Weiblich gelesene Person mit blonder Mähne und in rotem Rüschenkleid im Schwimmnudel-Spiel mit einem Kind
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Drag Queen Freya Van Kant bei einer Lesung "Drag Storytime 4 Kids" am 16. April 2023 in Wien

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Streit um Drag-Lesung: Die "Library Wars" kommen nach Bayern

Der Streit um die angekündigte Kinderbuch-Lesung von Dragqueens in der Münchner Stadtteilbibliothek Bogenhausen schlägt Wellen. Jetzt kommen die "library wars" nach Europa, die in den Vereinigten Staaten schon länger toben.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Jeder kennt das Lied, das Pippi Langstrumpf in den 70er-Jahre-Fernseh-Verfilmungen der Astrid-Lindgren-Bücher singt: "Zwei mal drei macht vier, / widewidewitt und drei macht neune, / ich mach mir die Welt, / widewide wie sie mir gefällt." Auf dieses beliebte Lied "Hey, Pippi Langstrumpf" spielt der Titel jener für 13. Juni angekündigten Veranstaltung in der Münchner Stadtteilbibliothek Bogenhausen an, die derzeit vorabskandalisiert wird: "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt" heißt die "Drag-Lesung" mit der Drag Queen Vicky Voyage, Drag King Eric BigClit sowie der trans* Jungautorin Julana Victoria Gleisenberg.

Letztere ist die 2009 geborene Verfasserin der 2021 veröffentlichten Broschüre "Julana – Endlich ich! Mein Weg vom Jungen zum Mädchen" – ein Selbsterfahrungsbericht über das Thema Geschlechtsdysphorie. Julana kam als Junge zur Welt, fühlte sich aber nie als solcher. Seit 2021 ist sie offiziell vom Staat anerkannt ein Mädchen. Laut Münchner Abendzeitung lebt sie "in einer kleinen Stadt im Allgäu am Rande von Bayern".

Kein Travestie-Programm für Erwachsene

Die Stadtteilbibliothek Bogenhausen ist aufgrund der Ankündigung dieser Lesung ins bundesweite Rampenlicht geraten. Aufgrund der irrigen Mutmaßungen darüber, was in der Bibliothek geplant sei, sah sie sich zu einer Stellungnahme veranlasst: "Unser breit aufgestelltes Programm richtet sich an eine vielfältige Stadtgesellschaft. Daher haben wir auch Lesungen zum Thema Diversität im Programm. In diesem Fall handelt es sich um ein Angebot für Familien mit Kindern ab 4 Jahren. Es werden altersgerechte Bilderbücher vorgelesen. Im Vordergrund stehen Themen wie Rollenwechsel und Verkleidung, die Kinder in diesem Alter sehr beschäftigen. Es liegt im Ermessen der Eltern, diese Veranstaltung mit ihren Kindern zu besuchen. Wir bedauern, dass die Künstler*innen-Namen der Beteiligten und die Berichterstattung in der BILD den Anschein erwecken, als würde ein Travestieprogramm für Erwachsene dargeboten. Dies war nie geplant."

Eric BigClit äußert sich gegenüber dem BR bestürzt über die "schlimmen Unterstellungen" und den "Hass", der ihr entgegenschlägt: "Ich selber bin eine genderfluide Person, d.h. ich fühle mich zwischen den Geschlechtern zuhause. Das ist eigentlich was Wunderschönes und überhaupt nichts, was ich irgendwem aufdrücken möchte, weil ich das eigentlich sogar umgekehrt kenne, dass man mir irgendwas anerziehen wollte, was ich in meinem Herz, in meiner Seele nicht bin – es liegt mir mehr als fern, so etwas mit anderen Menschen zu machen, weil ich es schwer übergriffig, grausam und zerstörerisch finde. Es geht v.a. bei Kinderbuchlesungen darum, Märchen vorzutragen in total süßen, vielleicht auch Disneyoutfits. Ich verbinde da was sehr Positives aus meiner Kindheit damit. Diese schöne Zeit möchte ich weitergeben. Ich bin zum Beispiel auch ein großer Fan vom 'Kleinen Prinzen' und um das geht’s. Menschen verkleiden sich generell gern und haben Freude und Spaß dran." Um die Vorurteile und Vorbehalte abzubauen, brauche es noch "viel Aufklärung und Hilfe".

In Wien Demos und Gegendemos bei Drag-Lesung

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Drag-Lesung wie die für München angekündigte für Wirbel sorgt und moralische Panik geschürt wird. Am 16. April erst hatten sich in Wien bei einer Kinderbuchlesung der Drag Queen Freya Van Kant in der "Villa Vida" Demonstrationen für und gegen die Lesung formiert.

Unter den Gegnern: Vertreter der FPÖ sowie der Identitären Bewegung um den rechtsextremen Aktivisten Martin Sellner. Wie nun in München forderten Politiker damals, die Lesung abzusagen, weil hier "eine inakzeptable Frühsexualisierung von Kleinkindern" stattfinde (so der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp).

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Martin Sellner auf einer Demo gegen eine Drag Queen-Lesung vor der Villa Vida in Wien, 16. April 2023

CSU-Generalsekretär Martin Huber schrieb mit Blick auf die Münchner Lesungsankündigung am 3. Mai auf Twitter: "Lasst Kinder einfach Kinder sein… Vierjährige sollten mit Bauklötzen oder Knete spielen und nicht mit woker Frühsexualisierung indoktriniert werden." Die Wiener Lesung "Drag Storytime 4 Kids" in einem Szenelokal musste Mitte April unter dem Schutz eines großen Polizeiaufgebots stattfinden. Österreichs Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) warb seinerzeit auf Twitter "Für ein Klima der Vielfalt" – samt Bild mit einer Drag Queen. Und die ESC-Gewinnerin Conchita Wurst gab ein Solidaritätskonzert.

"Library Wars" in den Vereinigten Staaten

Für diese spezielle Form des Kulturkampfes hat das amerikanische Magazin "The New Yorker" kürzlich erst den Terminus "library wars" – Büchereien-Kriege – gefunden. In den Vereinigten Staaten tobt der Kampf um Bibliotheken und deren Bücherbestände sowie um die Frage, wer in ihnen auftreten darf, schon einige Jahre – und Drag-Lesungen werden immer wieder von Protesten begleitet. Im vergangenen Dezember versuchten konservative Aktivisten, die Kinderbuch-Lesung einer Drag Queen in einer Zweigstelle der New York Public Library zu verhindern – erfolglos. Die von Gewaltandrohungen gegen die auftretende Person begleitete Veranstaltung fand im Rahmen der 2015 gestarteten Reihe "Drag Story Hour" statt.

Der New Yorker Stadtratsabgeordnete Erik Bottcher von den Demokraten, der die Drag-Lesung besucht hatte, sagte im Anschluss, die Vorstellung, Kinder würden in irgendeiner Form "Opfer" bei einer Drag-Lesung, sei eine "verrückte rechte Verschwörungstheorie". Den Protestierenden ginge es seiner Meinung nach einzig darum, die LGBTQI+-Community "einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen". Vor wenigen Tagen erst hat es in Lake Luzerne im US-Bundesstaat New York lautstarke Proteste gegen eine angekündigte Drag-Lesung für Kinder gegeben, die so massiv waren, dass diese verschoben werden musste.

Ausstellungsbesuch von Drag Queen in Bayern geplant

Nicht allein in städtischen Bibliotheken wie z.B. den Bücherhallen Hamburg treten Drag Queens hierzulande auf: An Christi Himmelfahrt wird heuer im Museum Oberschönenfeld in Gessertshausen die Drag Queen Gia LaRue (bürgerlicher Name Moritz Hering) im Rahmen der Sonderausstellung "Über Grenzen – Menschen in Schwaben und ihre Geschichten" über ihre Erfahrungen im Umgang mit Geschlechtergrenzen berichten.

Gegenüber dem BR sagt die in Augsburg aufgewachsene und heute in Mammendorf lebende Gia LaRue über die für kommende Woche geplante Veranstaltung, dass er sich vor dieser nicht fürchte: "Tatsächlich habe ich mir in der Hinsicht gar keine Gedanken gemacht bisher. Wir waren erst kürzlich zur Midisage da und haben aus Anlass der Halbzeit dieser Ausstellung eine Podiumsdiskussion geführt. Da habe ich alle Leute als sehr offen erlebt. In der Gesprächsrunde war auch eine der Schwestern des ansässigen Klosters mit dabei, die uns sehr offen begegnet ist. Deshalb mache ich mir nicht groß Sorgen darüber, dass das im Museum jetzt auch so eine Welle lostreten wird."

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