rammstein-Sänger damals beispielsweise von der Lyrikerin Nora Gomringer und dem KiWi-Verleger Helge Malchow – mit dem Hinweis, man müsse zwischen Lindemann und dem lyrischen Ich seiner Gedichte trennen. Wer beides vermische, betreibe eine "Diffamierung des Autors", so Malchow.

Im Audio: Juliane Löffler recherchiert zu den Vorwürfen gegen Rammstein

Juliane Löffler bei einem Auftritt auf der re:publica 2022
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Juliane Löffler recherchiert zu den Anschuldigungen gegen Rammstein und Till Lindemann. Hier können Sie das Interview mit ihr hören.

Recherchen zu den Vorwürfen gegen Rammstein laufen

Juliane Löffler, Investigativ-Reporterin beim "Spiegel" und maßgeblich beteiligt an den MeToo-Enthüllungen über Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt, mahnt im Gespräch mit dem BR zur Zurückhaltung. Sie könne das öffentliche Interesse in der Causa Rammstein nachvollziehen, es sei jedoch noch zu früh, über die Glaubwürdigkeit der Anschuldigungen zu urteilen. Es sei zunächst einmal die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, genau das zu überprüfen.

Hinreichenden Grund für solche Recherchen sieht sie aber auf jeden Fall gegeben. "Was man schon sagen kann: dass sich die Vorwürfe sehr ähneln – und dass man es hier tatsächlich mit einer relativ großen Menge zu tun hat. Es sind sehr viele Personen, vor allem Frauen, die sich in den Sozialen Medien derzeit äußern. Das halten wir für so relevant, dass wir uns entschieden haben, dazu zu recherchieren", so Löffler.

Noch am Wochenende forderte sie mutmaßlich Betroffene via Twitter auf, sich bei ihr zu melden. Zum Stand ihrer Nachforschungen könne sie sich allerdings nicht äußern, betont sie gegenüber dem BR. Solche Recherchen könnten Monate dauern.

Auf die BR-Anfrage nach einer Stellungnahme zu den Vorwürfen bei den Konzerten von Rammstein haben bisher weder das Management der Band, noch der Veranstalter der Konzerte der aktuellen Tour reagiert.

Update vom 2. Juni: Recherchen von NDR und SZ erhärten Vorwürfe gegen Lindemann

Nach Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung bestätigen mehrere Frauen, dass es im Umfeld von Rammstein-Konzerten ein "System der Anbahnung" gebe, in dessen Rahmen junge Frauen für Aftershowpartys rekrutiert würden. "Wir haben in den vergangenen Tagen mit mehr als einem Dutzend Frauen gesprochen", so Daniel Drepper, Leiter des Rechercheverbundes, gegenüber dem BR. "Alle sprechen von einem System, das dafür sorgt, dass Till Lindemann von einem professionell organisierten Team Frauen zugeführt werden, die zu für Lindemann organisierten Aftershowpartys kommen und dann dort mit ihm Sex haben sollen."

Darüber hinaus berichten zwei Frauen davon, von Lindemann zu sexuellen Handlungen genötigt worden zu seien, denen sie nicht zugestimmt hätten. "Eine Frau berichtet davon, dass sie besinnungslos auf einem Hotelbett gelegen habe. Laut ihrer Erinnerung habe Lindemann auf ihr gelegen als sie wieder zu sich gekommen sei und habe sie gefragt, ob er aufhören solle – und dann sei sie wieder weggewesen", so Drepper. Was auffällig ist: Diese Vorwürfe decken sich mit den "Erlebnissen" des lyrischen Ichs in Lindemanns Gedicht "Wenn du schläfst" aus dem Band "100 Gedichte". Zum ausführlichen Artikel geht es hier.

KiWi trennt sich von Lindemann

Auf Anfrage des BR teilte der Verlag Kiepenheuer & Witsch am Freitagnachmittag mit, dass man die Zusammenarbeit mit Lindemann mit sofortiger Wirkung beende. "Mit Erschütterung haben wir in den letzten Tagen öffentlich gewordene Vorwürfe gegen Till Lindemann verfolgt. Unser Mitgefühl und unser Respekt gilt den betroffenen Frauen", so Verlegerin Kerstin Gleba in der Stellungnahme. In ihrer Begründung bezieht sie sich ausdrücklich auf ein "Porno-Video, in dem Till Lindemann sexuelle Gewalt gegen Frauen zelebriert und in dem das 2013 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienene Buch "In stillen Nächten" eine Rolle spielt." Der dadurch entstandene Vertrauensbruch mache eine weitere Zusammenarbeit mit Lindemann unmöglich. Auf die oben genannten Vorwürfe sexueller Gewalt geht der Verlag in der Mitteilung jedoch nicht näher ein.

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