Demonstranten halten während eines Auftritts von Wirtschaftsminister Habeck in Bayreuth Plakate mit Aufschriften wie "Lügner" und Kriegstreiber"
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Demonstranten halten während eines Auftritts von Wirtschaftsminister Habeck in Bayreuth Plakate mit Aufschriften wie "Lügner" und Kriegstreiber"

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Querdenker und extreme Rechte trommeln für "heißen Herbst"

"Kriegstreiber", "Lügner", "Volksverräter": Bei seiner Sommertour durch Deutschland wird Wirtschaftsminister Habeck immer wieder von beleidigenden Sprechchören empfangen. Hinter der Kampagne gegen Habeck und andere Politiker stehen rechte Netzwerke.

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Seit Wochen wird insbesondere in einschlägigen Telegram-Kanälen dazu aufgefordert, gezielt Auftritte von Politikerinnen und Politikern zu stören. Vorbild für die Aktionen ist unter anderem eine rechtsextreme Kampagne in Österreich gegen Bundespräsident Alexander van der Bellen. In Deutschland sind neben grünen Führungsfiguren wie Robert Habeck und Claudia Roth auch Unions-Vertreter im Visier, etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder oder auch Landesgesundheitsminister Klaus Holetschek.

Das Ziel der Kampagne: Egal, wo die Politiker auftreten – ob beim Bieranstich im Volksfestzelt, beim Jubiläum des Trachtenvereins, beim Tag der offenen Tür der Staatskanzlei oder beim Bürgerdialog auf dem Marktplatz – überall soll ihnen der "Volkszorn" entgegengeschrien werden. "Trommeln, Megaphone, Fahnen, Transparente erwünscht", heißt es beispielhaft in einem Aufruf, den Auftritt von Ministerpräsident Söder beim Tag der Franken in Aschaffenburg zu stören.

Oftmals verpuffen die Protestaufrufe folgenlos, nur selten lassen sich mehr als eine Handvoll Personen mobilisieren. Vergangene Woche allerdings war das anders.

Querdenker mobilisieren gegen Habeck

Als Robert Habeck auf dem Ehrenhof in der Innenstadt von Bayreuth seine Energiepolitik erklären will, buhen ihn rund 100 Demonstranten lautstark aus, beschimpfen ihn als Kriegstreiber und Lügner. Unter ihnen sind nach BR-Informationen mehrere Mitglieder der Querdenker-Szene, die mehrfach an Veranstaltungen von Corona-Leugnern in Nürnberg teilgenommen haben. Kein Zufall: Nachdem fast alle Corona-Beschränkungen inzwischen gefallen sind und eine Impfpflicht nicht mehr zur Debatte steht, haben sich viele sogenannte Querdenker längst einem neuen Thema zugewandt: dem Ukraine-Krieg beziehungsweise den ihrer Ansicht nach ungerechtfertigten Sanktionen gegen Russland, die Deutschland ins Chaos stürzen würden.

Antisemitische Stereotype

Für die Szene ist es fast schon egal, ob es bei ihren Kampagnen nun um Gesundheits-, Klima- oder Geopolitik geht. Ideologische Basis der Proteste ist und bleibt eine Ideologie, die auf das antisemitische Stereotyp zurückgreift, wonach hinter allem die angebliche Weltverschwörung einer globalen Machtelite steckt.

Robert Habeck ist für die Querdenker ein besonderes Feindbild – ist er für sie doch Teil einer "ideologisch verblendeten Schicht von Öko-Extremisten", wie es in einem per Telegram verbreiteten Aufruf heißt. Zudem hat sich der Wirtschaftsminister schon vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine für Waffenlieferungen in das bedrohte Land stark gemacht.

So hat es gegen Habecks Auftritt in Bayreuth schon im Vorfeld eine breite Mobilisierung gegeben – insbesondere auf extrem rechten Kanälen wie dem der sogenannten Freie Sachsen, deren Abonnentenzahlen in die Hunderttausende gehen. Auf denselben Plattformen wird der lautstarke Protest anschließend als angeblicher Auftakt für einen kommenden "heißen Herbst" bejubelt. Das extrem rechte Compact-Magazin beschwört in unverblümtem Nazijargon gar einen neuen "Volks-Sturm" gegen den "Volksfeind" Habeck.

Vorbild Österreich?

Die Idee, auf kleinere Vor-Ort-Aktionen gegen Politikerinnen und Politiker zu setzen, statt auf große Demonstrationen, wurde in den vergangenen Monaten auch in Österreich sichtbar. Dort warben Aktivisten aus den Kreisen der extrem rechten Identitären Bewegung (IB) für solche Aktionsformen. Diese seien eine "gute Möglichkeit, um eine echte dissidente und patriotische Graswurzelbewegung und Kultur aufzubauen". Der Kopf der IB in Österreich, Martin Sellner, schwärmte gar von einer "Revolutions- und Wendestimmung". Er veröffentlicht aktuell im Netz Termine des grünen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen, damit andere Akteure dort gezielt stören können. Bilder und Videos der Störaktionen werden dann im Netz und in Telegram-Kanälen gepostet. Eine altbekannte Taktik der IB, die es trotz ihres Namens tatsächlich nie geschafft hat, eine Bewegung zu werden, dafür aber zeitweise sehr geschickt darin war, Kleinstaktionen öffentlichkeitswirksam als große Protest-Events erscheinen zu lassen.

Droht eine weitere Radikalisierung?

Auch in Deutschland versuchen Aktivisten und extrem rechte Publikationen die derzeit noch vereinzelten Proteste als große Volksbewegung darzustellen: "Der heiße Herbst beginnt dieses Mal schon im Sommer!", heißt auf einem Telegram-Kanal. Und auf einem anderen: "Bisher haben die Deutschen die Russland-Sanktionen und die dadurch ausgelöste massive Inflation scheinbar klaglos hingenommen. Seit Bayreuth könnte Schluss sein."

Ob es im Herbst tatsächlich zu einer breiten rechten Protestbewegung kommen wird, muss sich zeigen. Sicher aber ist, dass aktuell in einigen Regionen trotz des Endes der Corona-Einschränkungen immer noch wöchentlich hunderte Querdenker, Corona-Leugner und extreme Rechte gemeinsam auf die Straße gehen – zum Beispiel in Memmingen und München – und dass sie fast nirgends auf relevanten Widerstand aus der Zivilgesellschaft stoßen.

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Dass die Behörden Verstöße gegen Versammlungsverbote und -auflagen ebenso wie volksverhetzende Inhalte bei den Protesten vielerorts kaum ahnden, hat die Szene zu immer neuen Grenzüberschreitungen ermutigt – und immer wieder auch zu Gewalt etwa gegen Medienvertreter und Polizei. Eine anhaltende Inflation und explodierende Heizkosten sowie mögliche neue Hygiene-Maßnahmen bei steigenden Corona-Zahlen könnten die Szene im Herbst tatsächlich noch weiter radikalisieren.

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