Palästinenser versuchen sich nach einem Angriff auf Rafah in Sicherheit zu bringen
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Palästinenser versuchen sich nach einem Angriff auf Rafah in Sicherheit zu bringen

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Nach der Feuerpause gehen die Kämpfe im Gazastreifen weiter

Nach Ende der Feuerpause hat Israel die Kämpfe gegen die Hamas im Gazastreifen wieder aufgenommen. Menschen bei Chan Junis wurden aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Israels Premier Netanjahu warf der Hamas vor, sie habe die Waffenruhe gebrochen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben die Kämpfe im Gazastreifen gegen die islamistische Hamas wieder aufgenommen. Kampfflugzeuge seien dabei, Ziele der Terrororganisation in dem abgeriegelten Gebiet anzugreifen, teilte die Armee am Freitagmorgen nach Ablauf der insgesamt einwöchigen Feuerpause mit.

Mutmaßlicher Raketenangriff aus Gazastreifen abgewehrt

Israelischen Berichten zufolge schoss die Hamas kurz vor Ende der Waffenruhe eine Rakete auf israelisches Gebiet ab. In mehreren israelischen Orten in der Nähe des Gazastreifens ertönten die Alarmsirenen. Anschließend wurden mehrere Angriffe aus dem abgeriegelten Gebiet Richtung Israel gemeldet, die nicht abgefangen worden seien, Fotos zeigten den Abschuss mehrerer Raketen aus Gaza auf Israel.

Auch in mehreren nordisraelischen Orten nahe der Grenze zum Libanon ertönte Luftalarm. Bewohner versuchten sich in Sicherheit zu bringen. Das israelische Militär macht zunächst keine Angaben dazu, was die Sirenen ausgelöst hat.

Israel: Hamas hat gegen Vereinbarungen verstoßen

Das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warf der Hamas vor, damit gegen die Vereinbarungen über eine Feuerpause verstoßen zu haben, außerdem habe die Terrororganisation nicht wie vereinbart alle weiblichen Geiseln feigelassen. "Sie ist ihrer Verpflichtung, alle weiblichen Geiseln freizulassen, heute nicht nachgekommen und hat Raketen auf israelische Bürger abgefeuert", hieß aus Tel Aviv.

Auch Regierungssprecher Eylon Levy schrieb die Schuld für das Ende der Waffenruhe der Hamas zu, weil diese "nicht alle entführten Frauen freigelassen" habe. Er kündigte vor Journalisten die "Mutter aller Schläge" gegen die Hamas an.

Netanjahu: Vernichtung der Hamas bleibt Kriegsziel

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte erneut die Ziele seines Landes wie die Befreiung aller Geiseln im Gazastreifen und die Vernichtung der Hamas. Es müsse sichergestellt werden, dass die Hamas nie wieder eine Bedrohung für israelische Bürger werde.

Essat El Raschk, Mitglied des Politbüros der Hamas, sagte: "Was Israel nicht erreicht hat in den fünfzig Tagen vor der Waffenruhe, wird es auch nicht erreichen, indem es seine Aggression nach der Waffenruhe fortsetzt." Bisher kamen nach Angaben der Hamas bei den israelischen Luftangriffen mehr als 100 Menschen ums Leben, überprüfen lässt sich das nicht.

Kämpfe im Norden und Süden des Gazastreifens

Palästinensioche Medien berichteten unter Berufung auf Augenzeugen von schweren Kämpfen in der Stadt Gaza und anderen Gebieten im Norden des Gazastreifens. Auch Journalisten meldetenLuft- und Artillerieangriffen auf die Stadt. Im Zentrum des Gazastreifens gebe es nahe der Flüchtlingslager Nuseirat und Bureidsch zudem Panzerbeschuss, hieß es.

Unter Berufung auf die Hamas wurde zudem berichtet, dass die israelischen Angriffe sich nun verstärkt gegen den Süden des Gazastreifens richteten. Aussagen Zeugen zufolge waren die Bombardierungen in Chan Junis im südlichen Gazastreifen und in Rafah am heftigsten. In diese Region waren Hunderttausende Menschen aus dem umkämpften Norden des Gazastreifens geflohen.

Die Menschen im Gazastreifen fürchten nun, dass die Angriffe auf den Süden Vorboten einer Ausweitung des Krieges auf Gebiete sind, die Israel zuvor als sicher bezeichnet hatte. Die israelische Armee warf der Hamas erneut vor, zivile Orte in militärische Ziele zu verwandeln und Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu benutzen.

Flugblätter: Chan Junis nun gefährliche Kampfzone

Israel forderte Bewohner des südlichen Gazastreifens auf, ihre Häuser östlich der Stadt Chan Junis zu verlassen. Anwohner berichteten, entsprechende Flugblätter seien über Teilen des Küstengebiets abgeworfen worden. Darin wurde auch gewarnt, dass Chan Junis nun eine gefährliche Kampfzone sei. Die Flugblätter signalisieren, dass Israel eine Ausweitung seiner Offensive vorbereitet.

Das israelische Militär veröffentlichte eine Karte mit Evakuierungszonen für die Bewohner des Gazastreifens. Auf der Karte war der Gazastreifen in Hunderte nummerierte Bereiche unterteilt. Die Bewohner wurden aufgefordert, sich mit der Nummer ihres Standorts vertraut zu machen, falls es zu einer Evakuierung kommen sollte. Es war nicht klar, wie die Palästinenser über die ihnen zugewiesenen Nummern und mögliche Evakuierungsaufrufe auf dem Laufenden gehalten werden sollten und wohin die Bewohner in einem solchen Fall gehen sollten.

Karte: Übersicht des Gazastreifens

Guterres fordert "echten humanitären Waffenstillstand"

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef verurteilte die neuen Kämpfe. Neue Angriffe auf die Menschen in Gaza würden nur "ein neues Blutbad" anrichten, aber sonst nichts bewirken, sagte Unicef-Sprecher James Elder in einer Videoschalte aus dem Gazastreifen.

Der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk bezeichnete die Fortsetzung der Kämpfe als "katastrophal". Er appellierte an die Konfliktparteien und alle Staaten, "die Einfluss auf sie haben, ihre Anstrengungen zu verstärken, um eine Waffenruhe zu gewährleisten". Es sei "sehr beunruhigend", dass Äußerungen israelischer Politiker und Armeevertreter darauf hindeuteten, dass eine "Ausweitung und Intensivierung der Militäroffensive" geplant sei.

UN-Generalsekretär António Guterres drückte tiefes Bedauern über die Wiederaufnahme der Kämpfe im Gazastreifen aus. "Die Rückkehr zu Feindseligkeiten zeigt nur, wie wichtig es ist, einen echten humanitären Waffenstillstand zu haben", schrieb er auf der Plattform X. "Ich hoffe immer noch, dass es möglich wird, die Pause, die eingerichtet worden war, zu erneuern", so Guterres.

USA: Bemühungen um neue Waffenruhe gehen weiter

Beide Seiten hatten unter Vermittlung Katars sowie Ägyptens und der USA vor einer Woche eine Feuerpause vereinbart, die seither zweimal verlängert worden war – zuletzt um einen Tag. Bis zuletzt hatten sich Vermittler darum bemüht, sie noch einmal zu verlängern. In der Nacht gab es noch Hoffnung auf einen Tag mehr, die Hamas legte jedoch nach Angaben des Nationalen Sicherheitsrates der USA keine Liste mit Geiseln mehr vor, die eine weitere Verlängerung der Feuerpause ermöglicht hätte.

"Wir arbeiten weiter mit Israel, Ägypten und Katar an Bemühungen, die humanitäre Pause im Gazastreifen zu verlängern", erklärte der Nationale Sicherheitsrat des Weißen Hauses weiter. US-Präsident Joe Biden bemühe sich darum, auch die weiteren Geiseln in Gewalt der Hamas freizubekommen und die humanitären Hilfen für das Palästinensergebiet auszuweiten.

Hamas: Freilassung weiterer Geiseln nur bei neuer Feuerpause

Während der Waffenruhe wurden 80 von der Hamas aus Israel verschleppte Geiseln befreit, unter ihnen mehrere deutsche Doppelstaatler. Außerdem wurden 23 Thailänder, ein Philippiner und ein russisch-israelischer Doppelstaatler außerhalb der Vereinbarung freigelassen. Im Gegenzug kamen 210 palästinensische Häftlinge frei, zudem gelangten dringend benötigte Hilfsgüter in den Gazastreifen.

Ein Mitarbeiter im Büro des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu sagte, dass sich jetzt noch 137 Geiseln im Gazastreifen befänden. Es handele sich um 115 erwachsene Männer, 20 Frauen und zwei Kinder, unter den Erwachsenen befindet sich eine ungenannte Zahl von Armeeangehörigen.

Die Terrorgruppe Hamas ist nach Darstellung eines ranghohen Mitglieds zu Gesprächen über die Freilassung weiterer ziviler Geiseln bereit. Voraussetzung sei eine neuerliche Feuerpause, sagte Chalil al-Hajeh: "Wenn es um Zivilisten geht, sind wir offen für jede neue Waffenruhe, um den Fall der zivilen Geiseln zu schließen." Verhandlungen über die Freilassung von Militärangehörigen seien jedoch nur im Rahmen eines umfassenden Waffenstillstands möglich. Eine Kampfpause reiche dafür nicht.

Blinken: Zivilisten im Gazastreifen schützen

US-Außenminister Antony Blinken hatte am Donnerstag Israels Führung aufgefordert, Zivilisten im Gazastreifen zu schützen. Sollte Israel den Krieg wieder aufnehmen und gegen den südlichen Gazastreifen vorrücken, sei es "zwingend erforderlich", dass sich Israel an das humanitäre Völkerrecht halte, sagte Blinken. Die Zahl der Todesopfer und die Vertreibung, wie man sie im nördlichen Gazastreifen gesehen habe, dürften sich im Süden nicht wiederholen.

Israel müsse zudem vor neuen Militäreinsätzen humanitäre Pläne vorlegen, forderte Blinken. Dort solle genau festgelegt werden, wo Zivilisten sicher seien. Die Zerstörung von Krankenhäusern, Kraftwerken und Wasserversorgungsanlagen müsse vermieden werden. Sobald möglich müssten Zivilisten auch die Möglichkeit haben, wieder in den Norden des Gazastreifens zurückzukehren.

Die israelische Regierungssprecherin Tal Heinrich erklärte am Morgen dem Fernsehsender CNN, man habe Blinken Pläne für sichere Zonen und mehr humanitäre Korridore vorgelegt. "Wir wollen also das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza lindern", sagte sie.

"New York Times": Israel lagen Angriffspläne der Hamas lange vor

Nach einem Bericht der "New York Times" (Externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt) lagen Hinweise auf einen geplanten Großangriff der Hamas Israel mehr als ein Jahr vor dem 7. Oktober vor. Demnach gab es einen umfassenden Austausch israelischer Behörden zu einem 40 Seiten langen Dokument mit dem Codenamen "Jericho-Mauer", das einen Gefechtsplan der Hamas skizzierte.

Dieser soll bis ins Detail dem Angriff geähnelt haben, den Hamas-Terroristen dann Anfang Oktober aus dem Gazastreifen heraus ausführten. Das Szenario sei von israelischen Militär- und Geheimdienstmitarbeitern als zu anspruchsvoll und schwierig in der Ausführung abgetan worden, berichtete die US-Zeitung.

Israelischer Sprecher räumt "Versagen unsererseits" ein

"Es gibt keinen Zweifel, dass der Angriff vom 7. Oktober ein Versagen unsererseits war. Natürlich war es ein Versagen", sagte Israels Regierungssprecherin Tal Heinrich in Bezug auf den Bericht dem US-Sender CNN. Israel werde das Geschehene genau untersuchen und daraus lernen.

Auf die Frage, inwiefern Israels Premier Benjamin Netanjahu von dem Angriffsszenario gewusst beziehungsweise die Dokumente gelesen habe, sagte Heinrich: "Wir werden Untersuchungen anstellen. Der Ministerpräsident hat auch darüber gesprochen. Wenn es an der Zeit ist, wird er mehr sagen."

Mit Informationen von dpa, AP, AFP, AP

Im Audio: New York Times - Israel kannte die Angriffspläne der Hamas

Polizisten bergen nach dem Angriff vom 7. Oktober eine Leiche
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Polizisten bergen nach dem Angriff vom 7. Oktober eine Leiche

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