Die Schriftstellerin Ronya Othmann, die nach einer Jugend in Freising nun nicht mehr in Bayern lebt
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Die Schriftstellerin Ronya Othmann, die nach einer Jugend in Freising nun nicht mehr in Bayern lebt

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Angefeindet, ausgeladen: Was Ronya Othmann in Pakistan erlebte

Die Schriftstellerin Ronya Othmann ist in Freising aufgewachsen und in Literaturkreisen weltweit stets gern gesehener Gast. Nur in Karatschi in Pakistan nicht: Beim dortigen Literaturfest lud man sie erst ein – und dann recht brüsk wieder aus.

Ja, die in Freising aufgewachsene Schriftstellerin Ronya Othmann hat eine gewisse Bekanntheit erlangt – durch ihren 2020 herausgekommenen, von Literaturkritik und Publikum gut angenommenen Debütroman "Die Sommer", durch ihre meinungsstarke, mutige Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in der sie oft Brisantes thematisiert: Islamismus, Antisemitismus, die Verbrechen des Iran und die Verwicklungen der Türkei.

Die 31-Jährige hat Ansichten, begründet sie und vertritt sie. Aber so berühmt, dass man ihre journalistische und schriftstellerische Tätigkeit auch in Pakistan genauestens verfolgte – so berühmt ist Ronya Othmann wohl nicht.

Nach der Landung prasselt es auf sie ein

Was da jetzt in Karatschi passiert ist, mutet also befremdlich an: Othmann war beim dortigen Literaturfest zu einer Veranstaltung eingeladen, auf der aus der englischen Ausgabe ihres Romans gelesen und dann darüber gesprochen werden sollte. Othmann war davor zu Gast in Indien und Sri Lanka, beides ohne Probleme.

Dann aber landet Othmann in Karatschi – und liest in den sozialen Medien, sie sei als "Islamfeindin" bekannt und als "Zionistin", ihre Einladung sei ein Skandal. So sagt es Othmann selbst im BR24-Interview. Dann, erzählt Othmann, sagt in Karatschi die Moderatorin der Lesung ab, eine englische Professorin – mit einer "Zionistin" wie Othmann wolle sie nicht auf einem Podium sitzen.

Schließlich taucht ein offener Brief auf – unterschrieben von Pakistanerinnen und Pakistanern, deren behauptete Detailkenntnis von Othmanns Werk dann doch verblüfft. Othmann sei anti-palästinensisch und pro-israelisch, "belegt" wird das mit Screenshots Othmannscher Äußerungen.

Der Offene Brief gegen sie sei voller Diffamierungen, sagt Othmann – vieles habe sie so nie gesagt. Wer ihre deutschen Texte genauer studiert, merkt: Othmann setzt sich mit den Verstrickungen unser Zeit auseinander, wie viele andere Journalisten es auch tun. Mit Israelkritik, die dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht. Mit Unterstützern der Palästinenser, die in der Hamas weiter eine Befreiungsbewegung sehen wollen.

Othmann verlässt erst das Hotel und dann das Land

Ist sie deswegen eine "Zionistin", also in diesem Zusammenhang eine unbedingte, einseitige Verteidigerin eines israelischen Staates, egal, was der sich zuschulden kommen lässt? In unserem Diskurs sicher nicht – nach dem Geschmack einiger erregter und erstaunlich gut informierter Pakistanerinnen und Pakistaner aber schon.

Das Festival sagt Othmanns Lesung ab – aus Sicherheitsgründen. "Ich wurde da einfach gestrichen vom Programm", sagt sie. Und weil "Zionistin", im streng islamischen Pakistan eine Anschuldigung ist, die schnell gefährlich werden kann, muss Othmann erst ihr Hotel verlassen und dann das Land. Pakistan erkennt den Staat Israel nicht an, Verständnis für an Israelis begangenes Unrecht oder für israelische Anliegen lässt sich dort nicht ohne weiteres äußern.

Wer hat das in Gang gesetzt?

"Ich denke, das kam aus Deutschland", sagt Othmann über die Kampagne gegen sie – "weil dieser offene Brief und die Berichterstattung in Pakistan über ihn (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt) so detailliert waren, da muss man die Debatten in Deutschland kennen und genauer verfolgen." Ihre FAS-Kolumnen seien zudem im Netz nicht frei zugänglich. Hat sie Feinde?

Othmann lacht leise, als wir ihr diese Frage stellen. "Ich glaube, das gilt für alle, die über Islamismus schreiben, über türkischen Nationalismus", sagt sie. "Für alle, die den Islamismus der Erdogan-Freunde kritisieren, die über Antisemitismus schreiben und israelbezogenen Antisemitismus anprangern – da macht man sich sehr schnell Feinde."

"Das galt nicht nur mir"

Sie sei immer noch dabei, die Puzzleteile zusammenzusetzen, sagt Othmann: "Ich kann es immer noch nicht so ganz verstehen". Das große Puzzle, wer sich soviel Mühe gab, die Lesung einer Freisinger Schriftstellerin in Pakistan zu verhindern. In Othmanns Roman übrigens geht es überhaupt nicht um Palästina oder Israel, sondern um ihre syrisch-kurdische Familiengeschichte.

"Das hat jetzt in diesem Fall mich getroffen, aber es galt nicht nur mir", sagt Othmann. Es galt allen Leuten, die sich zu diesen Themen äußern, die über israelbezogenen Antisemitismus sprechen." Inzwischen kann Othmann über die Stunden in Karatschi fast lachen. "Ich mache schon fast Witze darüber", sagt sie, "es hat ja auch was Absurdes." Sorgen, so wird es im BR24-Interview deutlich, möge man sich also bitte weniger um sie machen, wohl aber um andere. In Ländern wie Pakistan, Irak und Iran könne Nähe zu Israel ein Vorwurf mit schlimmen Folgen sein – bis hin zur Todesstrafe.

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