Eine Frau hält eine Geldbörse mit Banknoten in der Hand.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Monika Skolimowska

In Deutschland ist eine neue Debatte über eine geplante Reform des Bürgergelds entbrannt. Jobverweigerer sollen künftig weniger Geld erhalten.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Nicht "mit Menschenwürde vereinbar"? Kritik an Bürgergeld-Reform

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das Bürgergeld reformieren: Wer sich vehement weigert, einen zumutbaren Job anzunehmen, dem soll der Regelsatz für bis zu zwei Monate gestrichen werden. Doch nicht bei allen kommt der Vorschlag gut an.

Über dieses Thema berichtet: Nachrichten, Regionales, Wetter, Verkehr am .

Ein Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat am Donnerstag für Schlagzeilen gesorgt: Der SPD-Politiker will die Sanktionen für Bürgergeld-Empfänger verschärfen, wenn sie Stellenangebote des Jobcenters kategorisch ablehnen. Laut Heils Entwurf könnte ihnen dann der Regelsatz für bis zu zwei Monate vollständig gekürzt werden. Doch die Resonanz auf die Pläne ist uneindeutig. Während Politiker von FDP und der Union den Vorstoß begrüßten, warnen Sozialverbände sowie die Grünen, die Jusos und die Linke vor heftigen sozialen Folgen.

Grünes Licht von Finanzminister Lindner

Das Reformvorhaben wird derzeit noch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Bundesfinanzminister Christian Lindner signalisierte aber bereits Zustimmung. "Damit setzt der Arbeitsminister nicht nur seinen Beitrag zum Haushaltskonzept 2024 um. Vor allem wird die Akzeptanz des Sozialstaats gestärkt, wenn auch Gegenleistungen gefordert werden", so der FDP-Chef.

Um die angespannte Haushaltslage im Bund ein wenig zu entschärfen, hat Lindner alle Ministerien zum Sparen aufgerufen. Dieser Forderung will das Arbeitsressort unter anderem mithilfe der Bürgergeld-Reform nachkommen. Laut Gesetzentwurf könnte der Bund durch die Sanktionsverschärfung rund 150 Millionen Euro pro Jahr einsparen.

CSU plädiert weiter für generelle Abschaffung des Bürgergelds

Nach Ansicht von Christian Lindner dürften die aktuellen Überlegungen auch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Im kommenden Jahr müsse weiter in diese Richtung gedacht werden, sagte der Finanzminister. "Das System unserer Sozialleistungen muss daraufhin geprüft werden, dass sich Arbeit stets mehr lohnt als der Verzicht auf einen Job."

Zuspruch bekam Heil auch aus der Union. "Das Bürgergeld ist das soziale Netz in unserem Land, aber Solidarität darf eben keine Einbahnstraße sein", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Marc Biadacz. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ging sogar noch einen Schritt weiter. Er forderte die komplette Abschaffung des Bürgergelds. "Mit dem Bürgergeld belohnt die Ampel die Faulen, aber vor allem treibt sie diejenigen, die rechnen können, in die Sozialhilfe", betonte er.

Vorsichtige Zustimmung aus der SPD

Weniger eindeutig sind die Sichtweisen innerhalb Heils eigener Partei. Aus der SPD kamen unterschiedliche Reaktionen. Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, betonte, es gehe um eine wirklich sehr kleine Zahl von Menschen, die sich konsequent allen Angeboten verweigerten. "Und genau an dieser Stelle ist es dann vertretbar, die Sanktionsmöglichkeiten zu verschärfen. Das ist am Ende auch eine Frage der Gerechtigkeit", erklärte er.

Juso-Chef Türmer: Vorschlag mit Menschenwürde nicht vereinbar

Massive Kritik kommt dagegen von den Jusos. Die Nachwuchsorganisation der SPD warf Heil vor, Menschen als Sanktion hungern zu lassen. "Der Vorschlag sämtliche Leistungen abseits der Miete zu streichen, ist weder mit der Menschenwürde noch mit dem Grundgedanken des Bürgergelds vereinbar", sagte Juso-Vorsitzende Philip Türmer dem "Tagesspiegel" (Externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt).

Türmer ergänzte, das Bürgergeld sollte eine Abkehr von der Hartz-IV-Ideologie darstellen, damit Sozialhilfeempfänger nicht ständig den Entzug ihrer Lebensgrundlage fürchten müssten. Diese permanente über den Köpfen schwebende Drohung dürfe nicht wieder in das Leben der Bürgergeldempfänger zurückkehren. Die vorgeschlagene Verschärfung der Sanktionen bewirke aber genau das.

Grüne sorgen sich um Sozialstaat, Linke will Reiche stärker besteuern

Der Grünen-Arbeitsmarktexperte Andreas Audretsch warnte im "Spiegel" (Externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt) davor, zu überziehen: "Artikel eins unseres Grundgesetzes garantiert allen Menschen in Deutschland ein Leben in Würde". Anhand dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts werde man jeden Vorschlag zur Reform prüfen und messen, kündigte er an.

Die Grüne Jugend warf Arbeitsminister Heil vor, die Zustimmung zum Sozialstaat zu untergraben. Katharina Stolla, Co-Chefin der Grünen Jugend, sagte dem Nachrichtenmagazin, Heil befeuere mit seinem Vorstoß lediglich ein allgemeines Misstrauen gegenüber Arbeitslosen noch weiter. Statt Kürzungen vorzunehmen, sei es nötig, dass der Sozialstaat "großflächig ausgebaut" werde. Alles andere sei "unehrlich und ignorant gegenüber den vielen Menschen, die durch persönliche Schicksale und komplizierte Biografien auf Sozialhilfe angewiesen" seien.

Auch die Linke wehrte sich gegen die Reformpläne. Die Ampel-Regierung saniere auf dem Rücken der Menschen mit wenig Geld den Haushalt, trete nach unten und spiele Menschen gegeneinander aus, sagte Parteichef Martin Schirdewan. Und das alles nur, weil sie nicht bereit sei, Reiche und Vermögende stärker zu belasten.

Sozialverbände warnen: Sanktionen verschärfen Leid

Ähnlich sehen es Sozialverbände. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband warnte in der ARD, die Bundesregierung treibe Menschen ins Elend. Von der Diakonie hieß es, Sanktionsmaßnahmen seien wie schon beim Bürgergeld-Vorgänger Hartz IV kontraproduktiv.

"Aus unserer täglichen Beratungspraxis wissen wir, dass Sanktionen besonders Menschen mit besonderen Problemen hart treffen, zum Beispiel jene, die nicht gut lesen und schreiben können, oder Personen mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen", sagte die Vorständin der des evangelischen Sozialverbands, Maria Loheide, in Berlin. Zusätzlicher Druck durch Sanktionen verschärfe deren Lage nur und trage nicht zur Lösung ihrer individuellen Probleme bei, sagte sie.

  • Zum Artikel: Bürgergeld statt Hartz IV: Die wichtigsten Fragen und Antworten

Regelsatz soll wegfallen - Wohnkosten werden weiter übernommen

Am Donnerstag hatte das Bundesarbeitsministerium einen Gesetzentwurf veröffentlicht, wonach Sanktionen für Bürgergeld-Bezieher verschärft werden sollen, die immer wieder zumutbare Arbeitsangebote ablehnten. Der Staat soll ihnen vorübergehend nur noch die Kosten für Unterkunft und Heizung zahlen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Der Bürgergeld-Regelsatz – 563 Euro im Monat für Alleinstehende – soll für zwei Monate ausgesetzt werden.

Mit Material von dpa und KNA.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!