Mehr Tierwohl durch den  "Tierwohl-Cent"? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
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Mehr Tierwohl durch den "Tierwohl-Cent"? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

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"Tierwohl-Cent": Mehr Tierwohl – aber wie?

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir möchte mit dem sogenannten "Tierwohl-Cent" Landwirten finanziell unter die Arme greifen, wenn sie in neue Ställe investieren. Kritik aus der Opposition schmettert er ab.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es ist eine alte Idee, die seit kurzem wieder hitzig diskutiert wird – eine Abgabe für mehr Tierwohl, die der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) "Tierwohl-Cent" nennt. Das Konzept: Nach dem Modell der Kaffeesteuer soll auf bestimmte Produkte eine Steuer erhoben werden. Konkret soll Fleisch um wenige Cent verteuert werden und die Einnahmen aus dieser Abgabe soll Landwirten zugutekommen, die in einen neuen Tierwohl-Stall investieren möchten.

So einfach, so kompliziert. Denn diese Einnahmen wären nach dem aktuellen Vorschlag nicht zweckgebunden. Das Geld würde also zunächst in den allgemeinen Bundeshaushalt fließen. Das muss so sein, denn Steuern dürfen nicht zweckgebunden sein. Und dennoch sorgt das für Kritik.

Kommt das Geld auch bei den Landwirten an?

Benedikt Decker, Schweinehalter aus Wittislingen im schwäbischen Landkreis Dillingen, findet es zwar grundsätzlich richtig, Landwirte bei Umbauten zu unterstützen. Er selbst hält seine Schweine in Haltungsstufe 2 und kann sich vorstellen, irgendwann so umzubauen, dass er auf Haltungsstufe 3 oder 4 kommt. Dennoch glaubt er nicht daran, dass ihm der Tierwohl-Cent helfen könnte. Die Sorge: Wenn das Geld nicht zweckgebunden ist, dann könnte es auch für andere Zwecke als den Umbau der Tierhaltung eingesetzt werden. "Wie wird sichergestellt, dass das Geld wirklich da ankommt, wo es gebraucht wird, nämlich bei den Landwirtinnen und Landwirten?", fragt sich Decker.

Aus dem bayerischen Landwirtschaftsministerium kommt ähnliche Kritik. Ministerin Michaela Kaniber (CSU) betrachtet den "Tierwohl-Cent" als eine "aus der Hüfte geschossene und nicht zu Ende gedachte Idee", die vom Protest gegen die auslaufende Agrar-Diesel-Unterstützung ablenken soll.

Özdemir ärgert sich über Kritik aus der Opposition

Diese Kritik von der CSU und auch der CDU lässt der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir so aber nicht gelten und wirft der Union stattdessen Heuchelei vor, denn das Konzept "Tierwohl-Cent" wurde ursprünglich von der sogenannten Borchert-Kommission 2020 entworfen. Das Experten-Team wurde von der damaligen CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Leben gerufen. "Der falsche Minister von der falschen Partei setzt schwarze Ideen um – dann sind die Ideen auf einmal falsch. Wenn sie Schwarze vorschlagen, sind sie richtig."

Der Bundeslandwirtschaftsminister ist sich sicher, dass die Koalition geeignete Wege für die Umsetzung des "Tierwohl-Cents" finden würde. Er sei auch offen für Vorschläge und könne sich nach wie vor auch vorstellen, die Mehrwertsteuer auf Fleisch von 7 auf 19 Prozent zu erhöhen. Das wäre der unbürokratischere Weg als die neue Abgabe. So oder so erwarte er von der Opposition konstruktive Vorschläge statt politisches Kalkül.

Viele Landwirte fragen sich indes auch, wie hoch die Abgabe tatsächlich wäre, denn bislang ist nicht klar, wie viele Cent mit dem "Tierwohl-Cent" tatsächlich gemeint sind. Als das Konzept 2020 von der Borchert-Kommission entworfen wurde, war von 40 Cent pro Kilo Fleisch die Rede. Der Bundeslandwirtschaftsminister spricht nun von "maximal 10 Cent" pro Kilo, denn er möchte erstmal vorrangig Schweinehalter finanziell unterstützen. Die Tierwohl-Abgabe würde jegliches Fleisch betreffen.

Im Video: Mehr Geld für bessere Ställe? Warum der Tierwohl-Cent für Kritik sorgt

Welche Preiserhöhung würden Verbraucher akzeptieren?

Welche Auswirkungen diese Preiserhöhungen auf das Kaufverhalten hat, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Umfragen zeigen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher bereit seien, für mehr Tierwohl mehr zu bezahlen, vor allem, wenn es um Cent-Beträge gehe, sagt Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale München. Hauptsache sei, dass die Preiserhöhung zeitlich beschränkt und gut kommuniziert werde, sodass die Verbraucher wissen, warum sie mehr zahlen.

Ganz anders sehen das viele Menschen aus den BR24-Kommentarspalten, die von einer "heimlichen Steuererhöhung" sprechen und diese in der aktuellen Zeit für unzumutbar halten. Auch Schweinehalter Benedikt Decker sorgt sich darum, dass die Preiserhöhung Auswirkungen auf die Nachfrage hat. Er vermutet, dass Özdemir den Fleischkonsum durch einen "Tierwohl-Cent" indirekt senken möchte, denn im Eckpunkte-Papier ist auch von "ernährungspolitischen Vorhaben" die Rede.

Ferkel-Erzeuger besonders gefährdet

Stephan Neher, Vorstandsvorsitzender der Ringgemeinschaft Bayern, glaubt nicht daran, dass der "Tierwohl-Cent" Landwirte davon überzeugt, jetzt ein hohes finanzielles Risiko einzugehen. Dafür bräuchte es verbindliche Zusagen über zwei Jahrzehnte. Für bayerische Ferkel-Erzeuger sieht er deshalb schwarz. Die müssen ihre Ställe in den nächsten Jahren vergrößern und zum Beispiel garantieren, dass Sauen im Deckzentrum 5 Quadratmeter Platz haben. Dafür seien für die meisten Schweinehalter aber Umbaumaßnahmen nötig, die viele aber nicht mehr bezahlen können oder wollen. Aus dem direkten Bekanntenkreis von Neher hören ihm zufolge gerade sechs Ferkel-Erzeuger auf. Bald werde es kaum mehr Ferkel aus Bayern geben, fürchtet er.

Gesamtkonzept soll im Sommer kommen

Ob der Tierwohl-Cent kommt oder nicht, ist noch ungewiss, auch weil das Bundesfinanzministerium von Christian Lindern (FDP) offenbar noch Bedenken hat. Zum einen fürchtet das Ministerium einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Zum anderen werde es keine neuen Steuern oder Steuererhöhungen mit der FDP geben, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Bundestag, Christoph Meyer.

Bemerkenswert ist, dass die FDP in dieser Frage anscheinend gespalten ist. Denn Carina Conrad, ebenfalls stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, sagte, sie sei die Letzte, die gegen eine Tierwohl-Abgabe ankämpfen würde, wenn sie sich rechtssicher umsetzen lasse. Und auch der FDP-Agrarpolitiker Gero Hocker sei dafür, wenn es eine europarechtlich saubere Lösung dafür gebe.

Bis zum Sommer will sich die Ampel-Koalition auf jeden Fall darüber einig werden und ein Gesamtkonzept für den Umbau der Tierhaltung vorlegen.

Im Video: Kommt der "Tierwohlcent"? Özdemir legt Konzept vor

Eine Tierwohl-Abgabe zur Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland rückt näher.
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Eine Tierwohl-Abgabe zur Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland rückt näher.

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