Überreste eines gesunkenen Flüchtlingsboots bei Cutro, Süditalien
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Überreste eines gesunkenen Flüchtlingsboots bei Cutro, Süditalien

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Migration: Italiens Regierung schießt sich auf Deutschland ein

In Berlin wird heute der italienische Außenminister Antonio Tajani erwartet. Thema des Gesprächs: die Flüchtlingsfrage. Die rechte Regierung in Rom droht ihr zentrales Wahlversprechen zu verfehlen – und hat zuletzt Deutschland heftig attackiert.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Der vorläufige Höhepunkt der Attacken italienischer Regierungsvertreter gegenüber Deutschland klingt so:

"Vor achtzig Jahren beschloss die deutsche Regierung, mit der Armee in Staaten einzumarschieren, aber das ging schief. Jetzt finanziert sie die Invasion illegaler Einwanderer, um Regierungen zu destabilisieren, die den Sozialdemokraten nicht gefallen." Andrea Crippa in einem Interview mit dem digitalen Medium Affaritaliani.

Andrea Crippa ist der Vizechef der Lega-Partei, und diese ist Teil der Regierung. Der 37-jährige Politiker zieht damit einen direkten Vergleich zwischen dem Einmarsch der deutschen Truppen in Italien während des Zweiten Weltkriegs und dem jetzigen Handeln der deutschen Regierung in der Migrationsfrage.

  • Zum Artikel: Streit um Seenotrettung in Italien – Welche Regeln gelten?

Salvini beklagt "feindseligen Akt"

Keine Einzelstimme. Auch Crippas Parteichef, Infrastrukturminister Matteo Salvini, kritisiert scharf, dass Deutschland Seenotretter finanziell unterstützt. Es sei eine Schande, ein Skandal und ein feindseliger Akt, dass das Ausland ausländische private Vereine finanziere, die illegale Einwanderer nach Italien bringen würden. Das, meint Lega-Chef Salvini, sei so, als würde Italien Vereine in Frankreich, Deutschland oder wer weiß wo finanzieren, um Irreguläres zu erleichtern.

Es geht um vier Prozent der Geretteten

Die zivilen Seenotretter haben von Januar bis Juli vier Prozent der Menschen, die in Italien ankamen, auf dem Mittelmeer gerettet. Weitaus mehr – knapp 70 Prozent – wurden von der Küstenwache oder von Frontex in Sicherheit gebracht.

Die deutschen Hilfsgelder für die Seenotretter, so teilte das Auswärtige Amt mit, seien bereits vor einiger Zeit vom Bundestag beschlossen worden, nun würden sie verteilt. Schon damals habe man Italien informiert. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni aber gibt sich jetzt erstaunt – ein Beschwerdebrief ging an Bundeskanzler Olaf Scholz.

Innenpolitische Gründe für außenpolitische Attacken

Der italienische Politikwissenschaftler Andrea De Petris vom Centrum für Europäische Politik sieht in diesen Seitenhieben auf Deutschland vor allem innenpolitische Gründe: "Momentan sieht es so aus, als ob Meloni und Salvini eine Art internen Wettbewerb haben, wer härter gegenüber Europa oder gegenüber gewissen Maßnahmen oder Themen sein wird."

Als etwa EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen auf Einladung Melonis die Insel Lampedusa wegen der immens hohen Zahl an ankommenden Flüchtlingen besuchte, da empfing Salvini die französische rechte Politikern Le Pen bei einer großen Veranstaltung.

Tajani fordert deutsche Solidarität ein

Die Migrationsfrage wird auch in Italien erneut zu einem großen innenpolitischen Thema. Die Finanzierung der Seenotretter, so meint Außenminister Antonio Tajani im italienischen Radio, sei zwar eine Sache der Deutschen. Aber seinen Worten zufolge geht die Entscheidung nicht in Richtung Solidarität. "Wir wüssten auch gern, ob diese Entscheidung von der gesamten deutschen Regierung getragen wird."

Tajani betont, dass das ein Problem sei, das angesprochen werden müsse. Es sei richtig, wenn es eine europäische Solidarität gebe. Aber es bringe nichts, wenn jeder Staat die Verantwortung auf den anderen abwälze.

Fast dreimal mehr Asylanträge in Deutschland

Mehr als 130.000 Männer, Frauen und Kinder sind seit Anfang des Jahres an den italienischen Grenzen angekommen – so viele wie schon seit langem nicht mehr. Die Anzahl Asylanträge aber liegt in Deutschland um etwa ein Dreifaches höher als in Italien.

Grafik: Wie viele Asylanträge wurden im ersten Halbjahr 2023 in den EU-Staaten gestellt?

Rechtsregierung verfehlt Wahlversprechen

Dennoch ist Regierungschefin Meloni unter Druck. Während des Wahlkampfs hatte die Vorsitzende der Fratelli d'Italia versprochen, die irreguläre Migration zu stoppen. Das Gegenteil ist eingetreten, zudem stehen die nächsten Wahlen an.

Die Töne, so Politikexperte De Petris, könnten schärfer werden. So habe Meloni in den ersten sieben, acht Monaten ihrer Regierung grundsätzlich alles ziemlich europafreundlich gemacht. Jetzt nähert sich die nächste Wahl, die Europawahl im Juni 2024. "Und der Eindruck ist, dass sie wieder diese andere Seite ihrer Partei, ihrer Koalition irgendwie vertreten wird", schätzt De Petris.

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Ein Bild aus einer Unterkunft für Asylbewerber in Fürstenfeldbruck im Jahr 2018. Welche Konzepte haben die Parteien heute zum Thema Migration?
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