24.02.22, Frankfurt am Main: Der Angeklagte und mutmaßliche Verfasser der "NSU 2.0"-Drohschreiben mit Handschellen im Verhandlungssaal.
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24.02.22, Frankfurt am Main: Der Angeklagte und mutmaßliche Verfasser der "NSU 2.0"-Drohschreiben mit Handschellen im Verhandlungssaal.

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Prozess um "NSU 2.0"-Drohschreiben: Fast sechs Jahre Haft

Drohschreiben vor allem an Frauen, unterschrieben mit "NSU 2.0": Dafür muss der 54-jährige Alexander M. für fünf Jahre und zehn Monate in Haft. Das hat das Landgericht Frankfurt am Main entschieden.

Im Prozess wegen der Drohschreiben mit der Unterschrift "NSU 2.0" ist das Urteil gefallen: Der Angeklagte Alexander M. muss für fünf Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Das Frankfurter Landgericht sprach ihn schuldig – unter anderem der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, der Volksverhetzung, der Störung des öffentlichen Friedens, der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, der Bedrohung sowie der Beleidigung.

Die Staatsanwaltschaft hatte im Oktober siebeneinhalb Jahre Haft für den 54-Jährigen gefordert. Sie warf ihm unter anderem Beleidigung und versuchte Nötigung vor – sowie Störung des öffentlichen Friedens und Volksverhetzung. Alexander M. wies die Vorwürfe stets zurück und forderte einen Freispruch.

Drohschreiben zwischen 2018 und 2021 verschickt

Das Gericht ist sich dagegen sicher: Alexander M. hat zwischen Anfang August 2018 und Ende März 2021 per E-Mail, SMS oder Fax Drohschreiben mit volksverhetzenden, beleidigenden und drohenden Inhalten an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verschickt. Der Arbeitslose hatte vor allem Frauen und ihre Familien im Visier, darunter die Kabarettistin Idil Baydar, die Publizistin Hengameh Yaghoobifarah, die ARD-Moderatorin Anja Reschke und Politikerinnen wie die heutige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Laut der Anklage waren es 81 Drohschreiben. Unterschrieben waren diese mit "NSU 2.0" – eine Anspielung auf die Neonazi-Terroristen, die zwischen 2000 und 2007 deutschlandweit zehn Menschen ermordeten.

"Letztes Wort": Angeklagter weist Vorwürfe erneut zurück

In seinem "letzten Wort" vor Gericht wies der Angeklagte am Donnerstag erneut alle Vorwürfe zurück. Die Tatvorwürfe gegen ihn hätten sich in der Beweisaufnahme nicht bestätigt, sagte Alexander M. vor dem Frankfurter Landgericht. Er warf der Staatsanwaltschaft Lügen und Manipulationen vor, die keine Grundlage für eine Verurteilung seien. Die Ermittlergruppe wolle ihn mit ihren Ergebnissen "um jeden Preis fertigmachen" und die Polizei entlasten.

Wie bereits in seinem Plädoyer gab der aus Berlin stammende Angeklagte zu, Mitglied einer Chatgruppe im Darknet gewesen zu sein, weshalb auf seinem Computer Teile der Drohschreiben gefunden worden seien. Die Mitglieder der Gruppe hätten ihn aber "systematisch reingelegt". Dass er die Schreiben verfasst habe, sei nicht nachweisbar.

Auch hessische Polizei im Fokus

Lange Zeit stand im Fall "NSU 2.0" die hessische Polizei selbst unter Verdacht. Hintergrund: Meistens wurden die Daten der Betroffenen vorher von hessischen Polizeicomputern abgefragt. Zudem wurde bekannt, dass Beamte der Polizeiwache im Frankfurter Bahnhofsviertel zu einer extrem rechten Chatgruppe gehörten – auch dort wurden entsprechende Daten abgefragt. Laut der Staatsanwaltschaft beschaffte sich Alexander M. die persönlichen Daten seiner Opfer, indem er bei Polizeibehörden anrief und sich als Polizist ausgab.

Die Ermittlungen zum Abrufen privater Daten der Betroffenen auf Polizeicomputern müssten mit Nachdruck fortgesetzt werden, das fordern weiterhin Linke-Politikerinnen wie Janine Wissler. Ähnlich äußern sich Frauen des öffentlichen Lebens, darunter die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die als erste Drohschreiben erhielt. Die Betroffenen gehen davon aus, dass zumindest das erste per Fax verschickte Drohschreiben von einem Polizisten und nicht vom Angeklagten verschickt worden sei. Die Gewerkschaft der Polizei weist diesen Verdacht zurück.

Mit Informationen von AFP, dpa und epd

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