Bild aus einem Labor in Gatersleben
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Forschung am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben

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EU-Gentechnikgesetz: Gespannter Blick nach Brüssel

Die EU will bald ein neues Gentechnikgesetz mit Erleichterungen für neue gentechnische Verfahren verabschieden. Deutschland wird sich in der Frage wohl enthalten, doch das Thema polarisiert. Gegner und Befürworter machen Druck.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die neuen gentechnischen Verfahren (NGT), die auf EU-Ebene neu geregelt werden sollen, fallen in den Zuständigkeitsbereich von gleich drei Bundesministerien: Umwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke von den Grünen, Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen bekommen derzeit sehr viel Post. Es sind offene Briefe von Umwelt- und Bioverbänden, die das EU-Gesetz verhindern wollen.

Aber auch aus die Wissenschaft meldet den dringenden Wunsch, dass die Erleichterungen für die Forschung kommen. Die EU-Kommission hatte im Juli den Vorschlag gemacht, einen großen Teil der genom-editierten Pflanzen zu deregulieren. Die spanische Ratspräsidentschaft will das Gesetz möglichst schnell auf den Weg bringen, also durch EU-Parlament und EU-Rat. Bei einem EU-Agrarministertreffen vergangene Woche wurden aber noch große Meinungsverschiedenheiten deutlich.

Darum geht es bei dem neuen Gesetz

Die Hürden für Forscher und Pflanzenzüchter durch das bisher geltende EU-Gentechnikrecht sind sehr hoch und bremsen zum Beispiel Freilandversuche stark aus. Künftig sollen die Hürden deutlich niedriger werden - vor allem für genom-editierte Pflanzen, die so auch natürlich oder durch konventionelle Züchtung hätten erzeugt werden können, also keine artfremden Gene enthalten.

Bei Züchtungen aus dieser Kategorie 1 müsste dann nur noch das Saatgut gekennzeichnet werden, nicht mehr die aus diesen Pflanzen produzierten Lebensmittel oder Futtermittel. Auch das Vorsorgeprinzip mit aufwendiger Risikoprüfung würde entfallen. Aus gutem Grund, wie Professor Hans-Georg Dederer, Experte für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau ausführt: "Das Vorsorgeprinzip greift nur dann, wenn man einen wissenschaftlich begründeten Besorgnisanlass hat, und an diesem wissenschaftlich begründeten Besorgnisanlass fehlt es hier - jedenfalls nach Aussage der ganz herrschenden Meinung in der Wissenschaft."

Sprich: Nach Studienlage und aktuellem Stand der Forschung gibt es keine negativen Folgen für Mensch und Umwelt, "man befindet sich im Bereich des Restrisikos", wie es Jurist Dederer ausdrückt.

Scharfe Kritik von Bio- und Umweltverbänden

Gentechnik werde künftig nicht mehr erkennbar sein - Transparenz und Wahlfreiheit würden geschliffen, kritisiert Peter Röhrig, Geschäftsführer beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) das geplante EU-Gesetz und warnt vor einer "Zwangsbeglückung mit Gentechnik im Essen".

Das Vorsorgeprinzip erhalten und eine eindeutige Kennzeichnung auch für Pflanzen der NTG-Kategorie 1 - das wollen neben dem BÖLW auch Öko-Anbauverbände wie Bioland und der BUND Naturschutz in Bayern. Dessen Vorsitzender Richard Mergner fordert von der bayerischen Staatsregierung, sich nicht nur allgemein zu einem gentechnikfreien Bayern zu bekennen, sondern sich auch auf EU-Ebene dafür einzusetzen. Konkret denkt Mergner an Manfred Weber, der sich als Vorsitzender der EVP für eine Deregulierung beim Gentechnik-Recht einsetzt - was dem Koalitionsvertrag in Bayern widerspreche.

Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) hat seinen offenen Brief direkt an die EU-Kommission und das Europaparlament adressiert und sich Unterstützung vom Handel geholt - Mitunterzeichner war unter anderem die Rewe Group. Denn viele Bio-Lebensmittelhersteller, aber auch konventionelle Produzenten setzen auf das Label "Ohne Gentechnik", nutzen es als Qualitätsmerkmal im Laden oder im Export und sehen das durch die Neureglung in Gefahr.

Grüne Gentechnik als Chance im Kampf gegen den Klimawandel

Grüne Gentechnik könnte auch und gerade für den Bio-Bereich eine Chance sein - wenn Pflanzen dadurch weniger gespritzt und gedüngt werden müssen und höhere Erträge erzielen, argumentieren dagegen Befürworter der neuen Verfahren. Sie schauen auf die Weltklimakonferenz in Dubai und argumentieren: Mit den neuen Methoden können Pflanzen schneller gezüchtet werden, die mit den Folgen des Klimawandels wie Trockenheit und Hitze besser zurechtkommen.

Am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben forscht Nicolaus von Wirén an solchen Pflanzen - bisher nur im Labor und im Gewächshaus. Ihm ist es wichtig, "technologieoffen zu bleiben, weil es jetzt höchste Zeit ist. Wir müssen alle Register ziehen, um dem Klimawandel entgegenzutreten, der noch viel schneller und vehementer über uns hereingebrochen ist, als noch vor wenigen Jahren gedacht."

Der Zuchtfortschritt bei neuen Sorten werde von etwa zwölf auf sechs Jahre verkürzt, und die gezielte Herangehensweise spare Ressourcen. Doch dafür brauche es auch Freilandversuche und damit eine Lockerung des EU-Rechts. So oder so ähnlich argumentieren auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).

Patente bleiben ungelöstes Problem

Ein Thema ist in allen Stellungnahmen - egal ob von Gegnern oder Befürwortern der Gentechnik - präsent: die Patente auf solche durch neue Gentechnik (NGT) entstandenen Pflanzen. Die Patente fallen nicht unter das neue EU-Gesetz, müssten also separat geregelt werden. Sie seien der Motor der neuen Gentechnik, warnt zum Beispiel Peter Röhrig vom BÖLW. Er befürchtet, dass sich große, finanzstarke Konzerne die Patente sichern und Saatgut anschließend für Landwirte sehr viel teurer wird.

Auch Agrarbiologe Nicolaus Wirén hält es für wichtig, "dass man das Patentrecht noch mal anfasst" und dass gute Lösungen für kleinere und mittelständische Saatgutunternehmen gefunden werden. Erst einmal hofft er nun aber auf eine schnelle Entscheidung in Brüssel, damit er demnächst auch im Freiland forschen kann.

Allerdings wird das nach Meinung von Experten noch bis zu zwei Jahre dauern, auch wenn das Gesetz kommt - die Umsetzung in die Praxis dauert.

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