Schaden Einsparungen beim Elterngeld der Gleichberechtigung?
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Schaden Einsparungen beim Elterngeld der Gleichberechtigung?

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Soziologin Allmendinger kritisiert Wut über Elterngeldkappung

Eine Kappung beim Elterngeld sei ein Schritt zurück in alte Rollenbilder, fürchten Betroffene und Kritiker. Die Soziologin Jutta Allmendinger dagegen, die zu Geschlechtergerechtigkeit forscht, wundert sich über die breite Front gegen die Kürzung.

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Die Bundesregierung will das Elterngeld kappen: Wenn es so kommt wie derzeit geplant, werden Paare ab 150.000 Euro zu versteuerndem Einkommen kein Elterngeld mehr erhalten.

Als diese Nachricht Anfang der Woche bekannt wurde, war die Empörung groß. Eltern äußerten sich in den sozialen Netzwerken, eine Petition hat am Freitagabend bereits mehr als eine halbe Million Unterschriften erhalten. Mit scharfen Worten kritisierte etwa auch Elke Hannack, Vize-Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), die Entscheidung: "Jetzt das Elterngeld zusammenzustreichen, ist nichts anderes als gleichstellungspolitischer Irrsinn", sagte sie - ein Vorschlag "ohne Sinn und Verstand". Sie sieht die Gleichstellung von Frauen und Männern, deren Ziel das Elterngeld ursprünglich war, in Gefahr. Doch es gibt auch andere Stimmen. Eine gehört der Soziologin Jutta Allmendinger.

Soziologin sieht Schieflage bei Wahrnehmung in der Gesellschaft

Allmendinger ist Mitglied unter anderem in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und forscht als Professorin zum Thema Geschlechtergerechtigkeit, insbesondere in der Arbeitswelt. "Dass etwa eine halbe Million Menschen diese Petition unterschrieben hat - also viel viel mehr, als davon betroffen sind - das ist etwas, was mich dieser Tage sehr beschäftigt", sagt sie. Der Vorschlag, bei den reicheren Familien das Elterngeld zu kappen, werde in der Gesellschaft als Entzug von Sozialleistungen für alle interpretiert. "Dass das aber nur für Reichere gilt, wird weggedrückt", so die Soziologin.

Trotz Elterngeld nur selten gleiche Verteilung der Care-Arbeit

Betroffen seien Paare, die in den oberen fünf Prozent der Einkommensverteilung liegen und damit verhältnismäßig wenige. "Niemand wird sagen, nicht mal die Betroffenen, dass sie das in Armut oder in prekäre Verhältnisse stürzt", so Allmendinger. Ihrer Meinung nach ist das Elterngeld – so wie es derzeit ausgestaltet ist – ohnehin kein Schlüssel für mehr Gleichberechtigung.

So sei es bei der Einführung des Elterngeldes 2007 zwar eines der Ziele gewesen, mehr gut verdienende Männer dazu zu bewegen, Elternzeit zu nehmen und länger für die Kinder zu sorgen. Doch das Ziel, Erwerbsarbeit und Care-Arbeit gleich zwischen den Partnern zu verteilen, habe sich nicht realisiert, stellt die Soziologin fest. "Da ist noch sehr viel Luft nach oben." So beziehen nach ihren Worten 98 Prozent der Frauen Elterngeld - für rund 13 Monate. Bei den Männern hingegen seien es nur 44 Prozent – und diese kümmerten sich im Durchschnitt lediglich für drei Monate um den Nachwuchs.

Folgen für Paare, die in etwa gleich verdienen

Bei den sehr gut verdienenden Männern sei die Gruppe derer, die Elternzeit nehmen, noch kleiner. Dabei hätte das Elterngeld gerade für die Manager, die Chefredakteure und Politiker ein Anreiz sein sollen. "Insofern frage ich mich, warum wir jetzt genau dieses Argument ziehen, wenn wir seit der Einführung des Elterngelds 2007 eigentlich diese Gruppe gar nicht als Gamechanger identifizieren können", so Allmendinger.

Spannend werde es bei Partnern, die in etwa gleich verdienen: "Man könnte fast spekulieren, dass die betroffenen Frauen jetzt eine höhere Verhandlungsmacht haben. Die könnten sagen: 'Ich bekomme nichts, du bekommst nichts, also teilen wir uns das jetzt gleich auf.'" Die tatsächlichen Folgen seien aber noch nicht absehbar.

Allmendinger: Kappung "angemessen" - aber nicht sofort

Angesichts der Optionen, die Finanzminister Lindner (FDP) Familienministerin Paus (Grüne) gegeben habe – nämlich eine allgemeine Kürzung des Elterngeldes –, hält Soziologin Allmendinger die Kappung für "angemessen". "Als Frau Paus hätte ich mich wahrscheinlich auch dafür entschieden, dass, wenn ich sparen muss, das bei einkommensreichen Familien zu tun." Für falsch hingegen hält sie die sofortige Umsetzung der Kappungen beim Elterngeld. Es brauche eine Übergangszeit, damit sich die betroffenen Eltern darauf einstellen könnten.

Mehr verpflichtende Monate Elternzeit für Väter?

Damit das Elterngeld tatsächlich ein Instrument für mehr Geschlechtergerechtigkeit werden kann, müsste nach Meinung der Wissenschaftlerin die Politik an einem anderen Rad drehen: Und zwar indem sie Väter dazu motiviere, mehr Monate Elternzeit zu nehmen. Allmendingers Idee: Familien sollten nur die vollen 14 Monate gezahlt bekommen, wenn der Vater auch mindestens vier oder fünf Monate das Kind versorgt – und nicht wie aktuell lediglich zwei. Auch eine Prämie bei einer gleichen Aufteilung der Elternzeitmonate könnte ihrer Meinung nach zu einem Erfolg führen.

Soziologin sorgt sich um diejenigen, die nicht gehört werden

Dass sich bereits mehr als eine halbe Million Menschen der Petition angeschlossen haben, das Elterngeld für die Besserverdienenden zu retten, zeigt laut der Soziologin, dass diese Gruppe eine große Netzwerkmacht habe. "Sie setzen sich wesentlich eher zur Wehr als die vielen Menschen, die nicht die öffentliche Stimme bekommen, die sie eigentlich bräuchten. Und das ist ein gefährlicher Prozess, den wir hier erleben", sagt die Soziologin. So habe eine laufende Petition der geringverdienenden Eltern, den Elterngeld-Mindestsatz von 300 Euro anzuheben, weit weniger Unterschriften gesammelt. Dabei lebten derzeit etwa drei Millionen Kinder in Armut.

Familienvater ist für Elterngeld - und für Kindergrundsicherung

Reinhard Rucker ist vor einigen Jahren Vater geworden und hat damals sieben Monate Elternzeit genommen, seine Frau ebenfalls. Das Thema Elterngeldkappung sei gerade ein Aufreger, auch bei ihm in der Arbeit, sagt der 35-Jährige. Zusammen mit anderen Kollegen engagiert er sich bei einem betrieblichen Väter-Netzwerk. Er selbst wäre von der Kürzung vermutlich nicht betroffen, sagt er, aber: "Ich sehe die Gefahr, dass es einen Rückschritt geben wird, was Gleichberechtigung angeht."

Auch Rucker sieht - wie Allmendinger - Nachholbedarf bei der Kindergrundsicherung, also bei der Unterstützung für Kinder, die in Armut aufwachsen. Nur versteht er nicht, warum überhaupt an Kindern oder Eltern gespart wird. "Ich finde, dass das Ehegatten-Splitting abgeschafft werden sollte, da wäre wahrscheinlich viel mehr Geld zu holen."

Soziologin Jutta Allmendinger sieht das übrigens ähnlich. Ihrer Erkenntnis nach ließen sich dadurch leicht Milliarden einsparen. "Aber das ist ein No-No beim Koalitionspartner FDP."

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