Szene aus dem Film "Smoke Sauna Sisterhood"
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Szene aus dem Film "Smoke Sauna Sisterhood"

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Der Film "Smoke Sauna Sisterhood" gewinnt Europäischen Filmpreis

Im Schweiße ihres Angesichts: "Smoke Sauna Sisterhood" wird als "Bester Europäischer Dokumentarfilm" beim Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Anna Hints bringt in ihrem poetischen Film die Seele ins Schwitzen.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Um Seelenballast loszuwerden, braucht es nicht viel: einen aufmerksamen Zuhörer, eine Vertrauensperson. Manchmal jedoch ist der tief im Inneren vergrabene Schmerz so groß, dass das darüber Reden alte Wunden aufreißt und neue erzeugt. Dann braucht es Mut. Und idealerweise eine Umgebung, die Sicherheit, oder besser noch: Geborgenheit vermittelt.

In Estland gibt es viele solcher Räume, vor allem im Südosten des Landes, in den Kreisen Vöru und Pölvamaa. Hier sind die sogenannten Rauchsaunen weit verbreitet: einfache Holzhütten, die – auch, um die Feuergefahr zu reduzieren – oft etwas abgelegen auf einer Lichtung stehen, meist in der Nähe eines Sees, manche umgeben von dichtem Wald. Es sind friedliche und in den Augen vieler spezifisch weibliche Orte – denn hier wurden auch traditionell Kinder geboren, Tote gewaschen und Heilungsprozesse durchgeführt.

Die Rauchsauna als mystischer Ort

Sieben Jahre hat die estnische Dokumentarfilmerin Anna Hints investiert, um diesen mystischen Ort, der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, auch Menschen außerhalb ihres Heimatlandes näherzubringen.

Wenn die 43-Jährige über ihr Langfilmdebüt "Smoke Sauna Sisterhood" redet, ist sie aufgekratzt und die Geschichten sprudeln nur so aus ihr heraus: Dass eine Rauchsauna in Estland als lebendes Wesen gilt, das gegrüßt wird und eine Art hölzernes Familienmitglied ist. Dass sie große Schwierigkeiten hatte, Investoren zu finden, weil sich niemand vorstellen konnte, dass ein enger, dunkler Raum eine spirituelle Aura entfalten kann, die auch im Kinosaal spürbar ist. Und dass der schamanenhafte Gesang, der in ihrem Dokumentarfilm zu hören ist, ein wichtiger Bestandteil der traditionellen Saunagänge ist.

Schöne Bilder, schmerzbehaftete Geschichten

Die heilende Kraft der Worte: Zusammen mit der an Rembrandt-Gemälde erinnernden Inszenierung bilden sie das Herzstück des Films. Die nackten Frauen wirken von der schwarz-braunen Dunkelheit wie ummantelt, man sieht oft nur einzelne Körperteile: Rücken, an denen der Schweiß abperlt, eine Hand, die einen Kopf streichelt, der Bauch einer Hochschwangeren im Gegenlicht. Die Gesichter sind meist verborgen, die von der Hitze rot glühende Haut wird sanft beleuchtet von etwas Tageslicht, das durch kleine Fenster dringt.

Die Schönheit der Bilder kontrastiert mit den schmerzbehafteten Geschichten, die die Frauen miteinander teilen: Erzählt wird vom Trauma einer Totgeburt, einer qualvollen Mehrfachvergewaltigung, dem Missbrauch durch Eltern, der Angst vor dem Coming-out. Und immer wieder: von der alltäglichen Objektifizierung. Es wird geweint, aber auch gelacht, Trost gespendet und vor allen Dingen: aufmerksam zugehört.

Der dunkle Kinosaal wird zur Erweiterung der Sauna

Das entspreche ziemlich genau der Erfahrung, die man in einer Rauchsauna mache, sagt Anna Hints. Im Dampf und der Dunkelheit würde man kaum etwas sehen, die Anwesenheit der anderen wird oft nur gefühlt. Um das Unterbewusste hochzuspülen, sei das ein wichtiger Faktor – zusammen mit der Zeit. Oft verbringe man vier Stunden in der Sauna, der emotionale Schmutz, all die verborgenen Probleme, werden fast automatisch an die Oberfläche gespült.

Es ist ein wundersam immersives, niemals voyeuristisches, geradezu poetisches Erlebnis, das "Smoke Sauna Sisterhood" vermittelt. Der dunkle Kinosaal wird zur Erweiterung der Sauna, von der Leinwand geht eine magisch-meditative Stimmung aus, die auch gesteuert wird durch die Konzentration auf die Stimmen, den rhythmischen Gesang, das Knistern des Feuers, das Knacken des Holzes. Tritt man mit den Frauen ins Freie, atmet man auf. Und freut sich mit ihnen, wenn sie jauchzend mal durch Schnee, mal durch flirrende Sommersonne zum See rennen und dort all das abwaschen können, was ihnen so lange auf der Seele gelegen hat.

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