Annalena Baerbock und andere Außenministerinnen bei einem Treffen am Rande der Sicherheitskonferenz in München am 18.02.23.
Bildrechte: pa/photothek/Kira Hofmann
Videobeitrag

Annalena Baerbock und andere Außenministerinnen bei einem Treffen am Rande der Sicherheitskonferenz in München am 18.02.23.

Videobeitrag
>

"Feministische Außenpolitik": Darum geht es Baerbock und Schulze

"Feministische Außenpolitik": Darum geht es Baerbock und Schulze

Außenministerin Baerbock und Entwicklungsministerin Schulze haben Anfang März ihre Leitlinien für eine feministische Politik vorgestellt. Worum geht es? Was soll sich am deutschen Handeln ändern? Und wer regt sich auf? Wichtige Fragen und Antworten.

Über dieses Thema berichtet: Nachrichten am .

"Wir rufen heute keine Revolution aus, sondern tun eine Selbstverständlichkeit" – so beginnt Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Anfang März ihr Statement über die geplanten Leitlinien einer feministischen Außenpolitik. Laut der Grünen-Politikerin soll sich das Konzept künftig durch "alle Bereiche unseres außenpolitischen Handelns" ziehen. "Die Hälfte einer Gesellschaft besteht aus Frauen, deshalb müssen ihre Probleme berücksichtigt werden."

Als besonders bitteres Beispiel nennt Baerbock Vergewaltigungen im Krieg. Das sei keine Normalität, sondern ein Kriegsverbrechen. Oder, anderes Beispiel, der von Deutschland geförderte Wiederaufbau eines Dorfs irgendwo auf der Welt: Es sei eben nicht banal, ob Plätze dabei beleuchtet werden oder nicht. Sondern im Zweifel entscheide das darüber, wann und wie Frauen vor die Tür treten können.

Auch die deutsche Entwicklungspolitik soll sich künftig stärker an den Bedürfnissen von Frauen und Mädchen orientieren, wie Ministerin Svenja Schulze (SPD) betont. Allerdings wird über wenige Konzepte so heftig gestritten wie über eine stärker feministisch ausgerichtete Politik, nicht zuletzt in sozialen Netzwerken. Worum also geht es – und was wird daran kritisiert? Ein Überblick.

"Feministische Politik": Was ist damit gemeint?

Wenn sich Deutschland politisch im Ausland engagiert, soll künftig die Gleichberechtigung von Frauen konsequent gestärkt werden. "Wir wollen Gesellschaften gerechter machen", erläutert Schulze. Wenn Frauen selber entscheiden könnten, wann sie mit wem Kinder bekommen, bedeute dies, dass junge Mädchen die Schule abschließen könnten. Wichtig sei auch das Recht, Land zu haben: "Die meisten, die Felder bewirtschaften, sind Frauen. Wenn ihnen das Land nicht gehört, bekommen sie keine Kredite."

Baerbock zufolge soll sich ein stärker feministisch ausgerichtetes Vorgehen durch alle Bereiche der deutschen Außenpolitik ziehen. Als Beispiele nennt sie Friedensmissionen, bei denen mehr Frauen eingebunden werden sollen. Es gehe auch "um ganz normale Probleme von ganz normalen Menschen". Bisher wisse man nicht in allen Bereichen genau, "wen unsere Mittel erreichen". Baerbock richtet den Blick nicht nur in die Ferne: Auch "bei uns" sei eine feministische Politik noch keine Realität.

Laut der Grünen-Politikerin haben sich weltweit bisher rund 30 Staaten einer feministischen Außenpolitik verschrieben – etwa Chile, Spanien oder die Mongolei. Im Konzept des Auswärtigen Amtes steht: "Feministische Außenpolitik heißt, dass wir besondere Verletzlichkeiten nicht nur sehen, sondern sie gezielt angehen, auch in unserer Projektförderung oder der humanitären Hilfe."

Was soll sich am deutschen Handeln ändern?

Zunächst mal wichtig: Es geht um Leitlinien, nicht um ein Gesetz, das konkrete Zielvorgaben festlegt. Deshalb haben Baerbock und Schulze das Bundeskabinett auch nur über die Pläne für ihre beiden Ministerien informiert – es gab keine Abstimmung. Und deshalb ist auch noch nicht ganz klar, wie genau die neuen Leitlinien die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik verändern werden. Diese Leitlinien gelten nicht für das gesamte Handeln der Bundesregierung.

Schulze nennt für die Entwicklungshilfe allerdings ein klares Ziel. Bisher zahlen laut ihr rund 60 Prozent der für Partnerländer bewilligten Finanzmittel "auf Gleichstellung ein". Noch in dieser Legislatur, also bis Herbst 2025, soll dieser Anteil auf mehr als 90 Prozent steigen. Generell geht es laut der SPD-Politikerin auch darum, dass Frauen weltweit mit deutscher Unterstützung leichteren Zugang zu Bildung sowie zum Gesundheits- und Finanzsystem kriegen. Dafür wichtig: "Frauen müssen mitentscheiden können."

Welche Rolle spielen Frauen in der deutschen Außenpolitik?

Im Auswärtigen Amt gibt es laut Baerbock noch jede Menge Verbesserungsbedarf auf dem Weg zu echter Gleichberechtigung. Bisher seien 26 Prozent der deutschen Botschafterinnen und Botschafter weiblich, da sei "viel Luft nach oben". Feministische Außenpolitik sei also auch eine "Verpflichtung nach innen". Ab Sommer soll es dafür eine "Botschafterin des Auswärtigen Amts für feministische Außenpolitik" geben. Im Entwicklungsministerium soll mindestens die Hälfte der Führungspositionen mit Frauen besetzt werden.

Mit Blick auf internationale Krisen sagt Baerbock: Man schaue schon jetzt genau hin, wenn Frauenrechte mit Füßen getreten würden – "wie in Afghanistan und Iran". Allerdings sei Feminismus kein Zauberstab: "Wir sind nicht naiv, wir werden mit feministischer Außenpolitik nicht alle Probleme der Welt lösen können. Aber wir werden genauer hinschauen."

Welche Kritik gibt es – und von wem?

Gerade am Umgang mit Afghanistan und dem Iran gibt es viel Kritik – verbunden mit Zweifeln an der Praxisstärke einer feministischen Außenpolitik. Ein Kernvorwurf aus der CDU mit Blick auf das Konzept lautet: Papier sei geduldig, praktisches Handeln etwas anderes als theoretische Überlegungen. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt sagt: Berlin sei bis heute "auf der Bremse beim Druck gegen das Mullah-Regime".

Hardt befürchtet auch, Baerbock könne sich von der Diplomatie verabschieden, "mit der die deutschen Diplomaten über viele Jahrzehnte kultursensibel weltweit deutsche Interessen vertreten haben". CSU-Chef Markus Söder sieht das ähnlich: "Wenn man nur noch versucht, die Welt zu missionieren, dann wird man am Ende recht einsam dastehen."

Die iranische Oppositionelle Masih Alinejad kritisiert das Konzept ebenfalls. "Ich bin ein bisschen schockiert, dass die deutsche Außenministerin nun mit einer feministischen Außenpolitik ankommt, wo sie so lange gebraucht hat, um die feministische Revolution in Iran überhaupt nur wahrzunehmen", sagt sie. Dass Deutschland weiter Handel mit Iran betreibe, "bricht mir das Herz", ergänzt Alinejad, die seit vielen Jahren gegen das Kopftuch und die Herrschaft der Mullahs kämpft. "Wenn Baerbock eine echte Feministin ist, dann sollte sie Menschenrechte nicht unter Geschäftsinteressen begraben."

Von "Etikettenschwindel" spricht die AfD-Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel. "Anstatt hochdotierte Botschafterposten zu schaffen und Diplomaten mit Seminaren zu langweilen, sollte sich Frau Baerbocks Außenpolitik ausschließlich an den Interessen Deutschlands orientieren." Linken-Chefin Janine Wissler kritisiert dagegen Waffenlieferungen an Staaten wie Saudi-Arabien. Wer Waffen in Länder exportieren lässt, "wo Frauen- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden", könne dem Anspruch feministischer Außenpolitik nicht glaubhaft gerecht werden.

Wer findet die Pläne von Baerbock und Schulze gut?

Mehrere Hilfsorganisationen halten das Konzept für hilfreich. "Aus unserer weltweiten Arbeit wissen wir, dass Hilfsprojekte dann besonders erfolgreich sind, wenn sie aus der Perspektive von Frauen gestaltet sind und Frauen in den Blick nehmen", sagt die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks "Brot für die Welt", Dagmar Pruin. "Dann profitieren ihre Familien, Gemeinden und die ganze Gesellschaft." Pruin betont, dass die Zivilgesellschaften aus dem Globalen Süden an der Erarbeitung beteiligt worden seien.

"In allen Weltregionen sind es mehr Frauen als Männer, die hungern", sagt Asja Hanano von der Welthungerhilfe. Hunger lasse sich nicht beseitigen, ohne soziale Ungleichheit zu lösen. Allerdings fehlten bei den Plänen zur Entwicklungszusammenarbeit messbare Ziele und konkrete Umsetzungspläne.

Woher kommt das Konzept einer feministischen Außenpolitik?

Feministische Außenpolitik ist nicht neu – ihre Anfänge reichen gut 100 Jahre zurück. Eine wichtige Organisation ist das "Centre for Feminist Foreign Policy" mit Sitz in London und Berlin. Dort arbeitet Kristina Lunz, die an den jetzt vorgestellten Leitlinien für die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik mitgeschrieben hat. Sie sagt im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: Gerade wegen der vielen Kriege und Konflikte sei ein neuer Ansatz dringend nötig.

"Die traditionellen Ansätze von Außen- und Sicherheitspolitik haben nur dazu geführt, dass sich die Zahl der Konflikte weltweit in den letzten Jahren verdoppelt hat", erläutert Lunz. "Von ungefähr 30 auf 60." Ihr geht das aktuelle Konzept nicht weit genug: Für jeden Euro, der in Aufrüstung gesteckt werde, solle ein Euro fließen in "menschliche Sicherheit durch feministische Außenpolitik, feministische Entwicklungszusammenarbeit". Genau so haben es SPD, Grüne und FDP übrigens in ihrem Koalitionsvertrag verabredet – vor den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.

Ist das Reizwort "feministisch" wirklich zielführend?

Diese Frage haben sich auch die zentralen Akteurinnen gestellt. Man habe überlegt, das Konzept anders zu nennen, sagt Entwicklungsministerin Schulze. "Aber seien Sie doch mal ehrlich, hätten wir so viel über diesen anderen Blick auf Entwicklungs- und Außenpolitik diskutiert, ohne die Definition als feministische Politik? Wir haben noch nie so viel Aufmerksamkeit für bestimmte Projekte bekommen wie jetzt."

In einem Punkt ist der Zusatz "feministisch" aber womöglich irreführend: Es geht nicht nur um Frauenrechte, sondern auch um benachteiligte Gruppen wie Homosexuelle oder indigene Völker. Im Konzept heißt es: "Gesellschaften, in denen Gleichstellung verwirklicht oder zumindest angestrebt ist, sind friedlicher, gerechter, nachhaltiger und wirtschaftlich erfolgreicher als solche, die Frauen und andere von der Teilhabe ausschließen."

Feministische Politik: Wie geht es jetzt weiter?

Das Auswärtige Amt und das deutsche Entwicklungsministerium sollen sich ab sofort an den neuen Leitlinien orientieren. Die Hoffnung in das Konzept ist jedenfalls bei Entwicklungsministerin Schulze groß: "Wenn Frauen gleichberechtigt sind und gleiche Verantwortung tragen, gibt es weniger Armut, weniger Hunger und mehr Stabilität auf der Welt."

Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 01.03.2023 anlässlich der Vorstellung der neuen Leitlinien durch die Ministerinnen Baerbock und Schulze. Zum Weltfrauentag am 08.03.2023 wurde der Artikel aktualisiert.

Die Leitlinien
Bildrechte: Bayerischer Rundfunk 2023
Videobeitrag

Die Leitlinien

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!