Abschiebung eines Gefährders
Bildrechte: pa/dpa/Daniel Bockwoldt

Abschiebung eines Gefährders

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Gefährder: Warum Abschiebungen nicht immer die Lösung sind

Deutschland schiebt immer mehr islamistische Gefährder ab. Dabei stellt sich die Frage, ob sie im Ausland menschenwürdig behandelt werden. Zudem verweist das Innenministerium auf den Einfluss abgeschobener Islamisten auf die Szene in Deutschland.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Khalil M’barek gilt den Sicherheitsbehörden in Deutschland als islamistischer Gefährder. Bis vor kurzem hat der 30-jährige Tunesier in München und Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik studiert. Inzwischen wurde er in sein Heimatland abgeschoben:

"Ich bin elf Jahre in Deutschland und habe keine einzige Straftat begangen. Sie sollen nicht mein Leben kaputt machen, weil sie ängstlich sind." Khalil M’barek, nach Tunesien abgeschoben

2013 ermittelte die Bundesanwaltschaft gegen den 30-Jährigen und andere Studenten. Sie standen unter Verdacht, Modellflugzeuge für Terroranschläge zu bauen. Bei einer Wohnungsdurchsuchung fanden Ermittler bei M‘barek ein dschihadistisches Standardwerk sowie eine Pistole mit elf Reizgaspatronen. Aber dann wurde das Verfahren eingestellt. Keiner der Terror-Vorwürfe konnte erhärtet werden.

Trotzdem wurde M’barek im März dieses Jahres nach Tunesien abgeschoben, nachdem er laut bayerischem Innenministerium mehrere Aufforderungen zur Ausreise ignoriert hatte. Verfassungsschutz und Polizei sind sich sicher, dass der 30-Jährige Kontakte zu Personen pflegte, die sich Terrorgruppen in Syrien angeschlossen haben. Er selbst sagt dazu, er könne doch nichts dafür, wenn diese Leute ins Kriegsgebiet ausgereist seien.

Zahl der abgeschobenen Gefährder steigt

Die Sicherheitsbehörden wollen vermeiden, dass so etwas wie der Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri noch einmal passiert. Seine Abschiebung war auch deshalb gescheitert, weil er über keine gültigen Ausweispapiere verfügte.

Das Bundeskriminalamt zählt mehr als 770 islamistische Gefährder in Deutschland - jener Personenkreis, dem eine Straftat mit erheblicher Bedeutung zugetraut wird. War es 2016 laut Bundesinnenministerium noch eine Zahl im einstelligen Bereich, zählt das Ministerium seit Anfang 2017 mehr als 50 Gefährder, die das Land verlassen mussten - etwa nach Tunesien, Afghanistan oder in den Kosovo.

Fragt sich: Schaffen es die Behörden in den Zielländern, abgeschobene Islamisten im Blick zu behalten? Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, hat Zweifel und sagt, die deutsche Polizei sei besser aufgestellt, um Gefährder zu überwachen. Ein abgeschobener Radikaler sei weiterhin eine potentielle Bedrohung, glaubt Jelpke.

Abgeschobene Islamisten bleiben eine Bedrohung

Zudem ist es ein Problem, wenn Islamisten Kontakte in Deutschland knüpfen können, die ihnen auch nach der Abschiebung nützlich sind. So räumt das Bundesinnenministerium auf BR-Nachfrage ein:

"Abgeschobene und ausgewiesene Gefährder können insbesondere durch Aufrechterhaltung der Kontakte zur deutschen Szene bzw. Aufnahme von Kontakten zu weiteren Personen, insbesondere über soziale Netzwerke, für eine fortdauernde Einflussnahme auf die deutsche Islamistenszene sorgen. " Stellungnahme Bundesinnenministerium

Folgt man der Sichtweise des Innenministeriums, versucht auch der abgeschobene Münchner Student Khalil M’barek die Szene propagandistisch vom Ausland aus zu beeinflussen. In Internet-Videos stellt er sich als Opfer tunesischer und deutscher Behörden dar - als Muslim, der zu Unrecht abgeschoben wurde. M'barek selbst sagt, dass er in seinem Heimatland für Menschenrechte kämpft.

Abschiebungen, so schreibt das Bundesinnenministerium, würden inzwischen vermehrt von der dschihadistischen Szene im Internet aufgegriffen und propagandistisch weiterverarbeitet.

Droht abgeschobenen Gefährdern Folter?

Eine weitere Frage beschäftigt vor allem deutsche Gerichte: Droht abgeschobenen Gefährdern Folter? So wurde Sami A., der mutmaßliche Ex-Leibwächter von Osama bin Laden, am 13. Juli abgeschoben. Und das, obwohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zuvor die Abschiebung untersagt hatte, weil Sami A. in Tunesien womöglich Folter drohe. Nun soll er zurück nach Deutschland. Ob und wann es dazu kommt, lässt das Bundesinnenministerium offen: "Alle Beteiligten arbeiten konstruktiv zusammen, um eine Umsetzung der gerichtlichen Entscheidungen herbeizuführen."

Sami A.'s Anwältin Seda Basay-Yildiz hofft auf seine baldige Rückkehr. Und sie berichtet von einem weiteren Fall. Sie vertritt den aus Deutschland abgeschobenen Gefährder Haikel S., der angeblich in Tunesien gefoltert wurde. Er soll an einem Anschlag in Tunesien mit mehreren Toten beteiligt gewesen sein.

Amnesty: Elektroschocks und Schlafentzug in tunesischen Gefängnissen

Auf Details der Folter-Vorwürfe möchte Anwältin Basay-Yildiz nicht eingehen, weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt. "Es deckt sich mit dem, was Menschenrechtsorganisationen schreiben", sagt die Anwältin. Die Organisation Amnesty International berichtet immer wieder von Elektroschocks oder Schlafentzug in tunesischen Gefängnissen, lobt aber gleichzeitig das Bemühen der tunesischen Regierung, Menschenrechte einzuhalten. Das Bundesinnenministerium teilt mit, nach der bisherigen Erfahrung seien nach Tunesien zurückgeführte Gefährder keiner allgemeinen Misshandlungsgefahr ausgesetzt.

Anwältin Basay-Yildiz will den Fall Haikel S. vor das Bundesverwaltungsgericht bringen. "Das wird hoffentlich Auswirkungen auf andere Verfahren haben", so Basay-Yildiz. Damit künftig potentielle Abschiebefälle vielleicht doch nicht Deutschland verlassen müssen, wenn unklar ist, was sie in einem Land wie Tunesien erwartet.