Kardinal Victor Fernandez
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Frühe Ergüsse: Buch über Orgasmen holt Ratzinger-Nachfolger ein

Der Chefdogmatiker des Papstes wird erneut wegen eines alten Buches kritisiert. Darin stellt Kardinal Victor Fernandez Zusammenhänge von Orgasmen und Spiritualität her. Er ist nicht der erste Katholik, der sich schriftlich mit der Lust beschäftigt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Das Buch ist 25 Jahre alt und nur rund 100 Seiten schlank – jetzt hat ein konservativer argentinischer Blog es wieder ausgegraben: Unter dem Titel "La Pasion Mistica" (Die mystische Leidenschaft) schrieb Kardinal Victor Fernandez, der heutige Nachfolger von Joseph Ratzinger auf dem Platz als Chefdogmatiker des Papstes, im Jahr 1998 über den Zusammenhang zwischen Orgasmen und Spiritualität. Unter anderem reduziere er die mystische Erfahrung einiger Heiliger auf einen Orgasmus, wirft ihm jetzt der konservativ-katholische Blog "Messa in Latino" vor.

Eine Nonne, die sich ausführlich dem Orgasmus widmete

Dabei ist Fernandez nicht der Einzige in der katholischen Kirche, der sich schriftlich mit dem sexuellen Höhepunkt beschäftigt hat. Bereits im Mittelalter schrieb die Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen – selbst eigentlich als Ordensfrau enthaltsam lebend – detailliert über den weiblichen Orgasmus.

"Ist die Frau in Vereinigung mit dem Manne, so kündet die Wärme in ihrem Gehirn, die das Lustgefühl in sich trägt, den Geschmack dieses Lustgefühls bei der Vereinigung vorher an. Fast gleichzeitig damit ziehen sich die Nieren der Frau zusammen, und alle Teile, die während des Monatsflusses zur Öffnung bereitstehen, schließen sich so fest, als wenn ein starker Mann irgendeinen Gegenstand in seiner Hand fest verschließt." Junge Männer könnten demnach "bei leichtsinnigen Gedankenspielereien" Samen "aus sich herausschwitzen" und Mädchen würden bei "schlüpfrigen Fantasien" ab dem zwölften Lebensjahr den "Schaum der Wollust" auswerfen. Abklingen würde die "Glut der Begierde" bei beiden Geschlechtern dann im gleichen Alter: mit etwa 70 Jahren.

Mystische Erfahrungen durch Sex oder Enthaltsamkeit?

Zusammenhänge zwischen Sexualität und Spiritualität gibt es in fast allen Glaubensrichtungen – entweder, weil Sexualität wie im Tantra als Mittel angesehen wird, um in einen höheren Bewusstseinszustand zu kommen, oder indem die strikte Abstinenz propagiert wird wie im Christentum und von mystischen Erfahrungen die Rede ist, die durch sexuelle Enthaltsamkeit erlebt werden. "Das Dilemma ist ja, dass dies Lust als Teil der Erbsünde Sünde bedeutet", sagt Christoph Kürzeder, Theologe und Leiter des Freisinger Diözesanmuseums. Für Priester bedeute das, dass Lust, Begierde und Sexualität nach katholischem Verständnis völlig ausgeklammert sein müssten, so Kürzeder. Das aber gelingt – wie Werke von Tintoretto, Lucas Cranach der Ältere und Guido Reni im vergangenen Jahr in der Ausstellung "Verdammte Lust" zeigten – in der Praxis eher mäßig. In den im Diözesanmuseum ausgestellten Werken war eindeutig zu sehen: Hier werden spirituelle Erfahrungen nicht nur allein als geistiger Orgasmus verklärt.

Denn das Spiel mit der sexuellen Begierde ist gerade im Christentum ein jahrhundertealtes Spannungsfeld, bestätigt auch der Jesuitenpater und Vatikankenner Andreas Batlogg. "Die Sprache von Mystikerinnen des Mittelalters, Mechthild von Magdeburg, Gertrud von Helfter, Hildegard von Bingen, die ist immer erotisch aufgeladen."

Konservativer Blog spricht von "katholischem Tantrismus"

Dass der Blog "Messa in Latino" nun von "katholischem Tantrismus" und "göttlichen Orgasmen" spricht, jetzt ein 25 Jahre altes Buch hervorholt und es als "wirklich skandalös und offensichtlich blasphemisch" bezeichnet, kommt für Vatikankenner Andreas Batlogg nicht von ungefähr. Fernandez gelte als einer der engsten Ghostwriter des Papstes. "Dass man, wenn einer in diese Position kommt, nachforscht, worüber hat der bisher publiziert, was ist seine Doktorarbeit. Das ist natürlich. Aber es wirkt auf mich schon ein bisschen als eine an den Haaren herbeigezogene Diskreditierung einer Person."

Im Sommer 2023 hatte Papst Franziskus seinen Landsmann Fernandez zum Leiter der vatikanischen Glaubensbehörde ernannt. Bald darauf griffen konservative Online-Medien vor allem aus den USA den bisherigen Erzbischof von La Plata an, weil er in seiner Zeit als Jugendseelsorger ein Buch über das Küssen geschrieben hatte. Fernandez selbst bezeichnete das Buch als katechetisch, nicht theologisch.

Vatikankenner sieht darin Kampagne "restaurativer Kräfte"

Dass dieses Buch ausgerechnet jetzt Schlagzeilen mache, ist aus Sicht des Jesuitenpaters kein Zufall. "Warum er jetzt damit konfrontiert wird, das ist eine Kampagne." Denn wenn man nicht auf den Papst einschlagen könne, kritisiere man eben enge Mitarbeiter. Als Grund für den Ärger aus dem konservativen Lager nennt Batlogg die Kommunikation des jüngsten vatikanischen Schreibens "Fiducia supplicans" (Das flehende Vertrauen). Die sei nicht gut gelaufen. In der kurz vor Weihnachten veröffentlichten Erklärung der Glaubensbehörde erlaubt die katholische Kirche erstmals auch eine Segnung homosexueller Paare.

Dazu kommt nach den Worten von Batlogg das entsprechende mediale Echo: "Sex sells und Skandale wittern in der Kirche mit ihrer Doppelmoral. Das ist natürlich ein Thema und wenn ein Autor Kardinal ist, dann ist natürlich klar, da wird geforscht und durchleuchtet." Außerdem seien – das zeige sich auch im aktuellen Aufreger einmal mehr – die "restaurativen Kräfte" in der katholischen Kirche, wie Batlogg konservative und traditionalistische Kreise nennt, medial besser aufgestellt und gut vernetzt.

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