Wenn zugelassene Antibiotika fehlen, sollen auch Medikamente ohne Zulassung zum Einsatz kommen
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Wenn zugelassene Antibiotika fehlen, sollen auch Medikamente ohne Zulassung zum Einsatz kommen

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Mangel bei Antibiotika-Säften: Was Bayern nun vorhat

Das Bundesgesundheitsministerium hat einen Versorgungsmangel bei Antibiotika für Kinder festgestellt, da zugelassene Präparate oft fehlen. Die Bundesländer können somit die Voraussetzungen für Importe solcher Mittel senken. Das tut auch Bayern.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Bei potenziell lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen, Scharlach oder anderen schweren bakteriellen Infektionen werden Antibiotika auch Kindern verschrieben - in der Regel als Säfte. Diese sind aktuell jedoch knapp und in Apotheken oft nicht zu bekommen.

Steht das passende Präparat nicht zur Verfügung, muss zu einem Antibiotikum der zweiten und dritten Wahl gegriffen werden, das aber häufig schlechter wirkt und das Risiko sich bildender Antibiotika-Resistenzen erhöht.

Länder lockern Import-Regeln

Das Bundesgesundheitsministerium reagierte auf die Mangellage bei den Antibiotika-Säften mit einer Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 25. April, in der offiziell ein "Versorgungsmangel" bei diesen Arzneimitteln festgestellt wird. Damit ist es für die Landesbehörden möglich, im Einzelfall vorübergehend von Vorgaben des Arzneimittelgesetzes (AMG) abzuweichen.

Mehrere Bundesländer kündigten nach der Verlautbarung des Bundes an, die Lockerung umgehend anzuwenden. In Nordrhein-Westfalen hieß es, man habe "alle notwendigen Schritte in die Wege geleitet, um hier schnell Abhilfe zu schaffen". Auch in Bremen gibt es lockerere Maßgaben für den Import.

Antibiotika-Säfte müssen nicht mehr in Deutschland registriert sein

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek erklärte am Samstag, die Situation sei "überall in Deutschland ernst". In Bayern würden daher umgehend "zwei Maßnahmen eingeleitet, die den Mangel an antibiotischen Säften für Kinder lindern sollen".

Zum einen werde Bayern "befristet die Einfuhr von Arzneimitteln gestatten, die bei uns eigentlich nicht zugelassen oder registriert sind. So können die Pharmagroßhändler, Pharmafirmen und Apotheken unbürokratisch handeln". Dadurch soll auch die einfachere Einfuhr aus dem europäischen Ausland erleichtert werden. Somit könne nun etwa auch ein Medikament aus Spanien, das keine deutsche Verpackung hat, von Apotheken hierzulande ausgegeben werden, erläuterte der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Florian Lanz.

Apotheker sollen Medikamente selbst herstellen

Die zweite Maßnahme ist ein Appell Holetscheks an die Krankenkassen - mit dem Ziel, Apothekern die eigene Herstellung von Antibiotika zu erleichtern. Mit dem Appell würden die Krankenassen gebeten, "vorerst keine Zuschläge sowie Erstattungen zu verweigern und in der Folge keine bereits geflossenen Vergütungen zurückzufordern, wenn Apotheker einen verschriebenen, aber nicht verfügbaren antibiotischen Saft durch ein selbst hergestelltes Arzneimittel ersetzen", sagte der CSU-Politiker. Zudem solle "bei Nicht-Verfügbarkeit des Fertigarzneimittels eine solche Abgabe eines in der Apotheke hergestellten Antibiotika-Safts auch ohne erneutes Ausstellen eines Rezeptes möglich sein".

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schrieb mit Blick auf den bayerischen Vorstoß auf Twitter: "Genau für solche unbürokratischen Aktionen der Länder gegen Antibiotika-Lieferengpässe haben wir die Voraussetzungen jetzt geschaffen. Sie sollten genutzt werden."

Kinderärzte schlagen Alarm

Nach Angaben des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sind die Antibiotika-Präparate derzeit bundesweit so knapp, dass auch für schwer erkrankte Kinder nicht ausreichend Medikamente zur Verfügung stehen. Die Versorgungslage sei kritisch.

Vor wenigen Tagen appellierten Mediziner aus mehreren europäischen Ländern in einem Brief an ihre Gesundheitsminister, gegen die Knappheit vorzugehen. "Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich!", heißt es in dem Schreiben. Noch vor wenigen Jahren sei ein solches Szenario unvorstellbar gewesen.

Zu den Unterzeichnern gehört der Präsident des BVKJ, Thomas Fischbach. Es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindgerechter Darreichungsform. Auch das Antibiotikum Penicillin gebe es derzeit nicht, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Deutschland soll für Pharma-Firmen interessanter werden

Die Ursachen für die Lieferengpässe bei Arzneimitteln seien vielfältig, heißt es vom Bundesministerium. Es wies etwa auf Engpässe bei Grundstoffen oder Produktionsprobleme hin. Bundesgesundheitsminister Lauterbach machte deutlich, dass es bei vereinfachten Import-Vorgaben für Antibiotika-Säfte nicht bleiben soll. Am Samstag schrieb er bei Twitter, die Sorge der Kinderärzte sei berechtigt - und verwies auf ein Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe, das die Bundesregierung Anfang April auf den Weg gebracht hatte. Vom Bundestag beschlossen ist es aber noch nicht.

Das Gesetz soll es Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, so dass sich Lieferungen nach Deutschland mehr lohnen. Bei wichtigen Medikamenten ist auch eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung vorgesehen. Und bei Antibiotika sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produzieren, stärker zum Zug kommen.

Krankenkassen: Vertrauen in Pharma-Branche ist erschüttert

Der GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen wird deutlicher und gibt der Pharmabranche eine Mitschuld an der Situation: "Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert", sagt Verbandssprecher Lanz. Die Branche habe Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.

In der Begründung zum geplanten Gesetz der Bundesregierung ist dazu nachzulesen, dass bei bestimmten Arzneimitteln mit Antibiotika inzwischen mehr als 60 Prozent der Wirkstoffproduktion in Asien stattfindet, doppelt so viel wie noch vor zwanzig Jahren. Die Neuregelung soll Abhängigkeiten verringern.

  • Zum Artikel: Medikamentenmangel: Das raten Apotheker und Ärzte

Mit Informationen von dpa

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