Gentechnisch veränderte Maispflanzen wachsen in einer Phytokammer.
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Gentechnisch veränderte Maispflanzen wachsen in einer Phytokammer im Institut für Biologie der Humboldt-Universität.

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"Ohne Gentechnik": Haben Verbraucher in Zukunft noch die Wahl?

Pflanzen, die mit einer "Genschere" wie CRISPR optimiert wurden, müssen vielleicht bald nicht mehr gekennzeichnet werden. Wissenschaftler freut das, Verbraucherschützer hingegen sorgen sich um die Wahlfreiheit. Heute hat das EU-Parlament abgestimmt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es ist ein erbitterter Streit, den sich Befürworter und Gegner neuer genomischer Techniken (NGT) seit Jahren liefern. Im Kern geht es darum, ob das Gentechnikrecht in Europa gelockert werden soll oder nicht.

Gentechnik: Chance oder Gefahr?

Die einen sagen, mit den neuen Verfahren sind gezieltere Eingriffe als bisher möglich und damit komme man dem Ziel näher, stresstolerante Pflanzen zu züchten, die weniger anfällig für Schadorganismen sind, trockenheitsresistenter und im besten Falle auch noch weniger Dünger brauchen. Die anderen sagen, damit entstünden große Gefahren für die Umwelt und die Abhängigkeiten von großen Agrarkonzernen steige.

Die Fronten sind verhärtet – und nun geht dieser Streit in die heiße Phase. Denn es sieht immer mehr danach aus, als würde sich die Europäische Union zu mehr Gentechnik bekennen: Erst hat der Umweltausschuss des EU-Parlaments grünes Licht für eine Änderung des Gentechnikrechts gegeben, heute hat das EU-Parlament darüber abgestimmt.

Knapp 90.000 Unterschriften gegen Lockerung

Im Vorfeld haben Gentechnik-Kritiker versucht, so viel Einfluss wie möglich auf die Abstimmung zu nehmen. Vor der Staatskanzlei in München versammelten sich am vergangenen Freitag Akteure aus BUND Naturschutz, Greenpeace und Rapunzel Naturkost sowie Öko-Landwirte und die Landesvereinigung für ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ). Sie haben knapp 90.000 Unterschriften gesammelt – gegen eine Lockerung des Gentechnikrechts. Außerdem fordern sie, die Kennzeichnung sowie die Regulierung aller gentechnisch veränderten Pflanzen sollten bleiben.

Empfänger der Unterschriften sollte eigentlich Manfred Weber (CSU) sein, Parteivorsitzender der EVP im Europaparlament. Er steht aktuell in der Schusslinie der Gentechnik-Gegner, denn er befürwortet eine Lockerung des Gentechnikrechts. In einem offenen Brief werfen ihm deshalb mehr als 200 Unternehmen wie Alnatura, die Andechser Molkerei Scheitz, die Drogeriemarktkette dm und Frosta vor, die Wahlfreiheit bei Gentechnik im Essen aufs Spiel zu setzen.

Doch Manfred Weber kam nicht. Auch Ministerpräsident Markus Söder nicht. Stattdessen nahm Eric Beißwenger (CSU) die Petition entgegen. Der Staatsminister für Europaangelegenheiten war sichtlich im Stress – und äußerte sich nicht zum Anliegen der Gentechnik-Gegner. Harald Ulmer vom BUND Naturschutz in Bayern hätte sich über ein klares Bekenntnis des Politikers gegen die neuen gentechnischen Verfahren gefreut. Er sieht die bayerische Staatsregierung in der Pflicht, national wie international klar Stellung zu beziehen.

Gegner werfen CSU Taumel-Kurs vor

Auch der Präsident von Bioland, Jan Plagge, kritisiert den Kurs der CSU beim Thema Gentechnik. Im Bayerischen Naturschutzgesetz ist die Gentechnikfreiheit festgeschrieben. In seiner Zeit als Umweltminister habe sich Ministerpräsident Söder für ein gentechnikfreies Bayern stark gemacht. Plagge hätte sich deshalb von der CSU erwartet, sich auf europäischer Ebene gegen eine Lockerung des Gentechnikrechts auszusprechen. Stattdessen mache Europaparlamentarier Manfred Weber in Brüssel Werbung für die neue grüne Gentechnik, so der Vorwurf unter anderem auch vom BUND Naturschutz in Bayern. Jan Plagge von Bioland wirft der CSU vor, komplett die Argumentation der Agrarkonzerne Bayer Monsanto und Syngenta übernommen zu haben.

Ohne Kennzeichnungspflicht: Ist bald alles Gentechnik?

Hauptargument der Gentechnik-Gegner ist aktuell der Verbraucherschutz. Denn die geplante Gesetzesänderung hätte Auswirkungen auf die Kennzeichnungspflicht. Wenn etwa mit der Genschere CRISPR/Cas nicht mehr als 20 Basenpaare gegenüber der Ausgangspflanze modifiziert wurden, wenn keine artfremden Gene eingebaut wurden und wenn die Pflanze auch auf herkömmliche Weise hätte gezüchtet werden können, dann werden sie konventionellen Pflanzen gleichgesetzt und die Kennzeichnungspflicht entfällt.

Kaniber: "Bayern bleibt gentechnikfrei"

So argumentiert auch Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU). Sie erklärte heute gegenüber BR 24: "Bayern ist gentechnikfrei und wird das auch bleiben. Deshalb ist für uns in Bayern ist von entscheidender Bedeutung, dass eine klare Abgrenzung der neuen Züchtungsmethoden zur klassischen Gentechnik gewährleistet wird." Übersetzt heißt das, die "neue Gentechnik" sei gar keine Gentechnik und insofern könne man jederzeit mit CRISPR/Cas veränderte Pflanzen anbauen und verarbeiten und sei dennoch gentechnikfrei.

Die Kritiker halten dagegen: Verbraucher würden im Supermarkt dann nicht mehr auf einen Blick erkennen können, ob bei der Herstellung eines entsprechenden Produkts neue genomische Verfahren verwendet wurden, so Alexander Hissting vom Verband Lebensmittel Ohne Gentechnik. Für Gentechnik-Gegner ist das ein Frontalangriff auf die Wahlfreiheit der Konsumenten und die Transparenz im Lebensmittelsektor.

Forscher sehen Wahlfreiheit nicht in Gefahr

Während Gentechnik-Gegner sagen, die Wahlfreiheit sei in Gefahr, behaupten manche Befürworter das Gegenteil: Durch eine neue Gentechnik-Regulierung entstehe erst eine Wahlfreiheit, sagt Dr. Robert Hoffie, Pflanzenbiotechnologie und Vertreter des Vereins Progressive Agrarwende. Denn de facto gebe es in Deutschland bislang kaum nach klassischen Methoden gentechnisch veränderte Lebensmittel zu kaufen, weil die aktuellen Gesetze sehr restriktiv seien. Nach einer Lockerung des Gentechnik-Rechts gibt es seiner Auffassung nach wie vor die Möglichkeit, auf Lebensmittel zurückzugreifen, die ohne neue genomischen Verfahren produziert wurden. Zum einen ist das Saatgut kennzeichnungspflichtig, sodass jeder Landwirt immer ganz genau weiß, was auf dem Feld wächst. Zum anderen werden Lebensmittel aus dem ökologischen Landbau nach wie vor komplett Gentechnik-frei bleiben.

Wissenschaftler fordern mehr Gentechnik

Auch die Befürworter der Gentechnik versuchen aktuell mit einem offenen Brief, Aufmerksamkeit zu erzeugen – und vor allem: die Politik davon zu überzeugen, dass es Zeit für eine neue grüne Gentechnik ist. So bitten 37 Nobelpreisträger und über 1.500 Wissenschaftler die EU-Parlamentarier darum, die neuen genomischen Techniken in den Werkzeugkoffer der Pflanzenzüchter aufzunehmen. Angesichts des Klimawandels brauche es die neuen Züchtungsverfahren, die schneller und präziser sind, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und um eine nachhaltige Landwirtschaft voranzutreiben.

Unabhängig von den Vorteilen in der Pflanzenzucht sei eine Änderung des europäischen Gentechnikrechts längst überfällig, findet Professor Hans-Georg Dederer, Experte für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau. "Das Gentechnikrecht baut immer noch auf der klassischen Gentechnik auf, wobei fremde Gene in das Genom von Organismen eingebaut werden.“ Die neuen Verfahren zielten aber auf Pflanzen ab, die mit konventionell gezüchteten vergleichbar sind. Insofern sei eine Gleichstellung folgerichtig. Außerdem sei eine neue Regulierung notwendig, damit die EU international wettbewerbsfähig bleibe, denn viele Länder der Welt hätten das Gentechnikrecht längst gelockert.

EU-Parlament dafür – und jetzt?

Dass das Thema sehr umstritten ist, hat sich heute auch im EU-Parlament gezeigt. 307 Abgeordnete stimmten für die Lockerung des Gentechnikrechts, 263 dagegen. Damit haben die Befürworter der grünen Gentechnik eine weitere Hürde in Richtung Lockerung genommen.

Im Supermarkt sollen Produkte aus Gentechnik auf Antrag von Sozialdemokraten und Grünen aber weiterhin gekennzeichnet werden. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass beim Einsatz sogenannter Neuer Genomischer Verfahren (NGT) nur noch das Saatgut gekennzeichnet werden muss. Die Abgeordneten im Europaparlament stimmten jedoch für einen Änderungsantrag von Sozialdemokraten und Grünen, nach dem alle Produkte aus gentechnisch veränderten Pflanzen ein Etikett mit der Angabe "neue genomische Verfahren" tragen sollen.

Die Abstimmung im EU-Parlament heute ist noch keine endgültige Entscheidung, zeigt aber die Richtung auf. Als nächstes müssen die EU-Staaten im Rat eine gemeinsame Position finden.

Ob und wann das der Fall ist, steht noch nicht fest. Befürworter hoffen, dass es noch vor der Europawahl im Juni 2024 zu einer finalen Abstimmung kommt und ein neues Gentechnikrecht damit beschlossen ist. Gegner wollen indes den Abstimmungsprozess noch verzögern und hoffen darauf, dass die Karten durch die Europawahl neu gemischt werden — und ein neues Gentechnikrecht damit wieder in weite Ferne rückt.

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