Menschen kaufen auf einem Markt in Gaza Lebensmittel ein
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Menschen kaufen auf einem Markt in Gaza Lebensmittel ein

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Der geschundene Gaza-Streifen: Unter dem Joch der Hamas

Seit 2007 beherrscht die radikal-islamistische Hamas den Gaza-Streifen, kontrolliert streng das Leben der Menschen. Politischen Protest hat die Hamas längst ausgeschaltet. Armut, Ohnmacht und die Abriegelung von der Außenwelt prägen den Alltag.

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Lexikalisch lässt sich der Gaza-Streifen zwar rasch beschreiben, doch sagen die folgenden, statistischen Daten zunächst nur sehr bedingt etwas über das Leben der inzwischen über zwei Millionen Palästinenser im Küstenstreifen aus: 40 Prozent der Bevölkerung ist unter 14 Jahren. Das Durchschnittsalter beträgt 18 Jahre. Nahezu 80 Prozent der Menschen leben in den großen Städten, wie Khan Jounis, Rafah, und Gaza-Stadt, mit knapp 800.000 Einwohnern die größte Stadt.

Das Gebiet von 360 Quadratkilometern ist doppelt so groß wie etwa das Stadtgebiet von Nürnberg. Mit Israel hat es eine 59 Kilometer, mit Ägypten eine 13 Kilometer lange Grenze. Entlang der 40 Kilometer Küste hat Israel seit 2009 eine vollständige maritime Sperre verhängt, Fischer dürfen mit ihren Booten nur wenige Kilometer auf das Meer hinausfahren.

Zwischen den Grenzen Israels und Ägyptens

Für Personen gibt nur zwei Grenzübergänge, den im Norden bei Erez und im Süden bei Rafah. Beide Grenzübergänge werden von Israel bzw. Ägypten kontrolliert. Über Erez können zu normalen Zeiten in aller Regel nur Diplomaten, Mitarbeiter internationaler Organisationen sowie ausländische Journalisten den Gaza-Streifen betreten oder verlassen. Die Hamas hat rund einen Kilometer hinter dem israelischen Grenzübergang eine eigene Grenzkontrollstelle errichtet.

Der Grenzübergang Rafah zu Ägypten dient nahezu ausschließlich für die Ein- und Ausreise von Palästinensern. Eine halbe Million Menschen sind laut Angaben der UNWRA, des UN-Hilfswerks für Palästinenser, von direkten Lebensmittel-Zuwendungen abhängig. Die UNWRA unterhält auch den Großteil der Schulen und zahlreiche Krankenhäuser und Sozialstationen. Die ganz überwiegende Anzahl der Menschen im Gaza-Streifen hat das palästinensische Küstengebiet seit 16 Jahren nicht mehr verlassen können und kennt nur das Leben innerhalb der 360 Quadratkilometer großen Fläche zwischen Beit Lahia im Norden und Rafah im Süden.

Von ägyptischer Verwaltung zur Teil-Autonomie

Der Gaza-Streifen stand von 1948 bis 1967 unter ägyptischer Verwaltung. Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 und dem Sieg über die angreifenden Nachbarstaaten Ägypten, Syrien und Jordanien besetzte Israel den Küstenstreifen sowie das Westjordanland, den Ostteil Jerusalems und die Golanhöhen. Im Gaza-Streifen errichtete Israel mehrere Siedlungen mit israelischen Staatsbürgern, die erst mit dem Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen 2005 geräumt wurden.

Im Zuge der sogenannten Osloer Abkommen, die vor 30 Jahren zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO abgeschlossen wurden, bildete sich unter Führung des damaligen PLO-Chefs Jassir Arafat die Palästinensische Autonomiebehörde. Sie sollte ab 1994 im Gaza-Streifen sowie im rund 50 Kilometer entfernten Westjordanland eine Teil-Autonomie ausüben.

Der damalige Premierminister Israels, Ariel Sharon, setzte 2005, gegen den Widerstand der schon damals einflussreichen Siedler-Bewegung, den vollständigen Abzug aus dem Gaza-Streifen durch. Alle Zugänge zum Gaza-Streifen, auf dem Land-, Luft- und Seeweg kontrollierten seitdem Israel und – im Süden des Gaza-Streifens – Ägypten.

Machtkampf zwischen Hamas und Fatah

Nach dem Tod von PLO-Chef Arafat 2004 übernahm dessen Nachfolger Mahmud Abbas dessen Amt als Vorsitzender der Palästinensischen Autonomiebehörde. Als die Hamas aus den Wahlen in den palästinensischen Gebieten im Frühjahr 2006 mit einem knappen Stimmenvorsprung vor der Fatah hervorgegangen war, entbrannte zwischen den beiden Palästinenser-Fraktionen Fatah und Hamas ein heftiger Machtkampf.

Israels damaliger Premierminister Ehud Olmert ließ nach den Wahlen von 2006 einen Großteil der Hamas-Abgeordneten inhaftieren und verhängte eine Wirtschaftsblockade gegen den Gaza-Streifen. Es kam im Gaza-Streifen zu einer massiven Verschlechterung der Lebensbedingungen. Mit brutaler Gewalt bekämpfte die Hamas die Fatah und übernahm 2007 nach der Flucht der Autonomiebehörde die vollständige Kontrolle über das Leben der Einwohner im Gaza-Streifen.

Kriege und Krisen

Von 2006 bis heute durchlebten die Einwohner des Gaza-Streifens mehrere große militärischen Konfrontationen zwischen der Hamas und Israel, nahezu in einem Abstand von zwei bis drei Jahren.

Für die Zivilbevölkerung, die unter der Herrschaft der rund 30.000 bewaffneten Hamas-Milizen lebt, gibt es keine Schutzräume und Bunker. Da sie nicht aus dem gesamten Kriegsgebiet fliehen können, fliehen die Menschen aus den am heftigsten betroffenen Brennpunkten. Oftmals suchen sie Schutz in Einrichtungen der Vereinten Nationen, den UNWRA-Schulen und Krankenhäusern, fliehen zu Verwandten und Freunden. Andere Möglichkeiten gibt es nicht.

Bis 2021 folgten diese Kriege einem bestimmten Muster: Auf massiven Raketenbeschuss der militanten Palästinenser-Gruppierungen Hamas und Islamischer Jihad reagierte Israel mit Luftangriffen auf mutmaßliche Hamas-Ziele, zuweilen auch mit Artilleriebeschuss über den Grenzzaun. In aller Regel warnten die israelischen Streitkräfte die Einwohner vor unmittelbar bevorstehenden Bombenangriffen, per SMS oder durch sogenannte "Warnschüsse" auf Gebäudedächer.

Kaum Jobs

Über all diese Jahre hinweg hatten die Bewohner des Gaza-Streifens mit einer rapiden Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen. Jobs für die zahllosen jungen Schul- und Universitätsabsolventen gibt es in aller Regel entweder bei den "Behörden", die von der Hamas beherrscht werden, von der Führerscheinstelle bis zum Gebäudeschutz, oder bei den internationalen Organisationen wie der UN.

Ein Großteil der Familien lebt von dem Einkommen eines Familienmitglieds, das einen Arbeitsplatz hat. Dienstleistungen dominieren das Wirtschaftsleben im Gaza-Streifen, rund 80 Prozent der erwirtschafteten Leistungen stammen aus diesem Sektor. Rigoros setzt die Hamas ihre Vorstellungen von islamischer Ordnung durch: In Cafés und Restaurants sitzen Frauen und Männer getrennt, Alkohol ist seit deren Machtübernahme aus den Regalen verschwunden, die Kleiderordnung für Frauen folgt den strengen Auflagen der Islamisten. Die Sicherheitsdienste der Hamas observieren die Bevölkerung und lassen Abweichungen von ihren Vorgaben nicht zu.

"Wir leben unter zweifacher Besatzung", ist seit langen Zeiten im Gaza-Streifen bei vertraulichen Gesprächen immer wieder zu hören: "Im Inneren unter der Besatzung der Hamas und außerhalb unter der Besatzung Israels."

Dieser Artikel ist erstmals am 10.10.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Im Video: Keine Feuerpause zwischen Israel und der Hamas in Sicht

Rauch steigt hinter Häusern auf
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Auch heute wurden Ziele in Israel attackiert, Israel bombardierte Einrichtungen im Gaza-Streifen. Zudem gibt es Hinweise auf eine Bodenoffensive.

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