Hinter Gitterstäben, mit Polizisten im Hintergrund ist die Theatermacherin zu sehen. Hoodie, dicke Jacke, schwarze Hose. Blick nach oben gerichtet.
Bildrechte: picture alliance/dpa/TASS | Mikhail Metzel

Aufgenommen am 5. Mai: Ewgenija Berkowitsch.

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Mundtot machen: Russlands jüngster Theaterskandal

Die Regisseurin Ewgenija Berkowitsch und die Dramaturgin Swetlana Petrijtschuk sind seit dem 4. Mai in Haft. Der offizielle Vorwurf: "Rechtfertigung des Terrorismus". Dabei könnte ihr Feminismus, ihr soziales Engagement der eigentliche Grund sein.

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Es gehe ihr gar nicht so schlecht, lässt Ewgenija Berkowitsch in einem Brief aus der Untersuchungshaft wissen. Wie es im Gefängnis so laufe, wolle sie aber nicht berichten. "Das weißt Du selbst", schreibt sie ihrer Mutter.

Seit nunmehr zehn Tagen sitzen die Regisseurin Ewgenija Berkowitsch und die Dramaturgin Swetlana Petrijtschuk in russischer Untersuchungshaft. Ihnen drohen bis zu sieben Jahre Haft. Der Vorwurf: Ihr Theaterstück "Finist, der klare Falke" sei eine "Rechtfertigung des Terrorismus".

"Mit diesem Strafverfahren haben die Repressionen gegen das Theater ein neues Niveau erreicht", ordnet Marina Davydova den Fall ein. Davydova ist Theaterkritikerin und designierte Schauspielchefin der Salzburger Festspiele.

Im März 2022 musste sie aus Russland fliehen, wegen eines Antikriegsaufrufs in den Sozialen Medien wurde sie massiv bedroht. Der Staat bot ihr keinen Schutz, sondern setzte noch ein Zivilverfahren oben drauf.

Systematische Zerstörung des Theaters

Mit Blick auf den aktuellen Skandal sagt sie: "Jetzt muss man wegen eines Theaterstücks, das vor dem Krieg produziert wurde, das den Terrorismus keineswegs rechtfertigt, sondern ihn im Gegenteil klar verurteilt, mit einem Strafverfahren rechnen."

Hätte man ihr vor einem Monat gesagt, dass so etwas möglich ist, hätte sie widersprochen, gibt Marina Davydova zu. Und das, obwohl sie immer gewusst habe, was für Repressionen im Gange seien: "Das Theater wird nicht zufällig zerstört, sondern systematisch."

Erst preiswürdig, dann verdammt

Bemerkenswert ist an dem Fall, dass das Stück "Finist der klare Falke" mit Unterstützung des russischen Kulturministeriums produziert worden ist und im vergangenen Jahr mit dem höchsten russischen Theaterpreis "Solotaja maska" ausgezeichnet wurde.

"Finist, der klare Falke" handelt von Sinnsuche, Fanatismus, Liebe und Verblendung. Erzählt werden auf der Grundlage von Zeuginnenaussagen die Schicksale von Frauen, die sich den Kämpfern des IS angeschlossen hatten.

Lachhaftes Gutachten

Die im Rahmen der Anklage staatlichen bestellten Gutachter sind eine eigene Posse wert: Die Staatsanwaltschaft stützt sich allein auf ein Gutachten, das aus dem sogenannten "Labor der Destruktologie" stammt.

Angesiedelt ist es an der Moskauer Linguistischen Universität, zum Anschein von Wissenschaftlichkeit.

Erstellt wurde das Gutachten von dem "Destruktologen Roman Silantjew" – ein Religionswissenschaftler, der die Destruktologie begründet hat, der Linguistin und Destruktivistin Galina Chizriewa und der Destruktivistin, klinischen Psychologin und Soziologin Jelena Samyschewskij.

Im Netz gab es erwartungsgemäß viel Häme für dieses sagenhafte Destruktionstrio. Die Spur der Struktur führt denn auch tatsächlich in eine ganz andere Richtung.

Feminismus vs. Terrorismus

"Auf der einen Seite geht es hier um Repressionen gegen das Theater als Ganzem. Parallel dazu versuchen die Machthabenden Feministinnen als Terroristinnen zu brandmarken." Das ist die Meinung von Marina Davydova: "Die Meinungsmache in den regierungsnahen Medien und Telegram-Kanälen läuft in die Richtung, dass Feminismus fast das gleiche ist wie Terrorismus."

Dazu passe, dass sie jetzt zwei Frauen verhaftet haben und ihnen "Rechtfertigung des Terrorismus" vorwerfen. Ein Zufall sei all das nicht.

Bereinigung der russischen Kultur

In dieser Woche wurde denn auch die Künstlerin Ekaterina Nenashewa verhaftet, auch sie eine öffentlich bekannte Feministin. Es ist ihre inzwischen 15. Verhaftung. Weibliche Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit werden in Russland inzwischen als immense Bedrohung wahrgenommen.

Unter anderem Reinheitsfantasien befeuern denn auch diese aberwitzigen Verhaftungen, es geht um eine 'Bereinigung' der russischen Kultur von emanzipativen, vom Westen inspirierten Ideen und Bewegungen.

Vorbild für die kulturelle Identität und Reinigung von „westlichen Scheußlichkeiten“ sind der Iran und islamistische Bewegungen, die bekanntlich auch alles Fremde beseitigen, damit das wahre Eigene vermeintlich heller erstrahlen kann.

Da schließt sich dann der Teufelskreis zu der Inhaftierung von Ewgenija Berkowitsch und Swetlana Petrijtschuk.

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