Prigoschins Leute schwenken russische Fahnen
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Söldner-Propaganda in Bachmut

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"Jeder braucht Ruhe": Russlands Söldnerchef geht "in Urlaub"

Freuen will sich darüber in Russland kaum einer, Staatsmedien blieben betont vorsichtig: Söldnerführer Prigoschin will Bachmut "erobert" haben und kündigte gleichzeitig an, seine Leute demnächst von der Front abzuziehen. Was steckt dahinter?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Nicht mal Söldnerführer Jewgeni Prigoschin ist offenbar in Jubelstimmung, obwohl er soeben lautstark verkündet hat, seine Leute hätten "nach 242-tägiger Schlacht" die ukrainische Kleinstadt Bachmut vollständig besetzt - oder besser gesagt, das, was von ihr übrig ist, denn das Gelände ist dermaßen zerfurcht, dass kaum noch ein Gebäude steht. Natürlich stellte Prigoschin Fotos einer angeblichen Flaggenhissung ins Netz, gleichzeitig beschimpfte er jedoch ein weiteres Mal das russische Verteidigungsministerium. Nach den dort üblichen Berechnungen für Offensivkräfte hätte die "Wagner"-Truppe 23-mal stärker sein müssen, um dieses Angriffsziel zu erreichen, so Prigoschin, und im Übrigen habe er nur 11,5 Prozent der statistisch eigentlich nötigen Munition erhalten.

"Verrat, der um uns herum geschah"

Damit wollte der geltungsbedürftige Unternehmer natürlich nur deutlich machen, wie kampfstark seine Truppe vermeintlich ist: "Ziehen Sie Ihre Schlussfolgerungen über unsere Effizienz und den Verrat, der um uns herum geschah. Jetzt können wir darüber reden", so Prigoschin in seinem Telegram-Blog. Es kam ihm also darauf an, seine eigene Größe und die Minderwertigkeit der Generäle herauszustellen. Wegen der "Launen" von Armeechef Waleri Gerassimow seien "fünf Mal mehr Männer gefallen", als nötig gewesen wäre.

Zwei weitere Propaganda-Botschaften waren dem zwielichtigen Oligarchen anscheinend wichtig: Kein einziger russischer Soldat sei an der "Eroberung" von Bachmut beteiligt gewesen, und er werde seine Leute ab 25. Mai "zum Urlaub und zur Weiterbildung" von dem Frontabschnitt abziehen. Die Armee solle die Stellungen übernehmen. Damit kündigte Prigoschin erneut den Rückzug seiner Truppe an - der offenbar durch eine (von der Ukraine bestrittene) "Erfolgsmeldung" beschönigt werden soll: "Sobald das Vaterland wieder unsere Hilfe braucht, wird die Wagner-Gruppe darauf reagieren und zurückkehren."

"So ist es falsch"

Wie auch immer: Russland reagierte paradox auf die neueste Schnurre von Prigoschin. So wunderte sich der kremlnahe Politologe Sergej Markow, warum das staatliche russische Fernsehen den "Triumph" zunächst mit "donnerndem Schweigen" ins Leere laufen lasse: "Das Internet Russlands brodelt vor Freude über den Sieg Russlands. Das russische Fernsehen schweigt eisig. Wer möchte nicht Russlands Sieg sehen? So ist es falsch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es 1943 ebenso war." Die offizielle Propaganda gönnt Prigoschin augenscheinlich keinen Erfolg - würde sie damit doch indirekt die russische Armee schmähen. Anders als Markow halten im Kreml wenige die Söldnerarmee für eine "nationale Kostbarkeit".

Aus dem Kreml kam allerdings später die Meldung, Putin gratuliere den "Wagner-Angriffsabteilungen sowie allen Militärangehörigen der Einheiten der russischen Streitkräfte, die ihnen die notwendige Unterstützung und den Flankenschutz geboten" hätten zur "Befreiung" von Bachmut: "Alle, die sich hervorgetan haben, werden mit Staatspreisen ausgezeichnet", meldete die regierungseigene Nachrichtenagentur TASS.

"Es wird dunkle Verzweiflung geben"

Auch gewöhnlich kriegsbegeisterte Propagandisten wie Andrej Medwedew (nicht zu verwechseln mit dem russischen Ex-Präsidenten) geben sich betont zurückhaltend: "Tatsächlich ist jetzt sicherlich nicht die Zeit für besondere Freude oder Optimismus. Das ist ein Sieg, einer von denen, die den Hauptsieg näher bringen. Es gibt noch keine kritische Einschätzung der Schlachten, die wir gewonnen haben – militärische, ideologische, kulturelle Bewertungen –, als dass wir uns zu sehr freuen könnten. Und der Weg, den wir noch gehen müssen, ist lang und schwierig, und wir haben noch viel vor uns. Es wird Misserfolge und Enttäuschungen geben. Es wird Tage der dunklen Verzweiflung und der Ungläubigkeit geben."

Rechtsaußen und "zorniger Patriot" Igor Strelkow freute sich nach eigener Aussage "überhaupt nicht" über Prigoschins undurchsichtiges Medien-Manöver: "Meine Vorhersage, dass mit der Zerquetschung Bachmuts (nach siebenmonatigen Kämpfen) unsere Offensive völlig vorbei ist, wird von Prigoschin bestätigt." Es gebe offenbar keine Pläne, weiter nach Westen vorzurücken, sondern sich im Hinterland zu erholen: "Die Streitkräfte der Russischen Föderation nahmen keine einzige Stadt ein, aber sie badeten reichlich in Blut. Leider nicht derjenigen, die diese Operationen von großen Hauptquartieren aus geplant und geleitet haben, sondern im Blut der Frontsoldaten und Offiziere, Mobilisierten und Freiwilligen."

"Selenskyj wird keine Kapitulation unterzeichnen"

Der prominente Kriegskorrespondent und Putin-Propagandist Alexander Kots schrieb: "Ja, mit dem Fall von Bachmut wird die Front nicht zusammenbrechen. Die Streitkräfte der Ukraine werden nicht über den Dnjepr zurückfluten und Städte und Dörfer verlassen. Selenskyj wird keine Verhandlungen fordern, geschweige denn eine Kapitulation unterzeichnen." Das populäre Blogger-Portal "Rybar" mit über einer Million Abonnenten erwartet jetzt sogar massive Gegenschläge der Ukrainer: Nördlich und südlich von Bachmut werde heftig gekämpft, heißt es in den Kanälen der Ultra-Patrioten.

Die "zwei Majore", die mit 250.000 Fans ebenfalls tonangebende russische Blogger sind, würdigten Prigoschins behaupteten Erfolg in Bachmut als PR-Maßnahme von weltweiter Werbewirkung. Jetzt würden wohl noch mehr afrikanische Potentaten die Hilfe der Söldner erbitten: "Wir kennen nicht alle Feinheiten, listigen Pläne und bedeutenden Ereignisse in den verschiedenen Machtgruppen des Kremls, aber heute hat Wagner als Marke ein bedeutendes Ergebnis für sich erzielt. Jetzt weiß die ganze Welt, dass dies eine effektive Organisation ist, die Resultate erkämpft hat. Es ist schlecht, dass diese Organisation ihre Wirksamkeit vor dem Hintergrund einer anderen Organisation zeigte, die ebenfalls in direktem Zusammenhang mit unserem Land steht. Lasst uns daraus lernen."

"Hälfte der Toten sind Wagner-Kämpfer"

Mit der "anderen Organisation" ist natürlich die russische Armee gemeint, die sich bisher nicht mit großen Offensiv-Erfolgen schmücken konnte. Nach dieser Sichtweise hat Prigoschin mehr über die russischen als über die ukrainischen Generäle "gesiegt", jedenfalls, was die Markenführung betrifft, und die dürfte dem Unternehmer wichtiger sein als territoriale Gewinne.

In oppositionellen russischsprachigen Exil-Medien wie dem Portal "Agents" war zu lesen, die Schlacht um Bachmut habe je nach genauer Zählung bisher nur neun Tage weniger gedauert als der Kampf um Verdun im Ersten Weltkrieg, der ebenso blutig und sinnlos gewesen sei: "Die genaue Zahl der Opfer, die die russischen Streitkräfte in Bachmut erlitten haben, ist nicht bekannt. Nach Angaben des amerikanischen Geheimdienstes verlor Russland allein von Dezember bis Mai 2023 bei Offensivoperationen, hauptsächlich in Bachmut, etwa 100.000 Menschen, von denen 20.000 starben. Die Hälfte der Toten sind Wagner-PMC-Kämpfer."

Blogger Alexander Simonow, der sehr intensiv über Bachmut berichtete, hielt den Rückzug der Söldner ins Hinterland für "völlig verdient und notwendig": "Jeder braucht Ruhe. Es stimmt, irgendetwas sagt mir, dass diese Pause nicht lange dauern wird und das Vaterland sein 'Orchester' erneut zu einem neuen Kampf aufrufen wird. Und Wagner wird es akzeptieren. Aber schauen wir mal, wie sich die Ereignisse entwickeln."

"Bruttoinlandsprodukt wird steigen"

In russischen Netzforen bekommt Prigoschin nicht gerade viel Beifall: "Sie wollten Kiew überrennen und kamen nach Bachmut", höhnte ein Kommentator. "Jetzt können meine lieben russischen Mitbürger endlich die Stadt auf Kosten ihrer Steuern wieder aufbauen! Das Bruttoinlandsprodukt wird steigen! Hurra!" hieß es in einem weiteren Blog sarkastisch. Es wurde gefragt, ob es in Moskau wohl ein "Feuerwerk" geben werde, es wurden grundsätzliche Zweifel angemeldet, nachdem Prigoschin schon drei Mal einen "Sieg" verkündete. Bachmut sei jetzt dermaßen "umgewühlt", dass es dort einfacher sei, eine neue U-Bahn-Station zu eröffnen als in St. Petersburg, wagte jemand zu behaupten.

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