In Kinosesseln nach der Pressekonferenz
Bildrechte: Felix Hörhager/Picture Alliance

Daniel Sponsel und Adele Kohout vom Dokfest München

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"Es ist mehr geworden": DOK.fest München widmet sich Medien

Das Dokumentarfilm-Festival, kurz DOK.fest, startet heute mit 130 Filmen in Münchner Kinosälen. Mit dem Schwerpunkt "Die Macht der Medien" wird ein Programm gezeigt, das den gesellschaftlichen Wert dieser "diffizil" gewordenen Film-Sparte würdigt.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Da packt es einen plötzlich selbst, dieses alte Staunen darüber, dass einfach so – scheinbar aus dem Nichts – ein Bild entsteht. Dass das überhaupt möglich ist, ein Foto, ein Video! "Jetzt sehe ich Sie! Jetzt ist das Bild da!": Das war der Refrain der Video-Call-Corona-Zeit, aber das Staunen über die Technik dahinter, das müssen zwei Regisseure erst wieder hervorkitzeln: Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck gelingt das, "And the King said, what a fantastic Machine" heißt ihre Dokumentation und darin beobachten wir gleich zu Beginn Menschen, die uns anstecken mit ihren weit aufgerissenen Augen, ihrer Sprachlosigkeit, ihrer Faszination für das Bewegtbild.

Die Dokumentation spannt einen Bogen zwischen dem Jahr 1826 und unserer Gegenwart, von der Camera Obscura, über die ersten bewegten Bilder, hin zu einem Alltag, in dem Videos so normal sind, dass man sich nicht mehr am Kopf kratzt, wenn der Hyde Park plötzlich auf ein Laken neben einem projiziert wird, sondern einfach draufhält – bei Spontan-Geburten im Auto, Staraufgeboten auf dem Roten Teppich, wenn der Bär vorm Haus auftaucht oder der Wal aus dem Wasser springt.

"Markt ist so komplex geworden"

"Die Macht der Medien" – das ist ein Themenschwerpunkt des diesjährigen Dokfestes, hochpolitische Filme gibt es da zu sehen. "Iron Butterflies" zum Beispiel – eine Doku über die russischen Medien, über Desinformation und Propaganda. Aber auch "What a Fantastic Machine" – weniger betont aktuell, dafür umso kunstvoller und nicht weniger aufschlussreich: Wie hängen die Anfänge der Fotografie mit unserer Zeit zusammen, was hat das frühe Versprechen authentischer Aufnahmen mit dem heutigen Wissen um die Manipulierbarkeit jedes Bildes zu tun? Solche Fragen provoziert der Film.

Dokfest-Chef Daniel Sponsel: "Wir haben heute so viele Dokumentarfilme wie noch nie zuvor auf dem Markt und auch im Kino. Aber nicht unbedingt gestiegene Publikumszahlen für die einzelnen Filme. In der Summe schon, aber nicht für die einzelnen Filme, weil es einfach mehr geworden sind. Und das ist vielleicht auch die Aufgabenstellung, der wir auch als Festival unterliegen, dass wir die einzelnen Filme stärker promoten, um sie der Zuschauerschaft zuzuführen, die sie auch verdient haben. Und das ist diffizil geworden auf dem Markt, der so komplex geworden ist mit den ganzen Mitbewerbern."

"Damals unser gesamtes Reisebudget"

Dabei ist das Programm des Dokfestes selbst eher überbordend als übersichtlich. Fast 130 Filme aus über 50 Ländern sind zu sehen. Eine Reihe konzentriert sich auf den internationalen, eine auf den deutschen Film, die Türkei ist als Gastland dabei, und es gibt einige Filme, die Regionen im Umbruch und deren Herausforderungen in den Fokus rücken. Dringlichkeit, das Wort kommt einem immer wieder in den Kopf, wenn man diese Filme sieht. Und: Überzeugungstäter. Denn oft erzählen die Dokus von Menschen, die sich ganz und gar einer Sache verschrieben haben.

Ob das der Gitarrist Robert Fripp von King Crimson ist und seine penible Arbeit an genau dem richtigen Ton, dem richtigen Auftritt, die Regisseur Toby Amies dokumentiert. Oder die liberalen Zeitungs-Redakteure in Kabul, die aufgelöst sind, als im Sommer 2021 die Truppen aus Afghanistan abgezogen werden. Dieser Film eröffnet das Dokfest und sein Regisseur, Abbas Rezaie, ist zu Gast in München, genau wie Toby Amies.

Das sind keine Stars im engeren Sinne, eher schon sind es: Anwälte ihrer Themen. Daniel Sponsel: "Ich kann da eine Anekdote erzählen aus einem Gespräch mit Diana Iljine, der Leiterin vom Münchner Filmfest, ist schon Jahre her – aber die hat sich bei mir Mal ausgeheult, dass sie jetzt einen Flug umbuchen muss für einen Stargast, das hat dann 12.000 Euro gekostet – das war damals unser gesamtes Reisebudget. Solche Probleme haben wir nicht, im Dokumentarfilm gibt es in dem Sinne keine Megastars, die Stars sind die Themen und die Protagonistinnen der Filme."

"Sie sei eine Hexe"

Und wie so oft sind es gerade die abseitigen Themen, die einen besonders berühren – Biografien, von denen man nicht ohnehin jeden Tag liest, Menschen, denen man in seinem Leben nicht begegnen würde, wenn nicht im Dokumentarfilm.

Diese alte Frau aus Kenia zum Beispiel, zu sehen in "The Letter", eine Großmutter, die Kindern und Enkelkindern ins und im Leben geholfen hat, und über die jetzt Gerüchte verbreitet werden: Sie sei eine Hexe, erzählt man in der Nachbarschaft, eine Gefahr, dabei ist eigentlich nur sie selbst in Gefahr. Oder: Der Übersetzer, der Ulysses ins Kurdische überträgt und ins Exil ging, weil seine Liebe zur kurdischen Sprache in Opposition steht zur türkischen Politik. Oder: Die Frau, die Mädchen in Südafrika vor sexuellen Übergriffen bewahrt, sie in ein Haus bringt, das Sicherheit bietet. Sie alle kitzeln es – auf je verschiedene Weise – in einem hervor: das Staunen im Kinosaal.

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