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DOK.fest München 2023 Diese sechs Dokus legen wir euch ans Herz

Das DOK.fest München läuft vom 3. bis 14. Mai (online zwischen 8. und 21. Mai). Bei einer Doku stellt sich immer wieder die Frage, wie „inszeniert“ darf es sein. Diese Auswahl zeigt, dass so viel gerade in der Welt passiert, dass eine inszenierte Wirklichkeit manchmal gar nicht nötig ist.

Von: Roderich Fabian

Stand: 02.05.2023

Filmstill vom Film Feminism WTF | Bild: Stadtkino Filmverleih

Eine ewige Streitfrage unter Dokumentarfilmer*innen ist: Wie stark dürfen sie ins abgebildete Geschehen eingreifen, wie inszeniert darf also eine Doku sein? In den vergangenen Jahren wurde das Dogma authentischer Bilder – das Bloß-Nicht-Eingreifen! – immer häufiger in Frage gestellt. Nach dem Motto: „Du darfst sanft inszenieren, wenn es dem Narrativ der Geschichte dient oder deine politische Botschaft verdeutlicht!“

Nun sind aber in diversen Regionen und Feldern die Konflikte so drastisch geworden, dass die pure Dokumentation schon stark genug scheint und ein Eingreifen gar nicht nötig ist. Das gilt für die Konfrontationen bei den Klimaprotesten ebenso wie bei Bildern aus dem Ukrainekrieg. Deswegen hier sechs Empfehlungen des diesjährigen dok.film Filmfestes, in denen mal mehr und mal weniger im Dokumentarfilm insziniert wird.

Die harte Kriegs-Realität allein reicht bei „Eastern Front“

In „Eastern Front“ – sozusagen dem dokumentarischen Gegenstück zu „Im Westen nichts Neues“ – wird das Publikum im DOK.fest-Kino Zeuge, wie der russische Angriffskrieg eine Gruppe junger Ukrainer aus ihrem eher beschaulichen Privatleben reißt und an die Front wirft. In dramatischen Bildern begleiten wir einen Notarztwagen, der durch Kiew rast, während Sanitäter im Inneren Wiederbelebungsversuche machen. „Eastern Front“ liefert immer wieder erschütternde Bilder, die Interpretation bleibt aber dem Zuschauer überlassen.

Offensive Erklärungen von Ungleichheit bei „Breaking Social“

Anders ist das bei „Breaking Social“. Der schwedische Film analysiert den Zusammenhang zwischen ungehemmtem Kapitalismus und sozialen Unruhen, schaut nach Chile, Malta oder in die USA, wo sich zunehmend Menschen gegen ein asoziales System wehren. Dazu kommen Statements von Wissenschaftlern und Autorinnen wie der US-Amerikanerin Sarah Chayes.

"Die Kleptokratie grassiert auf internationaler Ebene. Wir leben in einer Zeit, in der sich Superreiche, Geld-Maximierer, gemeinsam die Kontrolle über den Großteil des politischen und ökonomischen Lebens verschaffen."

– Sarah Chayes in „Breaking Social“

„Breaking Social“ kann einen durchaus dazu verleiten, mal etwas genauer über einen Systemwechsel nachzudenken,

Ein Wegweiser für Intersektionalität bei „Feminism WTF“

Das trifft auch auf „FEMINISM WTF“ zu, ein durchkomponiertes Werk der Österreicherin Katharina Mückstein, das vorrangig aus Interviews besteht und deren Inhalte sie mit Tanz- und Performance-Szenen illustriert. Der Film wirkt dabei wie eine Standortbestimmung aktueller feministischer Diskurse, auf den Punkt gebracht von Wissenschaftlerinnen wie Franziska Schutzbach.

"Eine bestimmte Gruppe, die wir Frauen nennen, ist zuständig und zwar gratis, für Sorge-Arbeit. Es gibt ein riesiges anti-feministisches Interesse, natürlich! Nehmen wir dieses Beispiel: Ein Mann, der weiß ist und die österreichische Staatsbürgerschaft hat. Man denkt: superprivilegiert. Aber dann plötzlich merkt man: Der ist obdachlos, ist HIV-infiziert und dann sieht man: Die Verletzlichkeit unterbricht die Privilegien."

– Franziska Schutzbach in FEMINISM WTF

Die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan differenziert in „FEMINISM WTF“ dann sehr schön, dass man Sexismus, Rassismus und Kapitalismus zusammendenken muss, um weiterzukommen.

Erholung vom Diskutieren bei „In The Court Of The Crimson King“, „Dusty & Stones“ und „My Name ist Alfred Hitchcock“

Ziemlich diskursfrei kommen dagegen die musikalischen Dokumentationen auf dem DOK.fest daher. Neben „In The Court Of The Crimson King“, einem wirklich sehenswerten Film über die englische Band King Crimson, gibt es auch den rührenden und wunderschön erzählten „dusty & stones“ Der Film begleitet zwei afrikanische Countrymusiker aus Eswatini – dem ehemaligen Swasiland – auf ein Festival nach Texas. Und auch „My Name Is Alfred Hitchcock“, ein Film über die Arbeitsweise des großen Regisseurs soll nicht unerwähnt bleiben. Darin spricht eine Stimme – vielleicht eine KI – zu uns, die genau so klingt wie die des 1980 verstorbenen Engländers.

Inszenierung bleibt also weiterhin erlaubt, auch wenn sie der puren Unterhaltung dient.