Auf einer Demonstration des Deutschen Bauernverbandes unter dem Motto "Zu viel ist zu viel! Jetzt ist Schluss!" vor dem Brandenburger Tor hält jemand am 18. Dezember ein Schild mit der Aufschrift "Finger weg vom Agrardiesel" hoch.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Fabian Sommer

Protest der Landwirte - Berlin (Archivbild)

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Bauernproteste: Wie steht's um die Landwirtschaft?

Seit Montag demonstrieren Landwirte deutschlandweit, obwohl die Bundesregierung die Streichung von Subventionen zum Teil zurückgenommen hat. Ist das berechtigt angesichts der Lage der Landwirtschaft?

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Tausende Traktoren waren am Montag in Bayern unterwegs zu Demonstrationen - allein in München waren es wohl 5.500 Traktoren, in Mittelfranken 5.000. Die Bauern protestieren gegen geplante Kürzungen bei den Agrardieselsubventionen und wollen, dass der Steuervorteil in voller Höhe erhalten bleibt. Auch Lkw-Fahrer, Wirte, Metzger und auch Jäger zeigten sich solidarisch mit den protestierenden Landwirten und demonstrierten.

Man erfahre großen Zuspruch und Unterstützung von Seiten der Bevölkerung und anderen Branchen, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. Er fordert von der Bundesregierung, die Kürzungspläne nicht nur zum Teil, sondern komplett zurückzunehmen.

Aber es gibt auch Gegenwind: Die SPD fordert, Klima- und Bauernproteste müssten von der Polizei gleich behandelt werden. Und an der Eskalation in Schleswig-Holstein gab es parteiübergreifend Kritik. Ein weiterer Kritikpunkt, der in vielen Kommentarspalten der Social-Media-Kanäle zu lesen ist: Bekommen Landwirte nicht sowieso schon reichlich Subventionen und finden immer einen Grund zu klagen?

Strukturwandel: Weniger Höfe, weniger Tiere

Tatsache ist: Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland geht kontinuierlich zurück. Zwischen 2010 und 2020 sank die Zahl um 36.100 auf 262.800 Betriebe. Das entspricht einer jährlichen Abnahmerate von 1,1 Prozent (2020 zu 2010). Das klingt nicht allzu dramatisch – allerdings hörten in den Jahrzehnten davor schon sehr viele Betriebe auf, sodass bereits ein relativ niedriges Niveau erreicht ist.

Interaktive Grafik: Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe und Größe der landwirtschaftlich genutzten Flächen

Außerdem gibt es Unterschiede: Die Zahl der Betriebe mit Viehhaltung ging in dem Zeitraum um 22 Prozent zurück. Besonders für Schweinehalter waren die vergangenen Jahre schwierig. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der schweinehaltenden Betriebe in Bayern nahezu halbiert, so das Statistische Landesamt in Fürth. Ein wesentlicher Grund waren die über einen längeren Zeitraum niedrigen Preise.

Immer weniger Landwirte ernähren immer mehr Menschen

Die, die weitermachen, müssen größer werden, um sich zu behaupten. Und sie leisten mehr als früher: Mittlerweile ernährt eine angestellte Person in der Landwirtschaft über 137 Menschen. Im Jahr 1949 ernährte ein Mitarbeiter auf einem landwirtschaftlichen Betrieb statistisch nur zehn Personen. Inzwischen arbeiten nur noch 1,2 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland (Stand 2022) in der Landwirtschaft.

Volkswirtschaftlich betrachtet erzielten sie im vergangenen Jahr einen landwirtschaftlichen Produktionswert von rund 76,3 Milliarden Euro – so die erste Schätzung des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BZL). Die pflanzliche Produktion erreicht einen Wert von 37,3 Milliarden Euro (+1,4 Prozent), während die Tierproduktion auf 35,3 Milliarden Euro (-0,8 Prozent) geschätzt wird.

Grafik: Landwirtschaftlicher Produktionswert 2021 bis 2023

Die Frage nach dem Einkommen der Landwirte ist schwer zu beantworten, die Unterschiede zwischen Tierhaltern und reinen Ackerbaubetrieben, zwischen großen und kleinen Betrieben sind enorm.

Nach langen Jahren: Betriebsgewinne zuletzt gestiegen

Prof. Dr. Martin Spreidler ist an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) in Freising zuständig für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Buchführung und Steuerlehre. Er schaut sich regelmäßig die Zahlen der bayerischen Haupterwerbsbetriebe an und hat in den vergangenen Jahren eine Steigerung des Betriebsgewinns beobachten können – nach langen Jahren mit niedrigen Werten.

Im Wirtschaftsjahr 20/21 kamen die hauptberuflich tätigen Bauern im statistischen Mittel auf einen Gewinn von rund 54.000 Euro, im Wirtschaftsjahr 21/22 waren es 69.000 Euro. Davon zahlt sich der Landwirt und mitwirkenden Familienangehörigen den Lohn aus und sollte auch noch Rücklagen bilden können. Dass der Gewinn gestiegen ist, lag unter anderem an den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs mit höheren Preisen für Agrarerzeugnisse.

Ein Blick in den deutschen Agrarbericht zeigt ähnliche Entwicklungen: Zuletzt ist der Gewinn der Betriebe auch bundesweit gestiegen. Es gab hohe Gewinnsteigerungen. Für 21/22 kam es im Mittel zu einem Gewinn pro selbständigem Landwirt von 82.000 Euro – nach Steuern, allerdings mit großen Unterschieden je nach Branche.

In der Tendenz verdienten die bayerischen Landwirte in der Vergangenheit – verglichen mit vollbeschäftigten Arbeitnehmern – unterdurchschnittlich.

Der Unmut ist groß – nicht nur über geplante Kürzungen

Auch die Agrarsubventionen spielen beim Einkommen der Landwirte eine wichtige Rolle und hängen erst mal von der Fläche ab. Auch Umweltleistungen werden honoriert. Ein Ziel der Subventionen sind günstige Lebensmittelpreise, denn ohne Direktzahlungen müssten die Preise für Agrarerzeugnisse höher sein. Wie sehr die geplanten Subventionskürzungen beim Agrardiesel ins Gewicht fallen, ist auch wieder von Hof zu Hof verschieden.

Spreidler hat den Eindruck, dass es bei dem Protest aber weniger um die geplanten Kürzungen geht, sondern der Agrardiesel eher der Tropfen ist, der das Fass jetzt zum Überlaufen bringt. "Der Frust der Landwirte entlädt sich gerade." Und da gehe es nicht nur um Geld, sondern auch um gesellschaftliche Anerkennung, um immer höhere Umweltauflagen und steigende Anforderungen an die Landwirtschaft, zum Beispiel beim Tierwohl - bei gleichzeitig steigenden Kosten. Er fasst die Stimmung so zusammen: "Jetzt ist das Maß voll für viele."

Hohe Erwartungen, niedrige Preise?

Tatsächlich müssen Landwirte zum Beispiel für Maschinen, Dünger und Futtermittel immer tiefer in die Tasche greifen. Auch Stall-Um- und -Neubauten haben sich stark verteuert. Für Familienbetriebe ist das oft kaum mehr zu stemmen. Ein weiterer Kostenfaktor: Die Pachtpreise sind zwischen 2010 und 2020 im Bundesschnitt um 62 Prozent gestiegen. Die Kaufpreise für Agrarflächen gingen noch stärker nach oben.

Viele der Belastungen - zum Beispiel bei den Energiekosten - spüren auch die Verbraucher. Dennoch müssen sie in Deutschland nur einen relativ geringen Teil ihres Geldes für Nahrungsmittel ausgeben. Obwohl die Preise gerade in diesem Bereich stark gestiegen sind, mussten die Deutschen 2022 im Durchschnitt nur 11,5 Prozent ihres Geldes für Lebensmittel verwenden. Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) war der Wert zum zweiten Mal in Folge rückläufig. Nur in Irland, Luxemburg und Österreich geben die Menschen anteilig noch weniger für Nahrungsmittel aus. Der EU-weite Durchschnitt liegt bei 13,6 Prozent.

Grafik: Anteil der Lebensmittel an den Haushaltsausgaben in EU-Ländern

Wenn nun Begünstigungen wie für den Agrardiesel stufenweise wegfallen werden, müssten sie künftig höhere Preise verlangen, heißt es von vielen Landwirten. Aber auch das dürfte nicht so einfach möglich sein - der Handel macht Druck und die Konkurrenz aus dem Ausland ist groß. Und gerade diejenigen, die Verständnis für die Nöte der Bauern zeigen und ebenfalls protestieren wollen - also Lkw-Fahrer, Metzger oder Wirte -, klagen schon jetzt über hohe Preise.

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