Corona hat Politik, Gesellschaft und Medien fest im Griff – anderthalb Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie wird noch immer gestritten und berichtet über Maßnahmen und den besten Weg, das Virus einzudämmen.
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Aber: An der Berichterstattung der Medien entzündete sich auch immer wieder Kritik, gerade am Anfang wurde moniert, dass Medien zu oft die Sicht der handelnden Politik transportiert haben. Auch dass zu wenig andere Meinungen gehört wurden, wurde kritisiert. Doch stimmt das so? Dazu sind in dieser Woche zwei Studien erschienen, die die gemeinnützige Rudolf-Augstein-Stiftung in Auftrag gegeben hat.
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Pandemie-Experten im ganzen Land
Rafaela von Bredow, Wissenschaftsjournalistin beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", hat zu Beginn der Corona-Pandemie eine Beobachtung gemacht: Quasi über Nacht seien Millionen Leser und Leserinnen, Zuschauer und Zuhörer zu Pandemie-Experten geworden – mit entsprechenden Begriffen hantierend wie "Herdenimmunität", "Inzidenz" oder "Viruslast". Viele glaubten gar, bessere Erkenntnisse zu haben, als Medien, Medizin oder die Politik.
"Ich als Wissenschaftsjournalistin habe den absoluten Auftrag, aufzuklären, also der Mittler zu sein zwischen den Wissenschaftlern in dem Fall und dem Publikum, was gerade am Anfang überhaupt keine Ahnung hatte, was das für ein Virus ist, was das mit uns macht", sagt von Bredow.
Gerade in der ersten Welle, im Frühjahr 2020, kritisierten Leser und Medienbeobachter, dass eine gewisse Gleichförmigkeit der Berichterstattung von FAZ bis taz zu spüren war.
Was ist dran an Vorwürfen der Einseitigkeit?
Wie haben die Medien genau berichtet angesichts der Virus-Infektionswellen? Das haben sich Wissenschaftler der Uni Mainz und der Ludwig-Maximilians-Universität München angeschaut. Sie analysierten rund 5.000 Beiträge zum Thema Corona in großen deutschen Nachrichtenportalen und bei ARD, ZDF und RTL.
Ihr Ergebnis: Die meisten Berichte waren sachlich, gerade am Anfang überwiegend den Maßnahmen zustimmend, allerdings wurde auch die mangelnde Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der Regelungen thematisiert. Zugleich hätten Medien häufiger über statistische Informationen als über Einzelfälle berichtet. Bei den in der Berichterstattung erwähnten Akteuren zeige sich eine starke Konzentration auf Politiker, während von der Infektion Betroffene und auch sogenannte Corona-Skeptiker kaum vorkamen, heißt es weiter. Dabei habe der Höhepunkt der Medienberichterstattung in der ersten Welle gelegen, obwohl das Infektionsgeschehen in den beiden anderen Wellen deutlich dramatischer ausfiel.
Ab Sommer Kritik von zwei Seiten
Im Sommer letzten Jahres wurde die Kritik dann stärker. Medien zogen das Handeln der Politik in Zweifel. Und das passierte in etwa gleichem Umfang von beiden Seiten: Von denen, denen die Maßnahmen zu weitreichend waren, und von denen, die sie für nicht weitreichend genug hielten. Besonders deutlich wurde das bei der Bildzeitung, die unter anderem kampagnenartig gegen manche Politiker oder den Virologen Christian Drosten anschrieb.
Carsten Reinemann, Medienwissenschaftler an der LMU München, meint, dass es durchaus Situationen geben könne, in denen der Journalismus Maßnahmen der Regierung einhellig begrüße, Stichwort Klimawandel. Relevant ist laut Reinemann aber auch, dass hinterfragt wird, wie stichhaltig Argumente sind.
"Man muss sich ja die Frage stellen: Was ist ausschlaggebend, dass ich jemanden in der Berichterstattung vorkommen lasse, dass ich eine bestimme Ansicht, eine bestimme Meinung in der Berichterstattung vorkommen lasse?", sagt Reinemann. Und wenn Medienschaffende zu dem Urteil kämen, das ist das, was Stand der Wissenschaft und Konsens ist, "dann kann ich nicht vom Journalismus verlangen, dass er abseitige, unbelegte Behauptungen genau in der Art und Weise berücksichtigt, wie er mit einer fundierten Ansicht tun kann."
Kritik: Zu viel Regierungsseite in Talks-Shows
Allerdings, so belegt es eine andere Studie des Medienwissenschaftlers Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin, waren gerade in den Talkshows des Fernsehens überwiegend Politiker der Regierungsseite zu Gast, vor allem Karl Lauterbach, der zwar in der SPD ist, selbst aber kein Regierungsamt bekleidet.
Praktische Ärzte, oder Bürger und Bürgerinnen, die von den Entscheidungen betroffen waren, wurden nur äußerst selten in die Sendungen eingeladen. Das führte, so Faas, zu einer gewissen Schlagseite in der Debatte.
Nur geringe Rolle für Bildungs- und soziale Fragen
Ein Defizit gibt es auch bei den Themen, die im Zusammenhang mit der Pandemie behandelt wurden, stellen die Wissenschaftler fest. So standen vor allem Fragen der wirtschaftlichen Folgen und der Gesundheit im Mittelpunkt. Soziale Probleme oder Bildungsfragen spielten eine geringere Rolle.
Problematisch ist auch, so beschreibt es Sibylle Anderl, Wissenschaftsjournalistin bei der FAZ, dass zu oft in den vergangenen Monaten Studienergebnisse unhinterfragt transportiert wurden. Prognosen wurden so dargestellt, als würden sie sicher eintreffen, ihre Unsicherheit sei zu selten vermittelt worden. "Natürlich muss man das immer mitdiskutieren, wo sind die Unsicherheiten, welche Annahmen machen wir, an welchen Stellen kommen wir mit unseren Zahlen und unserer Wissenschaft an Grenzen", erklärt Anderl.
Bedeutung von Transparenz
Eine höhere Glaubwürdigkeit könnte sicher durch mehr Transparenz erreicht werden, so sagt Sibylle Anderl: Welche Erkenntnisse gibt es, wie sind die zustande gekommen, was darf als gesichert gelten, was weniger?
Angesichts einer neuerlichen Corona-Welle zeigt sich einmal mehr, wie wichtig Transparenz in der Wissenschaftsberichterstattung ist – aber auch kritische Berichte darüber, warum die Politik welche Maßnahmen ergreift.
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