Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, spricht beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag.
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Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, spricht beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag.

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"Blutschuld" gegenüber Russland? Kirchentag streitet über Waffen

"Frieden schaffen ohne Waffen" - so lautete Jahrzehnte lang das Credo bei Kirchentagen. Doch seit dem Angriffskrieg Russlands hat sich die Stimmung gedreht. Pazifisten weht nun ein rauer Wind entgegen - und es gibt Applaus für Waffenlieferungen.

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Freitagvormittag in der Nürnberger Innenstadt: Die Gewitter vom Vortag haben sich verzogen, die Sonne scheint und Daniela Willenbücher vom Verein christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder zündet eine rote Kerze an, die sie in einem Windlicht auf die kleine Bühne stellt.

Es ist das Friedenslicht, dass alljährlich von den Pfadfindern in Wien für ganz Deutschland abgeholt wird und von dort aus in die Gemeinden, in die Fläche der deutschen Kirche geht. Es solle "ein Symbol sein für den Frieden, für die weltweite Verbundenheit, soll erinnern daran, dass wir ohne Frieden nicht leben können", sagt Willenbücher.

Applaus für Generalinspekteur der Bundeswehr

Pazifismus und Kirchentage, das gehört zusammen. Seit Hannover 1983 sind die Kirchentage fester Bestandteil der Friedensbewegung. Dort gingen seinerzeit 70.000 meist junge Menschen auf die Straße. Doch beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg ist vieles anders. Nicht nur, dass zum ersten mal der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, auf einem Podium sitzt: Deutschlands ranghöchster Soldat bekommt auch noch viel Applaus für seine Rechtfertigung von Waffenlieferungen an die Ukraine.

"Wenn der Westen nicht mit Waffen unterstützt hätte, wäre der Krieg zu Ende, aber die Ukraine unter dem Joch Russlands. Der Krieg wäre vorbei, aber das Leiden ginge weiter", sagte Breuer am Freitag in Nürnberg.

Der Staatssekretär im für Rüstungsexporte zuständigen Bundeswirtschaftsministerium, Sven Giegold (Grüne), unterstütze diese Position. Keine Waffen zu liefern, hieße, anderen die Sicherung der nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten Friedensordnung zu überlassen. "Wir als Christinnen und Christen sind verpflichtet, auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit hinzuwirken", sagte Giegold, der auch Mitglied im Kirchentagspräsidium ist. Im konkreten Fall sei es aber richtig, die Opfer zu unterstützen.

EKD Friedensbeauftragter: Deutschland habe "Blutschuld" gegenüber Russland

Giegold erhielt in der voll besetzten Messehalle mit 5.000 Plätzen vom Kirchentagspublikum deutlich größeren Applaus als der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, der seine Ablehnung der Waffenlieferungen erneuerte.

Der mitteldeutsche Bischof begründete dies mit dem Aufruf Jesu zu Gewaltlosigkeit, aber auch mit der deutschen Geschichte. Die Ukraine verteidige sich "völlig zu Recht", Deutschland habe aber auf Grund seiner Geschichte auch eine "Blutschuld" gegenüber Russland. Kramer erhielt nur vereinzelt Applaus vom Kirchentagspublikum, das früher eng mit der Friedensbewegung verbunden war.

Auch draußen vor der Messe am Stand der 'Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen' merkt man, dass sich die Meinung zur Friedensbewegung in den vergangenen Jahren verändert hat. "Die Reaktion ist tatsächlich ganz oft: 'Vor zwei Jahren hätten wir bei Ihnen noch mitgemacht. Aber jetzt, seit dem Ukraine-Krieg, ist das alles ganz anders. Und wir haben uns vom Pazifismus distanziert'", erzählt Sabine Pfeffer BR24. Es gebe viel Gegenwind, Menschen die sagten, die Pazifisten seien das "Übel der Welt und nicht mehr die Kriegstreiber".

De Maizière: "Sofa-Bellizismus macht sich Sache zu einfach"

In der Halle sagte derweil der Präsident des Kirchentags, Thomas de Maizière: "Christen müssen sich immer schwer tun mit der Anwendung von Gewalt – wer denn sonst?" Der frühere CDU-Bundesminister wandte sich zugleich gegen allzu laute Rufe nach Waffen. "Es gibt einen Sofa-Pazifismus, aber auch einen Sofa-Bellizismus. Beides macht sich die Sache zu einfach." Die friedensethische Frage nach Waffen für die Ukraine sei "für Hurrarufe in die eine oder andere Richtung ungeeignet".

Heike Springhart, Landesbischöfin aus Karlsruhe, erinnerte daran, dass auch der Zweite Weltkrieg durch Waffengewalt endete - "er wäre nicht am Verhandlungstisch zu Ende gegangen". Und das Ende des Krieges sei die Voraussetzung dafür gewesen, "dass wir in Europa Versöhnungsgeschichten erzählen können".

Mit Informationen von epd, dpa und KNA

Im Video: Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine

Der Evangelische Kirchentag wagt sich an kontroverse Themen.
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Der Evangelische Kirchentag wagt sich an kontroverse Themen.

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