Abgestoßene, verschmutzten Dr. Martens
Bildrechte: picture alliance / ZUMAPRESS.com | John Marshall Mantel

Als Arbeitsschuhe fingen sie an, dann eroberten sie den Laufsteg: Dr. Martens

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Ist Dr. Martens ein schlechtes Omen für Birkenstock?

Immer mehr Traditionsmarken werden von Beteiligungsgesellschaften gekauft, so auch Birkenstock oder Dr. Martens. Die Gewinnmaximierung droht jedoch den Markenkern zu zerstören. Gerade bei Mode gilt: Was gestern noch cool war, kann heute out sein.

Über dieses Thema berichtet: Nachtstudio am .

Bei Birkenstock, lange Zeit eher ein bedächtig agierendes Traditionsunternehmen, geht es jetzt sehr schnell. Gerade mal vor zwei Jahren hatten die Unternehmenserben die Mehrheit der Anteile an Beteiligungsfirma L Catterton sowie Financière Agache, die private Investmentgesellschaft von Bernard Arnault, verkauft. Gestern ging der Sandalenhersteller an die Börse. Das sollte frisches Kapital bringen – allerdings war das Kaufinteresse eher gering. Ist der Hype schon vorbei? Wie auch immer: Die Börsennotierung bringt die Verpflichtung mit sich, mehr Gewinn zu erwirtschaften, um die Aktionäre zu befriedigen. Das kann den Markenkern bedrohen, wie das Beispiel Dr. Martens zeigt. Da hatte der Eignerwechsel für kleine Schuhläden ganz konkrete Auswirkungen.

Aufbruch zu neuen Ufern oder rigoroser Ausverkauf?

Dr. Martens gehört seit 2014 dem Finanzinvestor Permira, also einer Private-Equity-Gesellschaft. Sie kaufte die Firma für 380 Millionen Euro. Dr. Martens könne global expandieren. So das Versprechen. Das auch erst einmal aufzugehen schien. Zwischenzeitlich eroberten die ehemaligen Arbeitsschuhe die Laufstege, Schnürstiefel passten auf einmal auch zum Abendkleid. Ein Hype entstand.

Die Folge: Es gibt jetzt nicht nur mehr Produkte (darunter auch Sandalen) und mehr Geschäfte. Noch etwas hat sich bei Dr. Martens seither konstant verändert: der Preis. "Auf einmal wurden aus 45 Pounds 60 Pounds, dann 100. Da haben wir schon gestaunt." Liz Meek betreibt ein Schuhgeschäft in Wales. Und verkaufte erst einmal die Schuhe trotz dieses rasanten Anstiegs weiter - wie sie es seit über 30 Jahren getan hatte.

Doch im Sommer 2019 bekam sie eine E-Mail. Darin teilte Dr. Martens ihr mit, die Geschäftsbeziehung zu kündigen: "Es hieß: Am Tag XY werden wir die Lieferungen stoppen, weil ihre Kunden und unsere Kunden nicht mehr übereinstimmen." Dieses Schreiben liegt dem Bayerischen Rundfunk vor. Liz Meek vermutet, Dr. Martens sei zu einem anderen Business-Modell gewechselt: dem Direktverkauf an Kunden in ihren eigenen Läden. Langjährige Geschäftsbeziehungen wie zu ihrem Laden zählten da nicht: "Es war niederschmetternd und ich war auch ein bisschen sauer. Im Prinzip wollten sie ihr Geschäft und die Preispolitik kontrollieren. Aber diese komische Erklärung. Wir haben immer noch Kunden, die fragen: Habt ihr Doc Martens? Nein, haben wir nicht. Wie, aber ihr hattet sie doch immer."

Zu teuer? Mal dir selbst die ikonischen gelben Nähte

Diese Verknappungs- und Preispolitik hat Folgen. Viele Kundinnen und Kunden wechseln angesichts ihrer zu einer Guerilla-Taktik. 2022 gibt es einen Trend auf TikTok. Die GenZ hat auch kein Geld für die ikonischen "1460"-8-Loch-Stiefel. Userinnen und User zeigen billigere Kopien des Markenstiefels. Und malen die Nähte einfach selbst gelb an. Damit die Imitate wie die Originale aussehen.

Und wie reagiert Dr. Martens? Deren Creative Director Darren McKoy beschwört gegenüber dem BR vor allem den Markenkern, die Erinnerung an Punks und Skinheads und die Tradition als Schuh der Arbeiterklasse: "Wichtig, weil wir angefangen haben, Sachen ein bisschen anders zu machen: Die Fotos, das Styling. Nostalgie spielt dabei eine wichtige Rolle, aber worum es vor allem geht, ist eine emotionale Verbindung zum Produkt und wie du deine Geschichte dadurch erzählst. Jede(r) kann er oder sie selbst sein mit unserem Produkt." Aber in der Mode geht es immer um zwei Dinge: mitzulaufen oder einen Trend selbst zu kreieren. Dr. Martens stand mal für Untergrund, für Widerstand gegen eine Mehrheitskultur. Deswegen trugen Skins und Punks die Stiefel.

Bei Mode ist der Markenkern zentral

In Werbekampagnen erinnert die Firma an diese Geschichte. Die Firmenpolitik sieht aber ganz anders aus. Die Preise steigen, immer mehr Varianten werden angeboten. Manchen mag es verwundert haben, dass eine Firma, die für Schnürstiefel steht, auch Sandalen anbietet. Eine Erweiterung? Oder eine Verwässerung des Markenkerns? Der ist bei Mode aber extrem wichtig, weil er eine Verbindung zu Kunden schafft. Die aber können sich auch von Produkten abwenden – ein Schicksal, das viele einst großen Modefirmen ereilt hat.

Und so steht die Frage, ob der momentane Hype um Dr. Martens vielleicht ein letztes Strohfeuer ist? Und damit ein Menetekel für die weitere wirtschaftliche Entwicklung von Birkenstock.

Dieser Artikel ist erstmals am 30.09.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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