Trainingseinsatz der 108. ukrainischen Brigade im November 2023
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Ukrainischer Soldat startet Kampfdrohne

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"Fettes Ziel für den Feind": Scheitert Putins Armee an Drohnen?

Der massive Einsatz von Kampfdrohnen und Robotern mache derzeit jeden größeren Angriff unmöglich, argumentieren russische Militärexperten: "Wer als erster herausfindet, wie das Problem gelöst werden kann, prägt zehn Jahre lang die Militärakademien."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Das ist eine Falschmeldung, sie ist absolut unwahr", kommentierte Kremlsprecher Dmitri Peskow die Behauptung des US-Nachrichtenportals "Bloomberg", Putin habe seine Fühler über diskrete Kanäle Richtung Washington ausgestreckt, um einen schnellen Waffenstillstand zu erreichen. Dabei bestehe der russische Präsident zwar auf den von russischen Truppen eroberten ukrainischen Gebieten einschließlich der Krim, so Bloomberg, wolle jedoch akzeptieren, dass die Ukraine NATO-Mitglied werde. "Präsident Putin hat wiederholt erklärt, dass Russland für Verhandlungen über die Ukraine offen war und sein wird", so Peskow zu diesem Gerücht: "Wir sind entschlossen, unsere Ziele zu erreichen. Wir würden das lieber auf diplomatischem Wege tun, aber wenn das nicht möglich ist, wird die Militäroperation fortgesetzt, bis die Ziele erreicht sind."

Putin selbst wiederholte vor Soldaten in St. Petersburg seine bekannten Propaganda-Parolen, behauptete, Russland kämpfe ausschließlich für den "Schutz" der eigenen Interessen und fügte abermals an, aus seiner Sicht habe der Krieg 2014 im Donbass begonnen: "Dies ist ein Versuch, diesen Krieg zu beenden. Ja, mit bewaffneten Mitteln als Reaktion auf den Einsatz von Waffengewalt." Andere konkrete "Aufgaben und Ziele" wie die früher viel beschworene "Entnazifizierung" der Ukraine nannte der Präsident nicht mehr, wobei völlig unklar blieb, ob das auf Verständigungsbemühungen hindeuten sollte. Stolz war Putin übrigens darauf, dass angeblich nur 20 Prozent der russischen Soldaten psychologisch betreut werden müssten, während es international jeder zweite sei: "Das ist einfach eine Sache des zentralen Nervensystems jedes Menschen. Daran ist nichts Ungewöhnliches: Spezialisten richten eine Person wieder auf, stellen sie wieder her und so weiter."

"Einfrieren des Konflikts immer realistischer"

In russischen Blogs wird es für durchaus plausibel gehalten, dass Putin nach "Auswegen" sucht: "Die Ehefrauen der Mobilisierten haben ihre Sache gut hinbekommen , außerdem haben 'wütende Patrioten' angefangen, über Verrat zu reden – das ist alles ein schlechtes Umfeld für den Beginn eines Präsidentschaftswahlkampfs." Immerhin hätten die russischen Truppen rund 18 % des ukrainischen Territoriums besetzt: "Nicht nur das ukrainische Volk ist erschöpft, sondern auch das russische – der Wähler wird aufatmen, wenn es Moskau und Kiew gelingt, sich vor März zu einigen, und dann kann Putin ein Häkchen vor seinem Namen als herausragender Friedensstifter setzen."

Ähnlich sieht es Blogger Wladimir Tschernomyrdin: "Ein Einfrieren des Konflikts bis zu den amerikanischen Wahlen wird immer realistischer. Alles noch ohne klare Konturen, aber der Waffenstillstand rückt näher. Es ist offensichtlich, dass es viele Hindernisse für den Frieden gibt: die Frage der Wiedergutmachung, der eingefrorenen Vermögenswerte, das heikle Thema eines internationalen Tribunals und so eine Kleinigkeit wie die Kontrolle des Kernkraftwerks Saporischschja."

"Armee kann auf Wassermelonenschale ausrutschen"

Auf einem Telegramm-Kanal mit 150.000 Abonnenten war zu lesen: "Das Verhandeln scheint wirklich begonnen zu haben, und das gefällt uns wirklich nicht, es ist eher erzwungen, d. h. die Ausgangsbedingungen sind für uns, gelinde gesagt: nicht sehr gut." Im Zuge möglicher Verhandlungen, zum Beispiel über die Geheimdienstkontakte, würden sich diese "Bedingungen" bei einer zu erwartenden "Annäherung" der Parteien sogar "noch verschlechtern". Der Blogger ergänzte: "Kleiner Hinweis. Von einer Aufhebung der Sanktionen ist keine Rede."

Der in London lehrende russische Politologe Wladimir Pastuchow glaubt, dass Putin versucht sein könnte, aufgrund "nichtmilitärischer [also politischer] Faktoren" alles auf eine Karte zu setzen und zum Beispiel einen erneuten Angriff auf Charkiw zu wagen, wobei er allerdings ein extrem hohes Risiko eingehe: "Das ist für den Kreml verlockend, insbesondere im Zusammenhang mit Putins Wahlkampf. Gleichzeitig kann ein schlecht vorbereiteter Angriff zur Wassermelonenschale werden, auf der die Kriegsmaschine ausrutschen und sich nicht nur das Bein, sondern gleich auch noch den Hals brechen könnte. Wir müssen bedenken, dass der tatsächliche Zustand der russischen Armee noch sehr weit von ihrem Medienbild entfernt ist."

"Bereits zu Beginn katastrophale Verluste"

Einer der Gründe für einen gewissen Frust unter russischen Propagandisten könnte das "Hauptproblem" sein, dass einer der wichtigsten Militärexperten mit fast 600.000 Fans so beschrieb: "Während ältere Experten, die noch nie einen echten Krieg gesehen haben, schneidige Angriffe einer Panzerdivision 'wie zu Zeiten unserer Großväter' fordern, diskutieren normale Menschen darüber, wie man unter den technischen Bedingungen von heute überhaupt noch Angriffseinheiten zusammenziehen kann, die größer als ein Bataillon sind, während wir allenfalls gleich stark wie der Feind, bei der Weltraumaufklärung sogar unterlegen und gegenüber unbemannten Aufklärungsdrohnen ungeschützt sind. Hinzu kommt das Vorhandensein hochpräziser Langstreckenangriffswaffen."

Jede offensive Aufstellung im frontnahen Hinterland könne wegen der Drohnen und Minenfelder "bereits am Beginn zu katastrophalen Verlusten" führen: "Ein Angriff mit kleinen Stoßtrupps, bis zu 10 Panzern und einer oder zwei Kompanien Infanterie, ist ebenfalls für einen massiven Angriff durch Drohnen anfällig, und aufgrund der geringen Anzahl erreicht eine solche Angriffstruppe oft nicht einmal die vordersten Verteidigungslinien des Feindes." Die einzig verbliebene Möglichkeit offensiver Bewegungen bestehe darin, kleinste Infanteriegruppen in Marsch zu setzen, nicht mehr als 20 Soldaten, die aus "extremer Entfernung" schießen müssten: "Wer als Erster herausfindet, wie das oben genannte Problem gelöst werden kann, wird in den kommenden zehn Jahren den Ton auf den Militärakademien angeben können."

"Entschuldigen Sie den unverschämten Kommentar"

Dazu schrieb der bekannte russische Militärkolumnist und TV-Propagandist Alexander Sladkow (940.000 Fans): "Ich vertrete diesen Standpunkt schon lange. Eine große Offensive setzt die Aufstellung einer großen Angriffsgruppe voraus, die allerdings ist ein fettes Ziel für die Feuerkraft des Feindes." Sladkow empfahl "starke Bewegungen in mehrere Richtungen gleichzeitig, zu Land, in der Luft und auf dem Wasser" und regte an, einfach dort vorzurücken, wo sich der Feind zurückziehe, was an die innovative, aber nur kurzfristig erfolgreiche "Infiltrationstaktik" erinnert, die die deutsche Heeresleitung im Ersten Weltkrieg zur Überwindung des Stellungskriegs anwandte: "Bitte entschuldigen Sie meinen unverschämten Kommentar dazu", so Sladkow ironisch.

Tatsächlich posten ukrainische Blogger täglich haufenweise schockierende Videos von erfolgreichen Drohnen-Einsätzen. Mal fliegen Panzer in die Luft, mal sausen die Drohnen zielgenau in enge Unterstände oder Schützengräben, mal verfolgen sie einzelne russische Soldaten auf der Flucht. Es wird auch nicht davor zurückgeschreckt, um Gnade flehende Zielpersonen in Großaufnahme kurz vor dem Bombenabwurf zu zeigen.

"Das alles geschah in drei Stunden"

Die russische Armee habe in erster Linie Schwierigkeiten mit der Funk-Kommunikation, so die "Zwei Majore" (540.000 Fans). Ständig müsse die Zielführung feindlicher Drohnen elektronisch gestört werden, was allerdings eigene Bewegungen in der Luft unmöglich mache: "Unsere Drohnenbetreiber benötigen Zeitfenster, um arbeiten zu können. Der Feind berechnet aber ständig die Frequenzen, mit denen unsere Geräte gesteuert werden und versucht, sie zu stören."

Ein angeblicher russischer Frontsoldat hatte sich an die erwähnten Blogger mit einem Hilferuf gewandt. Es "wimmle" in seinem Kampfabschnitt von ukrainischen Drohnen: "Ein Vorfall, der erst gestern passiert ist. Der Drohnenabwehrmann unserer Nachbar-Einheit hat zwei feindliche Drohnen innerhalb von zwei Stunden zu Fall gebracht. Als er gerade die dritte im Visier hatte und bereit war, sie abzuschießen, erschien eine vierte Aufklärungsdrohne, die die Drohnenabwehr entdeckte und prompt Mörser auf sie richtete. Infolgedessen ist der Typ an der Hand leicht verwundet worden. Für uns ist der Verlust auch nur eines 'Vogels' ein schwerer Schlag, der uns für einige Zeit lähmt, während der Feind sowohl den dritten als auch den vierten präzise los schickte, selbst nachdem er zuvor schon zwei verloren hatte. Und das alles geschah im Laufe von drei Stunden."

"Kräfte reichen eindeutig nicht aus"

Auch Militärfachmann Sergej Marschetski meinte zur Kreml-Propaganda, wonach der Sieg zum Greifen nah sei: "Die Realität ist etwas komplizierter." Erstens sei die Ukraine immer noch zahlenmäßig überlegen, zweitens reichten die Kräfte der russischen Armee "bisher eindeutig nicht aus, um eine entscheidende Offensive mit einem tiefen Durchbruch der Front zu erreichen und den Gegner einzukreisen und zu zerstören": "Das ist darauf zurückzuführen, dass die Hauptkampfhandlungen gerade im Donbass stattfinden, der seit vielen Jahren vom Feind über-befestigt ist, und auch darauf, dass die russische Armee einige Probleme mit der Luftaufklärung und Kommunikation, sowie der Abwehr von herumfliegender Munition [Drohnen] der ukrainischen Streitkräfte hat."

Wie zum Beweis der Warnung vor jedweder Zusammenballung von Soldaten in Frontnähe betrauerten die russischen Blogger 24 Todesopfer und einige Verletzte bei einem Raketenangriff der Ukraine am 24. Januar auf ein russisches Ausbildungslager. Die Soldaten sollten dort eine Art "Drohnen-Führerscheinprüfung" ablegen, doch die genauen Koordinaten des Truppenübungsplatzes gelangten auf irgendeine Weise an die Ukraine. Selbst fünfzig Kilometer hinter der Front sei es durch die elektronische Überwachung offenbar manchmal gefährlicher als direkt in der Kampfzone, so die Kommentare.

"Ideen aus Science-Fiction-Filmen"

Der einflussreichste russische Militär-Blog mit 1,2 Millionen Lesern verwies darauf, dass die Ukraine neuerdings nicht nur Drohnen einsetzt, sondern auch rollende Roboter, die zum Beispiel Brücken in die Luft sprengen: "Im Allgemeinen ist es interessant zu beobachten, wie roboterähnliche und unbemannte Geräte buchstäblich vor unseren Augen immer mehr Platz auf dem Schlachtfeld einnehmen und nach und nach die Ideen aus Science-Fiction-Filmen über zukünftige Kriege in die Realität umsetzen."

Die innerrussische Fachdebatte über den Drohnenkrieg, der möglicherweise jede Art von größerer offensiver Aufstellung und damit massive Angriffe unterbindet, griffen auch die Experten des amerikanischen Institute for the Study of War auf: "Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass das russische Militärkommando bei einem dieser identifizierten Probleme auf der operativen Ebene wesentliche Verbesserungen erzielt hat, die zum Durchbrechen der Front in einem oder mehreren Bereichen des Einsatzgebiets erforderlich wären. Die russischen Streitkräfte haben jedoch kürzlich bewiesen, dass sie trotz dieser systemischen Probleme bei verstärkten Offensivbemühungen geringfügige taktische Fortschritte erzielen können."

Außerdem gab es Berichte, wonach die russische Verteidigungsindustrie damit beschäftigt ist, traditionelle Raketenwerfer auf Miniatur-Munition gegen Drohnen umzurüsten. Es ist angesichts der "Science-Fiction"-Diskussion eine bittere Realsatire, dass der größte russische Offensiv-Erfolg kürzlich durch einen mehrere Hundert Meter langen Abwasserkanal erfolgte, den Pioniere zuvor in aller Heimlichkeit von Unrat gereinigt hatten.

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