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#Faktenfuchs: Irreführende Behauptungen zu Hartz IV für Ukrainer

Ein AfD-Politiker verurteilt in einem weit verbreiteten Video die Hartz-IV-Leistungen für ukrainische Geflüchtete. Dabei zieht er irreführende Vergleiche und lässt wichtigen Kontext aus, wie diese #Faktenfuchs-Recherche zeigt.

Darum geht es:

  • Seit 1. Juni 2022 können auch Ukrainer in Deutschland Hartz IV erhalten.
  • Ein AfD-Politiker stellt die Hartz-IV-Bezüge der Rente gegenüber – und behauptet, wer ein ganzes Arbeitsleben eingezahlt habe, bekomme weniger.
  • Das stimmt so nicht. Die Zahlen aus dem Video belegen das nicht.

Geflüchtete aus der Ukraine haben in Deutschland sofort Zugang zu Hartz IV. Die Ampel-Regierung entschied im April, dass ukrainische Geflüchtete in Deutschland ihre Leistungen nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten - also Hartz IV. Das gilt seit dem 1. Juni 2022.

  • Alle aktuellen Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier.

Diese Entscheidung nutzt die AfD, um verschiedene gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen und bekannte rechtspopulistische Vorurteile gegen Geflüchtete wieder zu aktivieren. Im Mitgliedermagazin "AfD kompakt", in Redebeiträgen im Bundestag und in den Sozialen Medien verbreiteten AfD-Politiker entsprechende Aussagen. Diese Recherche des #Faktenfuchs mit Hilfe von Desinformations- und Kommunikationsexpertinnen zeigt, wie dafür zum Beispiel ein weit verbreitetes Video Tatsachen verzerrt.

Das Konstrukt: Rentner gegen Hartz-IV-Empfänger

Das Video des AfD-Bundestagsabgeordneten René Springer hatte zuletzt auf TikTok mehr als 710.000 Aufrufe (Stand 26.07.2022). Auf Telegram und Facebook kursierte das Video ebenfalls. Einige User, die es über Whatsapp geschickt bekommen und eine starke Verbreitung beobachtet hatten, leiteten das Video dem #Faktenfuchs weiter, mit der Bitte, es zu prüfen.

Der #Faktenfuchs hat sich das Video angeschaut und die Aussagen überprüft. Kurz zusammengefasst: Das Video nutzt offizielle Zahlen, die aber zumindest teilweise ein falsches Bild erzeugen, weil sie nicht das belegen, wovon der AfD-Politiker spricht. So entsteht der Eindruck, deutsche Rentner seien gegenüber Hartz-IV-Empfängern und insbesondere gegenüber ukrainischen Geflüchteten generell benachteiligt.

Die Gruppen, die Springer in dem Video einander gegenüberstellt: Steuerzahler, Rentner und insbesondere Rentnerinnen, die drei Kinder aufgezogen haben, auf der einen Seite – und Hartz-IV-Empfänger und speziell ukrainische Geflüchtete auf der anderen Seite.

Pia Lamberty, Co-Geschäftsführerin des gemeinnützigen Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) und Expertin für Desinformation, ordnet das Video im Gespräch mit dem #Faktenfuchs ein: "Das Video konstruiert ein Wir-gegen-die. Und es bringt Klischeebilder wieder auf den Tisch, die es ab 2014 so ähnlich schon einmal gab: die vom reichen und bevorzugten Flüchtling." Eine Strategie von Rechtsextremen sei, Ressentiments zu schüren – auch über das Aufblähen von Sozialleistungen. "Betroffene sind dann nicht nur Geflüchtete, sondern auch Hartz-IV-Empfänger allgemein, die als 'Sozialschmarotzer' dargestellt werden", sagt Lamberty. Darin sieht sie den "Versuch, auf die aktuelle Krisenlage aufzuspringen, die gehabten Ressentiments in diese Lage zu pressen und so wieder mehr Wähler zu gewinnen".

Auch der Politikberater Martin Fuchs hat sich das Video auf Bitte des #Faktenfuchs hin angeschaut. Zu Fuchs' Kunden zählen die Linke, die CDU und weitere Parteien. Er sagt, es sei ein Beispiel dafür, wie populistische Thesen auch an Menschen gebracht werden könnten, die dafür sonst womöglich nicht so empfänglich sind.

Um über die Strategie des Videos aufzuklären, betrachtet dieser #Faktenfuchs-Artikel zunächst mit diesem Experten genauer die Machart des Videos. Dann geht der Artikel auf die Zahlen ein, mit Hilfe einer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit und Daten der Deutschen Rentenversicherung. Zum Schluss zeigt der #Faktenfuchs die politischen Hintergründe der Ampel-Entscheidung auf.

Die Dramaturgie des Videos

"Dieses Video hat eine sehr smarte Dramaturgie", sagt Martin Fuchs im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Zu Beginn des Videos räumt der AfD-Politiker René Springer zunächst eine schon länger kursierende Falschbehauptung aus dem Weg: Ukrainer könnten mit 57 Jahren Rente in Deutschland bekommen (dazu erklärt dieser #Faktenfuchs mehr).

Springer bezeichnet das – richtigerweise – als "Fake News". "So etwas kennt man von der AfD eher weniger", sagt Politikberater Fuchs. Gleich mit einem Faktencheck zu starten, schaffe Aufmerksamkeit. Dieses Angebot, zunächst einmal die Weiterverbreitung von Falschinformation zu verhindern, verleihe Glaubwürdigkeit.

"Der Einstieg ist eher bürgerlich", sagt Fuchs. "Dann nimmt der Populismus im Laufe des Videos immer weiter zu und bricht am Ende dann voll durch. Das hat eine gewisse Dynamik, da es die Leute, die gegebenenfalls nicht so AfD-affin sind, erstmal reinzieht und dann emotional entlässt und Empörung erzeugt."

Diese Dynamik zeigt sich, wenn Springer im Video zu seiner Kernbehauptung kommt: Der "eigentliche Skandal" sei, "dass jemand, der nie eingezahlt hat, sofort mehr Geld zur Verfügung hat als jemand, der ein ganzes Arbeitsleben hinter sich gebracht hat, der das Land aufgebaut hat und Kinder aufgezogen hat". Die Politik der Ampel nennt er – am Ende des Videos – "verräterisch" und "inländerfeindlich".

Springer wirke während des gesamten Videos sehr ruhig, sagt Fuchs. "Er gibt sich auch den professionellen Anschein durch die Zahlen – in der Hoffnung, dass sich die Zahlen keiner genauer anschaut", sagt der Politikberater.

Die Zahlen führen in die Irre - denn sie sind falsch ausgewählt

In dem Video nennt der AfD-Bundestagsabgeordnete mehrere Zahlen als vermeintliche Belege, um seine Aussagen zu untermauern und ihnen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Zahlen lassen sich alle in offiziellen Dokumenten finden. Aber zum einen sind einige davon nicht geeignet, Springers These zu belegen. Zum anderen lässt Springer wichtigen Kontext aus.

Pia Lamberty vom CeMAS sagt: "Bei Falschinformation denken wir erst einmal, dass schlicht falsche Zahlen verwendet werden – aber in der Realität ist es oft komplexer – und damit auch schwieriger zu dechiffrieren." Hier wendet Springer laut Lamberty die Strategie des "Cherry-picking" an: "Einzelne, scheinbar passende Zahlen werden herausgegriffen, die Einordnung in den Kontext und das größere Ganze fehlt aber." Es wird nicht erklärt, was die Zahlen sagen und was sie nicht sagen.

Springer sagt in dem Video, zusammengefasst: Hartz-IV-Bezüge übersteigen "schnell mal" 1.000 Euro. Der durchschnittliche Rentner hingegen habe zuletzt weniger bekommen (989 Euro). Das soll dem Video zufolge die Summe sein, die durchschnittlich jemand bekomme, der "ein ganzes Arbeitsleben hinter sich gebracht" habe.

Aber: Die Renten-Summe von 989 Euro als Beleg dafür zu nutzen, wie wenig Rentner nach einem ganzen Arbeitsleben im Vergleich zu Hartz-IV-Beziehern bekommen, ist dafür laut einem Sprecher der Rentenversicherung nicht geeignet.

989 Euro nach einem ganzen Arbeitsleben - das stimmt so nicht

Die 989 Euro, die Springer in seinem Video nennt, bilden nicht jene Gruppe ab, über die er spricht: Menschen, die ein "ganzes Arbeitsleben" in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Das macht ein Sprecher der Deutschen Rentenversicherung im Telefonat mit dem #Faktenfuchs deutlich. 989 Euro ist laut den Daten der Deutschen Rentenversicherung die durchschnittliche Summe für jene Menschen, die 2020 erstmals Altersrente bezogen haben, sowie die durchschnittliche Summe des gesamten Altersrentenbestands im Jahr 2020 (also aller verschiedenen Altersrentenbezüge).

Beide Durchschnitte enthalten allerdings auch Menschen, die nur sehr kurz in die Deutsche Rentenversicherung eingezahlt haben, etwa weil sie sich selbstständig machten und dann anders für das Alter vorsorgten, oder weil sie danach Kinder aufzogen und nicht mehr erwerbstätig waren. Deshalb liegen diese Durchschnitte niedriger als der für Menschen, die lange erwerbstätig waren.

Auf die Frage des #Faktenfuchs an Springer, inwiefern er die Gruppe derer, die ein ganzes Arbeitsleben hinter sich haben, in seinen Zahlen repräsentiert sieht, schreibt er: "Alle, die Renten wegen Alters beziehen, haben per Definition ein Arbeitsleben hinter sich gebracht." Das ist so nicht richtig.

Denn laut dem Sprecher der Deutschen Rentenversicherung ist es für die Betrachtung derer, die ein "ganzes Arbeitsleben" in die Rentenversicherung eingezahlt haben, besser, die Untergruppe der Personen anzuschauen, die mindestens 35 Jahre eingezahlt haben. Für sie liegt der Altersrentenzahlbetrag laut Deutscher Rentenversicherung höher. Und zwar bei 1.311 Euro (Netto) für 2020 und laut RV-Pressesprecher bei 1.310 (Netto) für 2021.

Springer sagt in dem Video weiter: "Bei Müttern in Rente, die drei Kinder zur Welt gebracht haben, sind es (gemeint ist der durchschnittliche Rentenbetrag; Anm.d.Red.) sogar nur 751 Euro." Diese Summe für 2020 ist richtig. Sie findet sich in einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage Springers. Aber auch hier bezieht sich der Durchschnitt auf den gesamten Rentenbestand der Frauen mit drei Kindern - es ist dabei nicht differenziert, wie lange die Frauen erwerbstätig waren.

Rente für mindestens 35 Arbeitsjahre liegt über Hartz-IV-Durchschnitt

Auch in Bezug auf Hartz IV nennt Springer Zahlen – auch hier muss man genauer hinschauen.

Zu den derzeitigen 449 Euro Hartz-IV-Regelsatz, etwa für Alleinstehende, kommen die Kosten für Unterkunft und Mehrbedarfe. So sagt es Springer, und das ist auch richtig. Springer sagt dann, das führe "schnell" zu mehr als 1.000 Euro jeden Monat.

Die Fakten: Insgesamt bezogen zuletzt (Stand März 2022) 45,8 Prozent der Hartz-IV-Empfänger Leistungen, die 1.000 Euro überschreiten, wie eine Auswertung der Arbeitsagentur für den #Faktenfuchs zeigt. Mehr als die Hälfte der Empfänger also bekommen weniger als 1.000 Euro. Die durchschnittliche Höhe der Ansprüche je Bedarfsgemeinschaft (dazu zählen auch einzelne Menschen) beträgt der Arbeitsagentur zufolge 1.075 Euro (Stand März 2022). Dazu zählen allerdings eben nicht nur Einzelpersonen. Der durchschnittliche anerkannte Bedarf pro Person in einer Bedarfsgemeinschaft betrug im vergangenen Dezember 624,10 Euro, wie Daten des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) zeigen. Das ist also auch auf die Personen, die keinen Bedarf für Regelleistungen haben, bezogen. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit bezieht die durchschnittlichen anerkannten Bedarfe für Gesamtregelleistung jedoch nur auf Regelleistungsberechtigte (RLB) und errechnete einen Wert von 664,18 Euro für den Dezember 2021.

Das ist weniger – und nicht mehr (wie Springer behauptet) – als die durchschnittliche Rente in Deutschland für Menschen, die mindestens 35 Jahre in die Deutsche Rentenversicherung eingezahlt haben. Und zwar, wie oben dargelegt, bei durchschnittlich 1.310 Euro (Netto).

Hartz IV ist kein "bedingungsloses Grundeinkommen" - man muss bedürftig sein

Im nächsten Schritt sagt Springer: "Die Ukrainer müssen sich also nicht mal um Arbeit bemühen. Selbst wenn ihnen vom Jobcenter eine zumutbare angeboten wird, können sie ablehnen – und das ohne irgendwelche Konsequenzen. Das ist nichts anderes als ein bedingungsloses Grundeinkommen für Ukrainer." Es stimmt, dass die Ampel-Regierung die Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger für ein Jahr weitgehend ausgesetzt hat. Allerdings für alle – nicht nur für Ukrainer. Grund dafür ist, dass die neue Bundesregierung Hartz IV durch das Bürgergeld ersetzen will.

Springer bezeichnet die Hartz-IV-Leistungen in Kombination mit den ausgesetzten Sanktionen also als "bedingungsloses Grundeinkommen". Das ist falsch. Es bekommen nur Bedürftige die Hartz-IV-Bezüge. Diese bleiben also eine bedingte (und nicht etwa bedingungslose) Sozialleistung, wenn die Menschen bedürftig sind – das gilt auch für Ukrainer und Ukrainerinnen. Hilfebedürftig bedeutet der Arbeitsagentur zufolge, dass das Einkommen der Empfänger unter dem Existenzminimum liegt und die Person oder Familie den Lebensunterhalt nicht ausreichend aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Hierzu stellen alle – auch ukrainische Geflüchtete – einen Antrag, in dem sie erklären müssen, dass sie die Voraussetzungen dafür erfüllen, Hartz IV zu bekommen.

Springer wendet sich gegen die Entscheidung, die Sanktionen auszusetzen, und bekräftigt auch in einer Mail an den #Faktenfuchs, dass er die Leistungen für alle Hartz-IV-Empfänger so als "bedingungsloses Grundeinkommen" ansieht. Steuerzahler sieht er hier als benachteiligt an – ebenso im Vergleich zum vereinfachten Zugang zur Grundsicherung, der für alle Empfänger seit 2020 gilt. Springer sagt, dass die Jobcenter "jede Miete" übernehmen. Er sagt nicht, dass das seit 2020 für alle Empfänger gilt, um sicherzustellen, dass Bedürftige ihre Mieten weiter bezahlen können. Unabhängig von der Staatszugehörigkeit.

Das Video zielt laut Experten auf Angst-Narrativ

Springer nutzt für das Video auch den Ausschnitt einer Bundestagsrede von Andreas Audretsch, Vize-Fraktionschef der Grünen im Bundestag und Experte für die Themen Finanzen, Haushalt, Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Audretsch sagte am 12. Mai 2022 im Bundestag über die Entscheidung, ukrainischen Geflüchteten den Zugang zu den Hartz-IV-Leistungen zu öffnen: "Wir ermöglichen Millionen von Menschen, wenn sie zu uns kommen, die Möglichkeit, ganz direkt in unsere Sozialsysteme zu kommen."

Diese Wortwahl sei anschlussfähig an ein altes Vorurteil, mit dem Rechtspopulisten seit Jahren arbeiten, sagt der Politikberater Martin Fuchs: die "massenhafte Einwanderung" ins deutsche Sozialsystem. "Das ermöglicht der AfD, hier an dieses bekannte Angst-Narrativ, das man jahrelang geschürt hat, anzuschließen, und diese Angst mit dem Zitat (des Grünen-Politikers Audretsch, Anm. d. Red.) bei den ZuseherInnen neu zu triggern." Springer ziele genau darauf ab.

Dahinter stehe eine klare politische Agenda, sagt Pia Lamberty. Diese müsse bei der AfD als rechtsextrem bezeichnet werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz behandelt die AfD als - gerichtlich bestätigten – Verdachtsfall einer extremistischen Bestrebung. Im März sah das Verwaltungsgericht Köln "ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei".

Die Hintergründe: Warum ukrainische Geflüchtete gleich Hartz IV bekommen können

Die Entscheidung, ukrainischen Geflüchteten den Hartz-IV-Bezug zu ermöglichen, der höher liegt als die Leistungen im Asylbewerberleistungsgesetz, war politisch – ohne Sachzwang, wie Peter von Auer, rechtspolitischer Referent der Nichtregierungsorganisation Pro Asyl im Gespräch mit dem #Faktenfuchs erklärt. Die Bundesregierung hätte also entscheiden können, dass ukrainische Geflüchtete im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes bleiben. Sie hätten trotzdem erwerbstätig werden können, da die EU-"Massenzustrom"-Richtlinie das vorgibt und der Bundestag dafür das Aufenthaltsgesetz entsprechend ändern musste (§24 Absatz 6 wurde deshalb gestrichen).

Ukrainer und Ukrainerinnen müssen, weil für sie diese erstmals aktivierte Richtlinie gilt, nicht wie andere Geflüchtete erst einen Asylantrag stellen und auf Genehmigung warten, um arbeiten zu dürfen. Sie haben aufgrund der EU-Richtlinie ihre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis schon. Das Asylbewerberleistungsgesetz hingegen wurde laut Pro-Asyl-Rechtsexperte von Auer ursprünglich geschaffen mit der Argumentation, dass Geflüchtete während des Wartens auf ihren Aufenthaltstitel (das in der Realität mehrere Jahre dauern kann) geringere Leistungen erhalten können als Menschen, die Sozialhilfe bekommen. Haben Asylbewerber dann ihren Aufenthaltstitel bekommen, sind sie keine "Bewerber" mehr - und wechseln aus dem Asylbewerberleistungsgesetz in den Bereich des Sozialgesetzbuchs II (SGBII, im erwerbsfähigen Alter) oder des Sozialgesetzbuchs XII (SGBXII, im Rentenalter oder bei Erwerbsunfähigkeit).

Ukrainische Geflüchtete aber müssen diesen Prozess wegen der erstmals aktivierten Massenzustrom-Richtlinie der EU gar nicht erst durchlaufen. Die politische Entscheidung der Ampel-Regierung war es deshalb, sie auch rechtlich gleich aus dem Asylbewerberleistungsgesetz zu holen – hinein in die Leistungen nach Sozialgesetzbuch.

Das habe den Vorteil, dass erwerbsfähige ukrainische Geflüchtete dann nicht mehr von den Sozialämtern betreut werden, sondern von den Jobcentern, sagt Grünen-Politiker Audretsch. Deren Ziel sei es, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden – die Menschen also in Arbeit zu bringen, anstatt sie im Sozialleistungsbezug zu belassen. Dann können sie selbst in die Sozialsysteme einzahlen – anstatt durch sie unterstützt zu werden. Und dafür haben laut Audretsch die Jobcenter – anders als die Sozialämter der Kommunen – alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zur Verfügung.

Fazit

Ein weit verbreitetes Video eines AfD-Bundestagsabgeordneten stellt Hartz-IV-Bezüge, die seit 1. Juni 2022 auch Ukrainer und Ukrainerinnen in Deutschland erhalten können, der durchschnittlichen Rente gegenüber. Der Politiker behauptet, die Renten für Menschen, die ihr ganzes Arbeitsleben lang eingezahlt haben, seien geringer als die Hartz-IV-Leistungen, die auch Ukrainer bekommen. Dabei greift er aber Zahlen aus den Daten der Deutschen Rentenversicherung heraus, die seine Thesen nicht belegen (bekannt als Strategie des "Cherry-picking"), und lässt Informationen aus.

Vergleicht man die durchschnittliche Rente für Menschen, die mindestens 35 Jahren in die Deutsche Rentenversicherung eingezahlt haben, so liegt diese Summe über dem durchschnittlichen Hartz-IV-Betrag. Die Zahlen, die in dem Video vorkommen, sind nicht erfunden – aber sie sind laut Deutscher Rentenversicherung nicht zielführend ausgewählt. Das Video nutzt diese Zahlen, um laut Desinformations- und Kommunikationsexperten populistische Thesen vermeintlich zu belegen.

Disclaimer:

Am 28.07.2022 haben wir im drittletzten Absatz einen Fehler in der indirekten Zitierung von Grünen-Politiker Audretsch korrigiert. Das wörtliche Zitat von Herrn Audretsch lautet: „Wenn Menschen mit Aufenthaltserlaubnis - und somit mit Arbeitserlaubnis - Leistungen des SGBII beziehen dürfen, hat dies den Vorteil, dass sie von einer Behörde betreut werden, deren Ziel es ist, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden - die Menschen also in Arbeit bringen wollen, anstatt sie im Sozialleistungsbezug zu belassen“. Zunächst hieß es im Text, dass ukrainische Geflüchtete "nicht mehr von Ausländerbehörden betreut werden", wenn sie in den Bereich des SGB II gekommen sind. Ukraine-Geflüchtete werden - wie alle Ausländer in Deutschland - jedoch weiterhin von den Ausländerbehörden in aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten betreut. Die Formulierung im indirekten Zitat stammte von der Autorin des Textes.

Ebenfalls am 28.07.2022 haben wir im Abschnitt zu den Hartz-IV-Bezügen noch ergänzt, was der durchschnittliche Betrag ist, den eine Person - statt einer Bedarfsgemeinschaft - erhält.

Am 21.03.2023 haben wir im Abschnitt zu den Hartz-IV-Bezügen noch ergänzt, was die BA für Regelleistungsberechtigte (RLB) errechnete.

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