Der russische Präsident am Konferenztisch mit Mikrofonen
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Putin beim Treffen mit Militärbloggern

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"Keine Lust auf Eskalation": Putin entsetzt russische Blogger

Der russische Präsident ließ es nicht nehmen, Kriegskorrespondenten in den Kreml einzuladen. Was er zu sagen hatte, sorgte bei den Propagandisten für Wut, Spott und Irritation: "Insgesamt hat die Klarheit nicht zugenommen." Will Putin einlenken?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Im Sekundentakt berichteten russische Medien über das Treffen von Putin mit Militärbloggern und Kriegskorrespondenten, aber sehr viel klüger als zuvor war danach kaum jemand. Allerdings stellte der russische Präsident seine treuesten Fans vor Rätsel. Ein gewiefter Propagandist wie der kremlnahe Politologe Sergej Markow musste großen argumentativen Aufwand betreiben, um das Event einigermaßen positiv würdigen zu können: "Insgesamt hat die Klarheit nicht zugenommen. Und das zu Recht, würde ich anfügen. Denn je weniger der Feind von unseren Plänen weiß, desto besser. Und unser Volk sollte nicht so sehr über die Pläne der Regierung Bescheid wissen, sondern sie vielmehr koordiniert und energisch umsetzen." Mit anderen Worten, Markow empfahl den Russen, Putin "blind" zu vertrauen. Der Westen allerdings werde dessen jüngste Stellungnahme als "Bitte um Frieden" missverstehen.

"Für Ökotourismus nicht schlecht"

Blogger Igor Strelkow schimpfte, Putin habe seinen "zart aufkeimenden Optimismus" sofort zerstreut, der ganze Auftritt sei eine einzige "Schande". Der Kreml halte sich offenbar an die Devise: "Wenn es die geringste Gelegenheit gibt, nichts zu tun, werden wir sie auf jeden Fall nutzen." Der einzige konkrete Vorschlag, den Putin gemacht habe, sei gewesen, die Denkmäler, die die Ukraine nicht mehr haben wolle, in einem eigens zu schaffenden Park in Russland auszustellen, etwa Standbilder von Katharina der Großen. Dazu Strelkow: "Grundsätzlich ist die Idee im Rahmen der Entwicklung des Ökotourismus nicht schlecht. Schauen Sie sich die Hunderte von Lenin-Statuen an, die in einem solchen Park aufgereiht werden könnten - sogar Ausländer könnten sie besuchen."

Sogar einer von Putins Gästen, der Blogger Alexander Kots, hatte nach eigenen Worten im Nachhinein das Gefühl, dass der Präsident eine "Gelegenheit nicht genutzt", sondern sich alles offengehalten habe. Kots wollte wissen, wie Moskau die Sicherheit der russischen Grenzbevölkerung garantieren wolle: "Ich verstehe vollkommen, dass es keine einfache Antwort auf meine Frage geben kann, die jeden zufrieden stellt. Der Präsident machte deutlich, dass das leider jetzt der Fall ist." Putin sei ihm "anders vorgekommen" als bei früheren Treffen, bemerkte Kots vieldeutig: Womöglich habe die TV-Liveübertragung seine "Offenheit beeinträchtigt".

Putin: "Sonderregime und Kriegsrecht nicht nötig"

Putin hatte auch auf fast alle anderen Fragen der Blogger ausweichend geantwortet und wollte offenbar nichts zu einer möglichen weiteren Mobilisierung sagen. Das hänge von den Zielen ab, so der Präsident, wobei er völlig offen ließ, welche Gebiete er noch erobern bzw. verteidigen will. Rein rhetorisch fragte er die Anwesenden, ob russische Soldaten noch mal nach Kiew marschieren sollten - um dann melancholisch zu ergänzen, dass müsse er wohl mit sich selbst ausmachen. Russland wolle mit seinen Nachbarn nach dem Ende der Sowjetunion "beste Beziehungen" pflegen: "Wir haben uns damit abgefunden, dass das, was passiert ist, passiert ist, und wir müssen damit leben."

Zu den Kriegszielen bemerkte er: "Sie ändern sich entsprechend der aktuellen Situation, aber im Allgemeinen werden wir natürlich nichts ändern, und sie sind für uns von grundlegender Natur." Dabei sprach Putin nur noch von einer "Entmilitarisierung" und ging nicht mehr auf den früher geforderten Regimewechsel in Kiew ein. Auf Vorhaltungen, die Grenzen Russlands seien nicht mehr sicher, wich Putin aus, sie müssten "gestärkt" werden und auch an einer besseren Abwehr von Drohnen werde "gearbeitet". Er schimpfte auf "Parkett-Generäle" die nichts taugten und regte "sehr vorsichtig" einen "Sicherheitskorridor" auf ukrainischem Staatsgebiet an. Die Krim aufzugeben, komme aus russischer Sicht einem "Verrat" gleich: "Wir konnten es einfach nicht."

"Das ist kein Witz, keine Ironie"

Zu einem landesweit verhängten Kriegsrecht, dass viele nationalistische Blogger fordern, meinte Putin: "Ich glaube nicht, dass wir das jetzt ausrufen müssen. Wir müssen lediglich die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und Sonderdienste verbessern und erweitern. Aber im Allgemeinen macht es keinen Sinn, im ganzen Land eine Art Sonderregime und Kriegsrecht einzuführen, eine solche Notwendigkeit besteht heute nicht mehr."

Aufschlussreich waren Unterschiede zwischen dem gesprochenen Wort und der vom Kreml verbreiteten schriftlichen Fassung von Putins Ausführungen. So behauptete er, Russland sei anders als die Ukraine ein "Rechtsstaat", wobei er offenbar ahnte, dass nicht alle seine Zuhörer diese Einschätzung teilten: "Das ist kein Witz, keine Ironie. Wir können keine terroristischen Methoden anwenden – wir haben ein Land und sie haben ein Regime." Der "Witz" fehlte dann in der offiziellen Version. Dort hieß es, Putin habe auf "etwas hinweisen" wollen.

Das Treffen zeigte jedenfalls, wie sich die russische Medienlandschaft während des Kriegs verändert hat: Die Telegram-Blogger haben erheblich an Einfluss gewonnen, werden ihnen doch deutlich mehr Freiräume zugestanden. Außerdem gelten sie als Ventil für den weit verbreiteten Unmut bei den Frontsoldaten. Die staatlich gelenkte und zensierte Presse dagegen hat an Bedeutung eingebüßt, obwohl es Blätter gibt, die sich tapfer wehren und unverdrossen unliebsame Leser-Kommentare veröffentlichen.

"Putin fürchtet Zusammenbruch"

Der Blogger Wadim Schumilin kommentierte Putins Einlassungen mit den Worten: "Die Kernaussage des heutigen Treffens: Putin hat keine Lust auf Eskalation, er befürchtet einen endgültigen Zusammenbruch in den Ausnahmezustand, er will Kiew nicht erobern und sagt offen, dass er mit der aktuellen 'Kontaktlinie' zufrieden sei. Insgesamt kann das trotz der üblichen Beschwerden über heimtückische Partner als Signal der Verhandlungsbereitschaft und zumindest des Einfrierens des Konflikts (in den Worten der radikalen Z-Propagandisten: einem Deal) gesehen werden."

Ein weiterer Blogger sprach im Zusammenhang mit dem Kreml-Treffen von "einer Sitzung der Massenhypnose", bei der sich alle einredeten, dass die "Hauptprozesse in die beabsichtigte Richtung" liefen und es keine Probleme gebe: "Es gibt dazu zwei Fragen: Wie lange wird der Hirte an die Macht seiner Worte glauben? Wie lange wird die Herde mit Worten und nicht mit Taten zufrieden sein?"

Blogger Dmitri Steschin zog seine eigene Berufsgruppe durch den Kakao: Manche Gäste an Putins Tisch hätten sich nämlich dermaßen über die Basecap des anwesenden Telegram-Stars Semjon "Wargonzo" Pegow aufgeregt, dass die "Monokel und Lorgnetten anliefen". Das seien wohl "hündisch ergebene Aristokraten" gewesen, die sich mit "Nudelsuppen besser auskennen als mit Austern". Ein Mann wie Pegow könne notfalls mit einem Samowar auf dem Kopf herumstolzieren, so "verdienstvoll", wie er berichte: "Das Protokoll hatte auch keine Einwände, denkt mal drüber nach."

"Alles hängt von Offensive ab"

Ein englischsprachiger Blog, der in Anspruch nimmt, erstklassige Informationen aus dem Kreml zu haben, schrieb mit Hinweis auf eine eigene Quelle, Putin wolle die Krim zwar unbedingt behalten, sei aber durchaus bereit, die übrigen besetzten Gebiete bei Verhandlungen aufzugeben. Einer der russischen Beobachter schrieb: "Ob die Kreml-Führung tatsächlich ein Szenario mit einer neuen Eskalationsrunde und dem Risiko einer innenpolitischen Überforderung zulässt oder ob die Rhetorik darauf abzielt, den Einsatz zu senken und entsprechende Entscheidungen der gegnerischen internationalen Koalition zu erreichen, wird sich aus den Ergebnissen der gegnerischen Offensive herleiten, die nach der Logik des obersten Führers mit den verfügbaren Ressourcen abgewehrt werden soll."

Wladimir Schapowalow, stellvertretender Direktor des Instituts für Geschichte und Politik der Moskauer Staatlichen Pädagogischen Universität urteilte deutlich milder über Putin: "Wir sehen, wie versucht wird, Chaos und Panik zu säen, die russische Gesellschaft zu desorganisieren und bestimmte Ängste zu schüren. In dieser Situation sind ein direktes, ehrliches Wort und objektive Informationen aus erster Hand von großer Bedeutung."

"Ein ganz eigenartiges Zeichen"

Politologe Marat Baschirow versuchte ebenfalls eine Ehrenrettung für den Präsidenten: "Putin ist sensibel für die öffentliche Meinung, alle gestellten Fragen stehen im Fokus der Öffentlichkeit. Es ist hilfreich, dass die Militärkorrespondenten nicht isoliert in Quarantäne saßen. Der Präsident hat persönlich mit ihnen gesprochen, und das ist sehr wichtig. Eine Videokonferenz ist eine Sache, eine andere ist die persönliche Kommunikation mit Menschen, die gerade von der Front gekommen sind. Das ist so ein ganz eigenartiges Zeichen, der Präsident macht vielen Beamten klar, dass abgehobene Methoden bei wichtigen Themen unangemessen sind."

In den Leser-Kommentaren russischer Blätter wurde Putin mit Hohn überschüttet: "Ich frage mich: Wer nimmt das ernst, was der beglückte Großvater gesagt hat? Nur ähnliche Omas und Opas, na ja, und wahrscheinlich Absolventen der Sonntagsschule." Jemand erinnerte an Angela Merkels Beobachtung, wonach Putin jeden "Realitätssinn" verloren habe: "Generell bestätigte er, dass es für ihn in dieser ganzen Geschichte am wichtigsten sei, an der Macht zu bleiben." Putin fühle sich offenbar nur noch den "Kriminellen" verpflichtet, die sich freiwillig an die Front meldeten: "Das alles ist langweilig, nicht interessant, es wäre besser, wenn Putin sich mit echten Problemen befassen würde."

"Unsere Generäle sind immer bereit für Krieg"

Geradezu hinterhältig mutete dieser Kommentar an: "Einerseits ist das alles sehr traurig, andererseits aber auch irgendwie ermutigend." Ein weiterer Leser spannte einen weiten Bogen: "Leider geht es beim Lernen aus der Geschichte nicht einzig und allein um Russland. Und die Tatsache, dass unsere Generäle immer bereit sind für den Krieg von gestern, hat auch etwas mit uns zu tun. Jedes Mal, wenn Russland in einen ernsthaften Konflikt verwickelt wird, stellt sich heraus, dass die gesamte Region Moskau vollgestopft ist mit mittelmäßigen Funktionäre. So war es zu jeder Zeit. Schlimmer noch, sie verbreiten dann Fäulnis auch bei denjenigen, die sich ihre Insignien mit ihrem Blut verdient haben."

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