25.06.2023, Bayern, München: Gesetzestexte werden von einer Frau bei einer Protestaktion am Eingang des Justizministerium in der Innenstadt angebracht.
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Archivbild: 25.06.2023, Bayern, München: Gesetzestexte ans Justizministerium geklebt ...

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Staatliche Überwachung: Warum sind Medien besonders geschützt?

Über Monate wurde das Pressetelefon der "Letzten Generation" durch das Bayerische Landeskriminalamt überwacht. Ist das ein Angriff auf die Pressefreiheit? Eine Frage, die nicht nur für die Medien wichtig ist, sondern für die gesamte Gesellschaft.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Medien am .

Wenn Journalisten das tun, was ihr Job ist, sind sie auf Quellen angewiesen, die ihnen Informationen zuspielen. Und dann berichten sie über Missstände und schauen den Mächtigen auf die Finger: Sie schreiben über Korruption und Bestechung, erzählen von dem vertuschten Umweltskandal, zeigen Vetternwirtschaft auf oder decken Steuerhinterziehung auf. Enthüllungen, die für das Funktionieren einer Demokratie und das Gemeinwohl wichtig sind.

Lebensversicherung Quellenschutz

Damit Journalistinnen wie Verena Nierle von BR Recherche, dem Investigativ-Team des Bayerischen Rundfunks an solche Informationen kommen können, müssen sie das Vertrauen von Menschen gewinnen. Denjenigen, die ihnen von geheimen Missständen erzählen können, den Quellen. Diese sogenannten Whistleblower müssen sicher sein können, dass ihre Identität nicht bekannt wird. Wie auch bei der aktuellen Recherche der Redaktion: Wie China Einfluss auf die UN-Ernährungsorganisation nimmt.

"Informantenschutz ist unsere Lebensversicherung als Investigativ-Team", sagt Verena Nierle. Schon vor einigen Jahren hat BR Recherche Leitsätze für seine Arbeit formuliert. Da heißt es: "Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um Informanten zu schützen. "Was das konkret bedeutet, variiert von Fall zu Fall und ist immer das Ergebnis einer Risikoabwägung, erklärt Verena Nierle "Wie gefährdet ist der Informant? Ist er der einzige, der die Information hat? Welche Folgen drohen, wenn er enttarnt wird? Drohen ihm juristische Schritte oder droht eine Gefahr für sein Leben?"Am Ende gilt: Wenn der Schutz nicht gewährleistet ist, kann die Recherche nicht veröffentlicht werden, so Verena Nierle.

Juristische Abwägung

Der Wert von journalistischen Recherchen für die Gesellschaft ist auch von staatlicher Seite anerkannt. Daher sind Medien rechtlich besonders geschützt. Mit Artikel 5 des Grundgesetzes ist die Pressefreiheit in der Verfassung festgesetzt. Aber auch durch viele andere Gesetzestexte wird die Arbeit von Journalisten gesichert.

Journalisten sind demnach auch Berufsgeheimnisträger, ähnlich wie Pfarrer oder Anwälte. Sie haben ein umfangreiches Zeugnisverweigerungsrecht, das bedeutet, sie müssen ihre Quellen auch in Gerichtsprozessen nicht offenlegen Aus diesem Grund ist auch die Durchsuchung von Redaktionen oder das Abhören von Medienschaffenden sehr streng geregelt. Abgesehen von eigenen Straftaten des Journalisten sind solche Maßnahmen "faktisch nicht zulässig", wie der Münchner Strafrechtler Erik Buhlmann erklärt.

Im Einzelfall muss immer ein Richter entscheiden, was wichtiger ist: die Pressefreiheit oder die Verfolgung einer mögliche Straftat, wie sie bei der letzten Generation vermutet wurde. Dabei seien aber Gesetz und Rechtsprechung sehr klar mit ihren Richtlinien, so Erik Buhlmann. "Wie ist denn die Aufklärungswahrscheinlichkeit? Wie gewichtig ist der Vorwurf? Habe ich mildere Mittel, die weniger in Rechte und Grundrechte eingreifen und mich zum gleichen Ziel bringen?"

Mitwisserschaft reicht nicht aus

Für das Einschränken der Pressefreiheit reicht es dabei meist nicht aus, wenn Journalisten im Rahmen ihrer Recherchen von Straftaten erfahren, also quasi zu Mitwissern werden. "Das ist ein weitverbreiteter Irrtum," so der Strafrechtler Erik Buhlmann. "Das kommt in jedem zweiten Tatort vor, bei juristischer Betrachtung ist es aber unzutreffend.“ Nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen würden sich Journalisten strafbar machen, "wie zum Beispiel bei Mord, Totschlag oder Raub. Die Nichtanzeige von anderen Straftaten ist straflos." Dazu zähle auch das Ankleben auf Straßen zum Beispiel.

Ausnahme Gefahrenabwehr?

Doch was ist mit einer möglichen Gefahrenabwehr, wenn also die öffentliche Sicherheit gefährdet sein könnte? Die Aktionen der "Letzten Generation" werden ja zum Teil in diese Kategorie eingeordnet. Auch in diesem Fall gelten enge Grenzen für eine Einschränkung der Pressefreiheit, etwa durch Überwachung. Gefahrenabwehr als Begründung könne nur gelten, "wenn ganz gewichtige Rechtsgüter wie zum Beispiel das Leben bedroht sind und auf andere Weise Aufklärungsmaßnahmen überhaupt nicht möglich sind", so der Strafrechtler Erik Buhlmann.

Pressefreiheit immer wieder in der Diskussion

Der Fall, bei dem das Pressetelefon der "Letzten Generation" abgehört wurde, ist dabei nicht der einzige in Deutschland, bei dem es um die wichtige Abwägung geht, ob wegen möglicher Straftaten die Pressefreiheit eingeschränkt werden kann. Beim G20-Gipfel vor einigen Jahren in Hamburg wurde mehreren Reportern die Akkreditierung entzogen. Auch bei der Räumung des Dorfes Lützerath zu Beginn des Jahres, das dem Braunkohletagebau in NRW weichen musste, wurde bemängelt, dass nicht alle Journalisten ohne Behinderungen berichten konnten. Und auch in diesem Jahr wurde Radio Dreyeckland durchsucht. Der Grund: Der freie Sender aus Freiburg hatte in einem Artikel auf eine verbotene Organisation verlinkt. Das ist nicht grundsätzlich strafbar, außer wenn Journalisten zu Aktivisten werden. Ob das im Fall von Radio Dreyeckland zutrifft, klärt nun ein Gericht.

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