Klaus Lemke, Filmemacher, auf der Premiere von "Ein Callgirl für Geister" beim Filmfest München PopUp im PopUp Autokino
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Klaus Lemke

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Nachruf auf Klaus Lemke: "Augentier" und großer Erotomane

Der Regisseur Klaus Lemke gehörte in den 1960er-Jahren zur ersten Riege des Deutschen Autorenfilms. Nun ist der Kiezkönig des Deutschen Films im Alter von 81 Jahren in München gestorben, wie der BR aus dem Freundeskreis des Filmemachers erfuhr.

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Drei Zutaten bräuchte ein gelungener Film, sagte Klaus Lemke gern: "Einen guten Busen, einen schlechten Regisseur, und kein Drehbuch." Klaus Lemke war der große Erotomane des deutschen Kinos, ein Freigeist, wie er wohl nur in München-Schwabing sich entfalten konnte, nachdem er bei Martin Heidegger in Freiburg im allzu anämischen philosophischen Seminar gesessen hatte. Schon damals dämmerte ihm, was er später in das unsterbliche Bonmot goss: "Intellektuelle sind Leute, die am Rande der Tanzfläche stehen und so tun, als könnten sie jede bumsen. Können sie aber nicht. Sie können ja noch nicht mal tanzen." Da, wo Lemke war, war Leben, ungeordnet, chaotisch, lässig, skandalös.

"Ich finde auch, dass so was dringend nötig ist, dass man Filme bisschen wieder aus diesem Ghetto, diesem ganzen Oberschulseminar-Feeling wieder rausbringt dahin, wo er hingehört: auf die Straße. Bisschen Skandal, so dass bisschen was los ist." Klaus Lemke

Jedes Gespräch mit ihm war - mit einem seiner Lieblingsworte – "Bombe". Das filmische Werk dieses "Augentiers" wurde begleitet von seinem nur scheinbar losen Mundwerk. Diese große Klappe formulierte kunstvoll. Klar, dass das viele verstörte: "Deswegen sage ich immer wieder: Film ist: Man kriegt mehr aufs Maul als Küsse im Dunkeln", sagte Lemke einmal.

Lemke: "Deutsch im Film klingt wie drei Präservative drüber"

"Der Schmutzige Süden" war sein Terrain. Wer mit ihm mal durch Schwabing gelaufen ist, wo er lebte in einem Einzimmer-Appartement – geduscht wurde im Fitness-Studio auf der Leopoldstraße, weil es in der Wohnung kein fließendes Wasser gab – wusste, dass er es mit einer singulären Figur zu tun hatte. Einem Einzelkämpfer. Einem, der sich um nichts scherte, schon gar nicht um Sprachregelungen. Er ließ seine Darsteller, in der Mehrzahl waren es Laien, so reden wie ihnen die Schnauze gewachsen war: deutlich und direkt wie in "Rocker" 1972 ...

Lemke beschrieb es so: "Ein Deutsch, das genauso gut war wie das Englisch von Mick Jagger, was wir immer gerne haben wollten, denn für uns hörte sich Deutsch immer so an wie drei Präservative drüber – und so klingt es heute noch. Deutsch im Film klingt wie drei Präservative drüber, weil sich keiner traut, auch nur irgendwas zu sagen, was ein bisschen anecken könnte, im Gegensatz zu amerikanischen Filmen."

Frauen waren für Klaus Lemke, der es liebte so zu reden wie der letzte Lude, der Kiezkönig des deutschen Films, stets "Mädchen" - und natürlich: die Rettung: "Mädchen ist ja ... das was Mädchen ausmacht ist, dass die Welt bricht immer weiter auseinander, und es wird immer komplizierter und die Mädchen halten das dennoch irgendwie zusammen – und die Power, die das möglich macht, an die versuche ich ranzukommen."

Lemke: "Iris Berben war eines dieser It-Mädchen"

So drehte er Filme wie "Amore" mit Cleo Kretschmer 1978 oder "Brandstifter" 1969 mit der damals noch völlig unbekannten jungen Iris Berben.

"Iris Berben war damals in Hamburg eines dieser It-Mädchen, It-Mädchen waren die, die wirklich jeder haben wollte, und das war Iris schon mit 17 so, und so habe ich Iris kennengelernt und von Hamburg nach München verschleppt. Und habe mit ihr in Köln ‚Brandstifter‘ gedreht, weil ich Baader-Meinhof zu der Zeit kennengelernt hatte und mit Baader auch befreundet war, und dann kam diese Kaufhaus-Brandstiftung, ich war mit diesen Leuten zusammen, bis dahin waren das wirklich reizende Clowns, Witzbolde. Das habe ich dann gedreht in ‚Brandstifter‘ – die Zeit bis zur Frankfurter Kaufhaus-Brandstiftung."

Lemke bewahrte sich selbst im Scheitern eine Unabhängigkeit

Kritiker sahen seine Filme gern als "Milieustudien". Man könnte gerade sein offenherziges Spätwerk wie etwa "Unterwäschelügen" oder "Bad Girl Avenue" mit einem Wort Peter Rühmkorfs auch als "Mezzo-Porno" bezeichnen. Aber das würde ihnen nicht gerecht werden, denn Lemke, der immer schnell und low-budget drehte, bewahrte sich selbst im Scheitern noch eine bewundernswerte Unabhängigkeit.

"Alle Filme gehen eigentlich so, dass jemand anfängt mit nichts, es schafft, und dann geht’s wieder rapide runter", beschrieb es Klaus Lemke. "Und das ist auch die griechische Tragödie, wo jemand dasteht, nur der Unterschied ist der: Es gibt Leute, die stehen da und beschimpfen die Götter, und fallen dann einen riesengroßen Abgrund runter, und es gibt Leute, die gehen eben still in ihren Untergang. Also Kino ist, wenn man vorm Untergang noch mal die ganz große Fresse hat wie Ödipus oder Wolfgang Fierek oder John Wayne."

Ein "deutsches Traditionsunternehmen", forever young

Oder eben Klaus Lemke. "Ein deutsches Traditionsunternehmen" nannte sich dieser Filmemacher selbstbewusst, der immer eines sein wollte: forever young. Klaus Lemke sagte: "Jung heißt: Man lebt doch immer mit höchst unterschiedlichen Vorstellungen, nicht zusammenpassenden Vorstellungen, die im Kopf den ganzen Tag miteinander kämpfen. Und so lang man jung ist, kämpfen die immer härter, und wenn man älter wird, wird das ein bisschen harmloser, man nimmt Kompromisse an, und ich denke, dass man immer leben kann mit dem höchstmöglichen Schlachtfeld im Kopf, deswegen: Immer 18."

Gestern ist der, der immer 18 sein wollte, mit 81 Jahren in München gestorben. Das erfuhr der Bayerische Rundfunk aus dem Freundeskreis des Regisseurs.

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