10.10.22: Mitglieder der Gaspreis-Kommission bei der Pressekonferenz zu ihrem Zwischenbericht in Berlin.
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10.10.22: Mitglieder der Gaspreis-Kommission bei der Pressekonferenz zu ihrem Zwischenbericht in Berlin.

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"Einfach zu spät": Zweifel an Gaspreisbremse ab März wachsen

Die Vorschläge der Gaspreis-Kommission für eine Entlastung bei den Energiekosten werden kontrovers diskutiert. Der Sozialverband VdK warnt vor frierenden Menschen mit wenig Einkommen, Greenpeace fürchtet einen weiter zu hohen Energieverbrauch.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Nach den Vorschlägen der Expertenkommission zur Gaspreisbremse fordert der Sozialverband VdK schnelle Hilfe für arme Menschen. Es sei wichtig, "dass ein Härtefallfonds für Menschen mit kleinen Einkommen und Renten, die sich ihre Heizung nicht mehr leisten können, noch in diesem Jahr eingeführt wird", erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele.

Die ab kommendem Frühjahr geplante Gaspreisbremse greift laut Bentele zu spät. Bis dahin würden "Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen und Pflegebedürftige in ihren kalten Wohnungen sitzen und frieren". Deswegen müsse der Härtefallfonds, den die Kommission ebenfalls vorgeschlagen hatte, schnell kommen.

Gaspreis-Vorschläge liegen jetzt bei der Bundesregierung

Die Kommission hatte am Montag ihre Vorschläge an die Bundesregierung übergeben. Zunächst soll demnach der Staat die Gas-Abschlagszahlungen für Dezember komplett übernehmen. Ab März soll dann ein Gas-Grundkontingent von 80 Prozent des vermutlichen Verbrauchs bei 12 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden.

Die Bundesregierung will die Vorschläge rasch prüfen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kündigte bereits an, dass die Pläne wohl "sehr rasch und weitgehend" umgesetzt werden.

Greenpeace will Effizienz-Auflagen für die Industrie

Unterdessen fürchtet die Umweltorganisation Greenpeace , dass der Energieverbrauch mit der von der Kommission vorgeschlagenen Gaspreisbremse nicht ausreichend sinkt. "Besser wäre es, Entlastungen zielgerichtet auf Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen auszurichten", sagte Greenpeace-Klima-Experte Bastian Neuwirth.

Er forderte eine "Win-Win-Situation" für Klimaschutz, Wirtschaft und Menschen - anstatt Dutzende Milliarden Euro in günstigeres Gas zu investieren. "Gerade für die Industrie sollten Hilfszahlungen an die Anforderung geknüpft werden, in Energieeffizienz und die Umstellung auf klimafreundliche Produktionsprozesse zu investieren, um so schnell die Abhängigkeit von fossilen Energien zu senken."

Steuerzahler-Bund: "Kann nur den Kopf schütteln"

Kritik an den Gaspreis-Empfehlungen kommt auch vom Bund der Steuerzahler. Er könne nur den Kopf schütteln, sagte Präsident Reiner Holznagel den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dass die "kurzfristigen Vorschläge überhaupt an der richtigen Stelle ansetzen, bezweifle ich."

Holznagel betonte, die Dezember-Einmalzahlung werde die künftige Steuerzahlergeneration fünf Milliarden Euro kosten. Allerdings werde dieses Geld nicht die aktuelle Unsicherheit aufgrund der hohen Preise mindern. Auch würden nicht nur jene entlastet, die Kostensteigerungen tatsächlich nicht stemmen könnten. "Unterm Strich muss verhindert werden, dass schuldenfinanziertes Geld einfach an alle ausgekehrt wird - und das auch noch mit fragwürdiger Wirkung."

"Keine Lösung, die privater Vermieter umsetzen kann"

Die Gaspreis-Kommission will in drei Wochen ihren Abschlussbericht vorlegen und auch weitere Details zu den bereits veröffentlichten Plänen präsentieren. Zweifel an der Praxistauglichkeit haben Stand jetzt aber auch Vertreter der Immobilienbesitzer in Deutschland. Die vorgeschlagene Erstattung der Dezember-Gasrechnung lässt sich nach Ansicht des Eigentümerverbands Haus und Grund nicht realisieren. Der Vorschlag sei "keine Lösung, die ein privater Vermieter umsetzen kann", sagte Kai H. Warnecke, Präsident des Verbands, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

"In der Kürze der Zeit wird es vor allem Wohnungseigentümern, die vermieten, nicht möglich sein, den Anteil zu berechnen und die Abschlagszahlungen zu erstatten" sagte Warnecke. "Es wirkt, als wäre der Vorschlag von Leuten erarbeitet worden, die noch nie eine Heizkostenabrechnung gesehen, geschweige denn erarbeitet haben." Auch die ab März vorgeschlagene Gaspreisbremse kritisierte Warnecke: "Einen Deckel zum Ende des Winters einzuführen ist wie eine Mietpreisbremse in einem Dorf, wo niemand mehr wohnt."

Die Handwerkskammer Schwaben sieht das ähnlich. Laut ihrem Präsident Hans-Peter Rauch brauchen die Handwerksbetriebe sofort Unterstützung, weil sie die Energiepreise schon jetzt nicht mehr bezahlen können. "Der Gaspreisdeckel muss im Januar 2023 bereits greifen, sonst kommt er einfach zu spät", sagte Rauch. Die beschlossene Einmalzahlung an die Unternehmen sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein und werde keinesfalls ausreichen, um die Firmen in ihrer Existenz zu sichern.

Kommissions-Mitglied Pittl: Braucht weitere Entlastung

Schon am Montag hatten dagegen mehrere Mitglieder der Expertenkommission ihre Vorschläge verteidigt. Bei BR24 räumte Karen Pittl vom Münchner ifo-Institut aber ein, dass es aufgrund der Unterstützung per Gießkannenprinzip bei der geplanten Gaspreispremse keine Differenzierung zwischen wohlhabenden und armen Haushalten gebe. Die Entlastung der Verbraucher erfolge über die Energieversorger - und die kennen laut ihr die Vermögensverhältnisse ihrer Kunden nicht. Zur Entlastung armer Haushalte, die durch hohe Energiepreise besonders betroffen sind, brauche es weitere staatliche Hilfen, betonte Pittl.

Der Umweltökonom Felix Matthes vom Freiburger Öko-Institut stellte sich in der radioWelt bei Bayern 2 ebenfalls hinter die Vorschläge der Experten-Kommission. "Diese Lösungen sind nicht schön, nicht perfekt und nicht gerecht, aber sie sind schnell und reflektierten die unterschiedlichen Notwendigkeiten", sagte Matthes, der selbst Mitglied der Kommission ist. "Der Bürger muss eigentlich nichts machen. Sondern das ist etwas, was die Gasversorger dann mit dem Finanzminister machen." Lediglich Menschen mit höherem Einkommen müssten selbst aktiv werden, weil sie den Zuschuss auf die Gasrechnung als geldwerten Vorteil versteuern müssten. Die dafür notwendigen Einkommensgrenzen würden noch festgelegt.

Kritik aus Österreich: "Gaspreisbremse nur europäisch"

Derweil hat Österreichs Kanzler Karl Nehammer nationale Alleingänge bei der sogenannten Gaspreisbremse gerügt. "Diese Gaspreisbremse kann nur europäisch organisiert sein. Nationale Alleingänge verbieten sich, auch weil das die Wettbewerbsfähigkeit im Binnenmarkt verzehren kann", sagt Nehammer der Zeitung "Welt". Zudem bestünde die Gefahr, "dass der Strom, der infolge einer nationalen Gaspreisbremse günstiger zu haben ist, an den Börsen sofort so gehandelt wird, dass er auch in andere Länder abfließt".

Die Europäische Union müsse gemeinsam einen bestimmten Preis für Gas schultern, forderte Nehammer. "Natürlich müssten für das Gas Marktpreise bezahlt werden, sonst erhielte die EU ja kein Gas." Die Differenz zwischen dem marktüblichen Kaufpreis und dem Preis für die Verbraucher müssten dabei von der öffentlichen Hand getragen werden.

(mit Informationen von dpa, Reuters und AFP)

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Gaskommission: Geteiltes Echo auf Vorschläge

Grafik: Füllstände von Gasspeichern

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