Krakau (Polen), 16.02.24: Kerzen und ein Foto erinnern an Alexej Nawalny.
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Krakau (Polen), 16.02.24: Kerzen und ein Foto erinnern an Alexej Nawalny.

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Tod von Alexej Nawalny: Was wir bisher wissen und was nicht

Der prominente Putin-Kritiker Alexej Nawalny ist tot – ums Leben gekommen in einem sibirischen Straflager. Aber noch immer sind viele Fragen offen: Wie starb der 47-Jährige? Warum jetzt? Und was bedeutet sein Tod kurz vor Putins geplanter Wiederwahl?

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Alexej Nawalny war der bekannteste verbliebene Putin-Kritiker in Russland – seit Ende vergangener Woche ist er tot. Nawalny war zuletzt im berüchtigten Straflager "Polarwolf" inhaftiert, nördlich des Polarkreises. Laut Medienberichten bemühen sich Nawalnys Mutter und sein Anwalt im Norden Russlands noch immer darum, den Leichnam des 47-Jährigen zu sehen. Bisher werden sie von den Behörden abgewiesen. Was bisher zum Tod des Oppositionellen bekannt ist und was nicht.

Wie kam Nawalny ums Leben?

Laut offiziellen Angaben des russischen Machtapparats wurde Nawalny am Freitag bei einem Hofgang ohnmächtig und konnte nicht wiederbelebt werden. Er sei wegen eines Blutgerinnsels gestorben. Doch daran gibt es erhebliche Zweifel. Noch am Donnerstag war Nawalny bei einem Gerichtstermin zugeschaltet und soll dabei einen vergleichsweise guten Eindruck gemacht haben. Dazu kommen Berichte, wonach er schon früher als vermeldet gestorben sein könnte, möglicherweise schon am Donnerstagabend. Seine Unterstützer gehen von Mord aus.

Die inzwischen im Ausland erscheinende Zeitung "Nowaja Gaseta" zitiert einen anonymen Mitarbeiter des Notfalldienstes. Nawalnys Leichnam soll demnach in einem Bezirkskrankenhaus in der Nähe des Straflagers sein. Der Mann hat Nawalny allerdings den Informationen zufolge nicht selbst gesehen, sondern wurde von Kollegen informiert. Berichtet wird von blauen Flecken an Nawalnys Körper, die darauf hindeuten sollen, dass der 47-Jährige vor seinem Tod Krämpfe gehabt habe und festgehalten worden sei.

Soll, hätte, könnte: Wie so oft in autoritären oder totalitären Regimen gibt es auch im Fall Nawalny wenig Gewissheit. Bestätigen lassen sich die wenigen kursierenden Informationen zu Nawalnys Todesumständen nicht. Nawalny-Biograph Jan Matti Dollbaum betonte bei hr-iNFO: "Er ist gestorben, weil er sich gegen dieses Regime gestellt hat und darin relativ erfolgreich gewesen ist." Ob Nawalny im Gefängnis einem Mordanschlag zum Opfer gefallen oder sein Tod den folterähnlichen Bedingungen anzulasten sei, das sei letztlich unerheblich. "Die politische Verantwortung trägt Putin."

Starb Nawalny "pünktlich" zur Münchner Sicherheitskonferenz?

Die Nachricht von Nawalnys Tod überschattete den Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz. Kurz nach den ersten Eilmeldungen hielt seine Frau Julia dort eine bewegende Rede. "Wenn das wahr ist, will ich, dass Putin, sein Personal, sein gesamtes Umfeld, seine gesamte Regierung, seine Freunde wissen, dass sie bestraft werden für das, was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben", sagte sie. "Und dieser Tag wird sehr bald kommen."

Schnell kursierten Theorien, wonach Russlands Regime Nawalny "pünktlich" zur Sicherheitskonferenz umgebracht habe. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wertete die Nachricht als Versuch Putins, "uns eine klare Botschaft zu schicken".

Inwiefern das stimmt, lässt sich nicht sagen. Klar ist aber, dass Nawalny angesichts seiner Haftbedingungen schon länger in Lebensgefahr war. Eisige Temperaturen, schlechte medizinische Versorgung, laut ihm selbst zu wenig Nahrung: Nawalnys Körper, seit seiner knapp überlebten Nowitschok-Vergiftung 2020 ohnehin angegriffen, war schlimmen Strapazen ausgesetzt. Offenbar wurden in seine Zelle auch regelmäßig hustende, wohl tuberkulosekranke Mithäftlinge gebracht.

Im Video: Julia Nawalnaja spricht auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Julia Nawalnaja, die Ehefrau von Alexej Nawalny, auf der Münchner Sicherheitskonferenz
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Julia Nawalnaja auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Gibt es nennenswerte Proteste in Russland?

In vielen russischen Städten legen Beobachtern zufolge Menschen Blumen an Denkmälern für Opfer politischer Repression nieder, um Nawalny zu gedenken. Polizei und Stadtreinigungen schmeißen laut dpa-Informationen vielerorts die Blumen schnell wieder weg, um Bilder zu verhindern, die auf die Popularität des Putin-Kritikers hindeuten könnten. Bei verschiedenen Trauerveranstaltungen nahm die russische Polizei innerhalb von zwei Tagen offenbar fast 400 Menschen zwischenzeitlich fest, teilweise sollen bereits bis zu 14-tägige Arreste verhängt worden sein.

Mehr als 50.000 Menschen in Russland forderten laut Bürgerrechtlern bisher in einem Aufruf, den Leichnam des in einem sibirischen Straflager ums Leben gekommenen Politikers schnell an die Hinterbliebenen zu übergeben. "Wenigstens nach seinem Tod sollte Alexej Nawalny bei seinen Angehörigen sein", heißt es in der Petition, die erst am späten Samstagnachmittag gestartet wurde.

Gedenkveranstaltungen für Nawalny gibt es weltweit, auch in Berlin und anderen europäischen Städten. Die Europäische Union bemüht sich unterdessen um ein Zeichen der Wertschätzung und des Gedenkens: EU-Sanktionen, die Verstöße gegen die Menschenrechte ahnden, sollen künftig den Namen des verstorbenen russischen Regimekritikers tragen.

Nutzt oder schadet Nawalnys Tod Putin kurz vor der "Wahl"?

Vom 15. bis 17. März findet in Russland die Präsidentschaftswahl statt. Dass Putin gewinnen und zum fünften Mal Präsident wird, gilt als sicher. Viele Gegner sind inhaftiert oder im Exil. Kandidaten, die den Angriff auf die Ukraine kritisieren, sind nicht zur Wahl zugelassen. Einige Beobachter vermuten, dass die Behörden mit der Herausgabe des Leichnams zögern, um vor der Wahl keinen Anlass für Proteste zu schaffen, die sich an der Beerdigung des schärfsten Putin-Kritikers entzünden könnten.

Außenpolitisch könnte Nawalnys Tod mittelfristig die Unterstützung des Westens für die Ukraine stärken. Schanna Nemzowa, Tochter des 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow, forderte bereits eine scharfe Reaktion. US-Präsident Joe Biden habe "ernsthafte Folgen" für den Fall des Todes von Nawalny angekündigt: "Mir scheint, diese Folgen sollten in einer militärischen, wirtschaftlichen und humanitären Hilfe für die Ukraine bestehen", sagte Nemzowa auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Zudem wird auf EU-Ebene über neue Sanktionen gegen Russland diskutiert.

Nawalny-Biograph Dollbaum erklärte, die russische Opposition verliere durch Nawalnys Tod an Kraft und Hoffnung. "Nawalny war ein Zeichen dafür, dass man auch die schlimmsten und widrigsten Umstände und Bedingungen überstehen kann. Und dabei immer noch hoffnungsvoll und ironisch sein kann." Dollbaum betonte aber auch: "Putin sah sicher viel stärker aus, als er es nicht nötig hatte, Menschen umzubringen."

Übernimmt Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja seine Rolle?

Julia Nawalnaja veröffentlichte am Montag eine emotionale Videobotschaft. "Vor drei Tagen hat Wladimir Putin meinen Ehemann umgebracht", sagte die 47-Jährige. Der Name desjenigen, der den Mord ausgeführt habe im Auftrag Putins, werde in Kürze veröffentlicht. Mit Nawalny habe Putin "unsere Hoffnung, unsere Freiheit, unsere Zukunft töten" wollen. "Ich werde die Sache von Alexej Nawalny fortsetzen, kämpfen um unser Land. Ich rufe Euch auf, an meiner Seite zu stehen!"

Ob Nawalnaja im Exil bleibt oder nach Russland zurückkehrt, ist bisher nicht bekannt. Anders als Putin, dessen Privatleben als Staatsgeheimnis behandelt wird, zeigte das Ehepaar Nawalny früher sich und seinen Alltag öffentlich. Julia Nawalnaja wurde so mit der Zeit ebenso eine Person des öffentlichen Lebens wie ihr Mann. Mitstreiter Nawalnys träumten von einer Zukunft Nawalnajas als Politikerin, schon bevor Nawalny hinter Gittern saß. Nach der Münchner Sicherheitskonferenz folgte am Montag gleich Nawalnajas nächster Auftritt auf großer Bühne – beim Rat der EU-Außenminister in Brüssel.

Video: Botschaft von Julia Nawalnaja

Nach dem Tod von Alexej Nawalny hat seine Frau bekräftigt das Vermächtnis des Kremlkritikers fortführen zu wollen. In einer Videobotschaft rief sie dazu auf sie darin zu unterstützen und weiter für ein freies Russland zu kämpfen.
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Nach dem Tod von Alexej Nawalny hat seine Frau bekräftigt, das Vermächtnis des Kremlkritikers fortführen zu wollen.

Wer war Alexej Nawalny?

Alexej Nawalny, Jahrgang 1976, studierte Jura und arbeitete als Anwalt. Vor rund 20 Jahren begann er damit, als Blogger über Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft im Kreml zu berichten. Klarer Anführer der zerstrittenen russischen Opposition war er damals aber nicht, sorgte auch mit nationalistischen und rassistischen Äußerungen für Schlagzeilen.

Im Winter 2011/2012 führte Nawalny große Proteste nach den russischen Parlamentswahlen an, die Putins regierende Partei seinerzeit gewonnen hatte, überschattet von Betrugsvorwürfen. 2013 kandidierte er bei der Bürgermeisterwahl in Moskau und erzielte respektable 27 Prozent. In den folgenden Jahren rückte er auch wegen neuer Enthüllungen über den Machtzirkel des Kreml immer mehr ins Visier der Behörden. 2020 folgte schließlich der Giftanschlag auf ihn. 2021 kehrte Nawalny, in Deutschland einigermaßen genesen, zurück in sein Heimatland. Seitdem war er in Haft.

Video: Baerbock dringt auf neue Sanktionen

Baerbock dringt auf neue Sanktionen
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Baerbock dringt auf neue Sanktionen

Mit Informationen von dpa, AFP und epd

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