Ein Boot verlässt die schwimmende Kirche "Vineta" auf dem Störmthaler See  bei Leipzig
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Ein Boot verlässt die schwimmende Kirche "Vineta" auf dem Störmthaler See bei Leipzig

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Ganz allein? So sehen Europas Kirchen die deutschen Reformen

Mit dem "Synodalen Weg" versuchen die deutschen Katholiken, Reformen in der Kirche umzusetzen. Aus dem Vatikan kam zuletzt deutliche Kritik. Doch wie sehen andere Länder die deutschen Reformpläne und gibt es ähnliche Projekte anderswo in Europa?

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Erstmals in der langen Geschichte der katholischen Kirche in Europa hat in dieser Woche in Prag eine Versammlung der Ortskirchen aus allen Ländern des Kontinents getagt. Diese "Europa-Etappe" ist Teil eines bis 2024 dauernden weltweiten Beratungsprozesses, den Papst Franziskus angestoßen hat, um die Kirche zu erneuern.

Nirgends ist der Kampf der Kirchen größer als in Europa

Für die deutschen Katholiken war das Treffen auch ein Stimmungstest: Wie sehen andere Länder die Reformpläne, die in Deutschland im Rahmen des "Synodalen Wegs" angestoßen worden sind? Und wie stark ist der Veränderungswille anderswo?

Schon im Vorfeld war klar: Nirgends prallen kirchenpolitische und theologische Strömungen so aufeinander wie in Europa. Von Verteidigern der katholischen Identität, die sich von postmoderner Beliebigkeit scharf abgrenzen, bis hin zu Befürwortern einer alle Lebens-, Liebes- und Glaubensvarianten einschließenden offenen Kirche ist viel vertreten.

Religionsphilosoph Halik: Deutsche Kirche "wichtige Stimme"

Der tschechische Religionsphilosoph Thomas Halik glaubt, dass es viele Vorurteile gegenüber den deutschen Reformideen in Europa gebe und ruft dazu auf, diese zu überwinden. Den Versammlungen des deutschen "Synodalen Weges" bescheinigte er, sie hätten "wichtige Fragen ganz scharf artikuliert". Das gelte es, ernst zu nehmen und es in einen weiteren Kontext zu stellen, sagte er der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA). In der Symphonie der Synode sei die Kirche in Deutschland eine "wichtige Stimme".

Gleichzeitig betonte Halik, wenn es Veränderungen bei kirchlichen Institutionen geben sollte, müssten sie theologisch gründlich vorbereitet sein. Auch vor dem letzten Reformkonzil der katholischen Kirche vor 60 Jahren (Zweites Vatikanisches Konzil, 1962-1965) habe es eine ganze Generation von Theologen gebraucht, um die Erneuerung der Kirche vorzubereiten. Halik warb dafür, die in Deutschland aufgeworfenen Fragen nicht zu tabuisieren, sondern sie öffentlich zu debattieren.

Gilles: Europas Katholiken erleben Kirche sehr unterschiedlich

Aus Sicht der Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz, Beate Gilles, gibt es in Europa sehr unterschiedliche Sichtweisen auf den Zustand der katholischen Kirche und auf mögliche Reformen. Aktuell in Prag stelle sie fest, "dass innerhalb der Kirche in Europa die Wege zueinander manchmal weiter sind als die zwischen mir und denen, die außerhalb der Kirche stehen", sagte sie der KNA: "Mein Bild wird weiter, indem ich die Unterschiedlichkeit wahrnehme. Zum Beispiel merke ich beim Thema Frauenbeteiligung, dass das von uns ganz anders gefühlt wird als von manchen Frauen in Osteuropa."

Die zuvor von manchen beschworene Spaltungsgefahr durch einen "deutschen Sonderweg" werde bisher "nicht so thematisiert, dass man das bearbeiten könnte", ergänzte die Generalsekretärin: "Natürlich stehen wir unter Beobachtung, das merken wir. Aber dann zeigt sich: Die Deutschen spielen überhaupt keine Sonderrolle." Es gebe Zuspruch zum deutschen Reformprojekt, aber "die wenigsten wissen wirklich, was der Synodale Weg ist".

  • Zum Artikel: "Vatikan sagt Nein zum 'Synodalen Rat' in Deutschland"

Viele Iren fordern Zulassung von Frauen zum Priestertum

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sieht bei der Frauenfrage Deutschland nicht als Einzelkämpfer. "Ich denke, wir haben klar Bündnispartnerinnen und Bündnispartner in anderen Delegationen", sagte sie dem Bayerischen Rundfunk. Auch viele irische Katholikinnen und Katholiken hätten in der Vorbereitung auf die Synode beklagt, dass Frauen von Diensten und Entscheidungen in der Kirche ausgeschlossen würden. Sie forderten eine Zulassung von Frauen zu Diakonat und Priestertum. Auch hätten viele, die in Liebesbeziehungen lebten, die der Lehre der Kirche widersprechen, sich verletzt gezeigt, weil sie sich in kirchlichen Kreisen und durch die Sprache kirchlicher Dokumente ausgeschlossen und erniedrigt fühlten.

Etliche Missbrauchsfälle hätten vermieden werden können, wenn die Kirche damals schon synodaler gewesen wäre, sagte die irische Delegation in Prag. Es gebe eine große Sehnsucht nach einer offeneren und einladenden Kirche. Die Menschen verlangten nach mehr Offenheit in der Liturgie, in der Sprache, in Strukturen und in Entscheidungsprozessen.

Vor den Iren hatten unter anderen bereits Deutsche und Franzosen weitreichende Veränderungen als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal gefordert. Weitere Delegationen, darunter die aus Österreich, hatten beim Thema Missbrauch eine vertiefte Aufarbeitung verlangt.

Großer Streitpunkt: der Missbrauchsskandal

Der Umgang mit dem Missbrauchsskandal war einer der großen Streitpunkte in der tschechischen Hauptstadt. Gleich zu Beginn des Treffens kritisierten einige Redner eine mangelnde Berücksichtigung von Missbrauchsopfern. Die umfassendste Kritik äußerte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing. Er sagte, es komme in den bisherigen Beiträgen zu wenig zur Sprache, dass die Kirche "zutiefst verwundet sei", weil zahlreiche Priester und Ordensleute durch sexuellen Missbrauch "Menschen in der Kirche verwundet haben".

Die Situation sei dramatisch, betonte Bätzing. In Europa gebe es "Hunderttausende Opfer" von sexuellem Missbrauch durch Geistliche. Wenn diese nicht gehört würden, sei keine Vergebung möglich. Es sei unverständlich, warum die Opfer bei der Synode keine Stimme hätten.

Prager Erzbischof relativiert Missbrauch - Iren fordern radikale Konsequenzen

Ähnlich wie Bätzing kritisierte auch der in Moskau arbeitende Jesuitenpater Stephan Liepke den bisherigen Umgang mit dem Missbrauchsskandal in der Synode. Dabei erwähnte er die Predigt des Prager Erzbischofs Jan Graubner beim Eröffnungsgottesdienst am Sonntagabend. Dieser habe von "einigen Skandalen" durch Männer der Kirche und durch Geistliche gesprochen, in Wahrheit gebe es aber sehr viele Skandale und Verletzungen. Es sei ein "riesiges Problem, das wir ernsthaft angehen müssen, um herauszufinden, was Umkehr und Neuanfang bedeuten können", so der Jesuit.

Die irische Delegation bei der Europa-Etappe der katholischen Weltsynode hat radikale Konsequenzen aus dem kirchlichen Missbrauchsskandal gefordert. Der Missbrauch habe tiefe Wunden gerissen und bei vielen den Glauben zerstört, hieß es in einer von einer Katholikin und einem Priester verlesenen Stellungnahme der irischen Delegation. Dies betreffe am meisten die Opfer, aber auch viele Gläubige, Priester und Bischöfe. Viele könnten in einer Kirche, die so viele betrogen habe, keine gute Nachricht mehr hören.

Auch osteuropäische Bischöfe bekennen Schuld bei Missbrauch

Der katholische Erzbischof von Belgrad, Laszlo Nemet, kündigte einen gemeinsamen Text osteuropäischer Bischöfe zu diesem Thema an. Nemet führte aus, dass die Kirche in den östlichen Ländern nur scheinbar weniger belastet sei. Dies liege daran, dass die Kirche im Kommunismus bis 1990 scharf von der Geheimpolizei überwacht und klerikale Missbrauchstäter streng bestraft worden seien. Nach der Wende seien viele Dokumente vernichtet worden. Das bedeute aber nicht, dass es im Osten keinen Missbrauch gegeben habe.

ZdK-Präsidentin Stetter-Karp: "Wind of change" spürbar

Wegen der unterschiedlichen Positionen und der Vielfalt kann sich ZdK-Präsidentin Stetter-Karp vorstellen, dass es unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Umsetzung gibt. Sie wünsche sich "Probierräume" und die Anerkennung unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten und Realitäten.

Der "wind of change" sei spürbar geworden, sagte sie dem Bayerischen Rundfunk. Sie selbst stehe schon seit vielen Jahren zu einem Priesterinnenamt und könne sich als ersten Schritt das Amt einer Diakonin vorstellen. Wichtig sei es aber auch, dass alle beieinander bleiben in der katholischen Kirche – bei allen Differenzen.

Bätzing nimmt Papst Franziskus bei Reformen in die Pflicht

Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende der deutschen Bischöfe, Georg Bätzing. Papst Franziskus sei in Sachen Reformen in der Pflicht. "Ich wäre froh, wenn es auf Ebene der Weltkirche erlaubt würde, dass in einigen Ortskirchen Dinge möglich sind, die in anderen Teilen nicht oder noch nicht relevant sind", sagte er der KNA.

  • Zum Artikel: "Bischof Bätzing bescheinigt Franziskus schlechten Führungsstil"

Bätzing zufolge zeigte sich in Prag eine "riesige Spannbreite von Lebenswirklichkeiten, kulturellen und politischen Realitäten, und auch Spannung und Diversität". Entsprechend sei auch das vorläufige Schlussdokument nicht mehr als eine Bestandsaufnahme: "Es wurde treu protokolliert, was stattfand; aber das ist ja nur ein erster Schritt."

Mit Informationen von KNA

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