Zugunglück in Griechenland: Gewerkschafter beklagten Mängel
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Zugunglück in Griechenland: Gewerkschafter beklagten Mängel

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Zugunglück in Griechenland: Gewerkschafter warnten früh

Die Mängel auf der Strecke zwischen Athen-Thessaloniki waren offenbar seit langem bekannt. Vor drei Wochen hatte die Eisenbahngewerkschaft erneut gewarnt. Jetzt treten viele Bahner in Proteststreik. Die Zahl der Toten steigt weiter auf derzeit 57.

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Nach dem schweren Zugunglück in Griechenland mit mindestens 57 Toten und Dutzenden Verletzten werden schwere Vorwürfe gegen das staatliche griechische Eisenbahnunternehmen OSE erhoben. Mehrere Menschen werden noch immer vermisst. Wie viele, ist noch unklar.

Medienberichten zufolge hatten Eisenbahngewerkschafter längst vor Unfällen gewarnt, weil das elektronische Leitsystem auf der Strecke Athen-Thessaloniki kaum funktionierte. Das jüngste Schreiben dieser Art ist erst drei Wochen alt, wie die Wirtschaftszeitung "Naftemporiki" schreibt. Demnach soll es auf der Strecke immer wieder zu kleineren und Beinahe-Unfällen gekommen sein.

Eisenbahngewerkschaft: "Worauf warten Sie noch, um einzugreifen?"

"Solange keine Schutzmaßnahmen für die Arbeitsplätze und den sicheren Betrieb und Verkehr der Züge getroffen werden, nehmen die Unfälle kein Ende", heißt es in dem Schreiben der Eisenbahngewerkschaft vom 7. Februar. Man könne die gefährliche Situation nicht mehr ertragen. "Worauf warten Sie noch, um einzugreifen? Was muss noch passieren?"

Lange Liste mit Mängeln

In einem weiteren Schreiben, das die Vereinigung der Lokführer im vergangenen November an das Verkehrsministerium schickte, wurden die Mängel aufgelistet. Demnach funktionierten die Lichtsignale an der Strecke bereits seit vielen Jahren nicht mehr. Auch sei das ETCS (European Train Control System) - das System, das den Zug stoppt, wenn Gefahr droht, und das somit auch vor menschlichem Versagen schützt - außer Betrieb. Darüber hinaus funktionierten seit nunmehr 15 Jahren die Sicherheits- und Beleuchtungssysteme in den Tunneln nicht vollständig.

Medien sprechen von Staatsversagen

Während der Zugverkehr in Griechenland von der italienischen Eisenbahngesellschaft Ferrovie dello Stato Italiane betrieben wird, ist die staatliche griechische OSE für die Infrastruktur verantwortlich. Deren Chef war bereits am Mittwoch nach dem Unfall zurückgetreten. Das allein jedoch reiche nicht, heißt es nun in griechischen Medien.

Es handele sich um Staatsversagen, wenn die Infrastruktur der griechischen Bahn derart fahrlässig vernachlässigt werde. Ebenfalls am Mittwoch hatte Verkehrsminister Kostas Karamanlis seinen Rücktritt erklärt und damit nach eigenen Angaben die Verantwortung für Versäumnisse bei der Modernisierung des Bahnnetzes übernommen.

Staatstrauer bis Freitag angeordnet

Am späten Dienstagabend waren ein Intercity mit rund 350 Personen und ein entgegenkommender Güterzug frontal zusammengestoßen. In dem Intercity, der auf dem Weg von Athen nach Thessaloniki war, saßen nach einem Feiertag viele junge Menschen. Obwohl die Bahnstrecke an der Unfallstelle zweigleisig ist, war der entgegenkommende Güterzug auf demselben Gleis unterwegs. Die Regierung hat Staatstrauer von Mittwoch bis Freitag angeordnet.

Fehlentscheidung eines Bahnmitarbeiters

Nach Angaben von Behörden und Eisenbahnern deuten erste Erkenntnisse auf eine Fehlentscheidung eines Bahnmitarbeiters angesichts unzureichender Sicherheitstechnik hin. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, der die Unfallstelle am Mittwoch besucht hatte, nannte in einer Fernsehansprache am Abend menschliches Versagen als wahrscheinliche Ursache. Der Bahnhofsvorsteher von Larissa, der für den Zugbetrieb auf der Strecke verantwortlich war, war am Mittwoch festgenommen worden. Er wird der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung verdächtigt und soll am Donnerstag vor Gericht erscheinen.

Sicherheitsmängel: Protest-Streiks bei Bahn und U-Bahn

Aus Protest gegen das staatliche Versagen bei der Instandhaltung des Bahnnetzes legten Eisenbahner am Donnerstag landesweit für 24 Stunden die Arbeit nieder. Bei der Streik-Ankündigung prangerte der Gewerkschaftsverband der Eisenbahner die jahrelange Vernachlässigung des Schienennetzes durch die verschiedenen Regierungen an.

Die U-Bahn-Mitarbeiter in Athen schlossen sich dem Streik an. Bis Mitternacht (Ortszeit) sollen einer Erklärung zufolge in der Hauptstadt die U-Bahnen still stehen. Das U-Bahn-System leide unter "ähnlichen Problemen" wie das Eisenbahnnetz, hieß es.

Auswirkungen auf die nächste Wahl?

Das Unglück könnte Beobachtern zufolge Auswirkungen auf die anstehenden Parlamentswahlen in Griechenland haben. Diese waren ursprünglich für Anfang April angedacht, werden nun aber möglicherweise verschoben. Manche Beobachter glauben, das Unglück könnte zu einem zweiten Mati werden. 2018 waren in dem Ort vor den Toren Athens verheerende Brände mit mehr als 100 Toten ausgebrochen. Die jetzige Oppositionspartei Syriza hatte damals die anschließende Wahl verloren.

Mit Informationen von dpa und Reuters

Nach dem schweren Zugunglück in Griechenland ist die Zahl der Toten auf 47 gestiegen.
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Nach dem schweren Zugunglück in Griechenland ist die Zahl der Toten auf 47 gestiegen.

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