Joe Biden (l.), Präsident der USA, und Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär, treffen sich beim Nato-Gipfel in Litauen am 11. Juli 2023.
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Joe Biden (l.), Präsident der USA, und Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär, treffen sich beim Nato-Gipfel in Litauen am 11. Juli 2023.

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Brüchiges Bündnis: Was heißt das für Europas Nato-Partner?

Die Verteidigungsausgaben der europäischen Nato-Staaten steigen seit dem russischen Angriffskrieg, über die Hälfte geben mehr als zwei Prozent dafür aus. Doch reicht das? Der US-Wahlkampf samt Trumps Drohungen wirft seine Schatten aufs Bündnis.

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Seit letztem Samstag herrscht Unruhe im westlichen Verteidigungsbündnis. Ex-Präsident Donald Trump löste mit seiner Wahlkampfaussage vor Anhängern in South Carolina Schockwellen in der Nato aus, wonach der militärische Schutz Amerikas eine Frage des Geldes sei. Und mit Mitgliedsländern, die "Schuldner“ wären, könne Russland machen, was es wolle.

Die heftigen Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Von US-Präsident Joe Biden über Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bis hin zu Bundeskanzler Olaf Scholz kam die gleichlautende Antwort: Damit stelle Trump die Sicherheit des transatlantischen Bündnisses infrage. Auf die Zusage des Nato-Artikels 5, wonach ein Angriff auf eines der Mitgliedsländer als ein Angriff auf die gesamte Allianz betrachtet werde, müssten sich alle Nato-Staaten verlassen können. Doch die Verunsicherung sitzt tief.

"Die Nato ist kein Golfclub"

Der ehemalige US-Präsident und klare Spitzenreiter im Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur stelle die Nato so dar, "als dass es so eine Art Golfclub ist und man müsse Mitgliedsbeiträge zahlen, um dabei zu sein", stellt Jana Puglierin gegenüber BR24 klar. Sie ist Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations und zählt zu einer der kenntnisreichsten Expertinnen der europäischen Sicherheits- und Außenpolitik.

Die Nato sei im Gegensatz zu Trumps Behauptung ein Verteidigungsbündnis von, "auf dem Papier zumindest, gleichberechtigten Staaten, wobei natürlich da die USA den Löwenanteil schultern". Auch, was die Zahlungen betreffe. Aber die Verpflichtung, die die Nato-Länder 2014 eingegangen sind, zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben zu verwenden, "haben ja alle europäischen Länder nicht wegen Donald Trump geleistet".

Kehrtwende nach dem russischen Angriff auf die Ukraine

Ausschlaggebend war vielmehr der russische Angriff auf die Ukraine, der den europäischen Nato-Ländern ihre Defizite und Versäumnisse vor Augen geführt hat, ihre Streitkräfte in den vergangenen Jahren stiefmütterlich behandelt zu haben. Das sei der "größte Katalysator“ gewesen, analysiert die Politologin Jana Puglierin.

Zwar habe es seit der Zusage auf dem Nato-Gipfel 2014, binnen zehn Jahren die Zwei-Prozent-Marke zu erreichen, einen Trend zu stärkeren Verteidigungsausgaben gegeben. Aber erst "mit dem russischen Angriffskrieg hat wirklich ein Umdenken eingesetzt". Allerdings: Nicht gleichzeitig und bei allen Mitgliedsländern, "doch insbesondere in den Ländern an der Ostflanke (der Nato) und eben auch in Deutschland" - wobei die Länder an der Ostflanke zum Teil deutlich über den zwei Prozent liegen würden.

Hängt Europas Sicherheit von US-Wahlergebnissen ab?

Groß war das Aufatmen in den Hauptstädten der europäischen Nato-Staaten, als mit Joe Biden ein überzeugter Transatlantiker im Januar 2021 ins Weiße Haus einzog. Die vierjährige Amtszeit Donald Trumps, die von den allermeisten Europäern als sicherheitspolitischer Alptraum empfunden worden war, wurde mit dem Wahlsieg Bidens als eine Art einmaliger Ausrutscher betrachtet.

Die meisten europäischen Nato-Partner, mit Ausnahme der baltischen Staaten und Polens, verfielen wieder unter Leitung des Bündnis-zuverlässigen Joe Biden in den gewohnten Trott. Die jahrzehntelang verinnerlichte Gewissheit gewann erneut Oberhand, wonach das beispiellos große Militärpotential der USA für die ultimative Sicherheit der Nato-Partner schon sorgen würde. Auch mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine habe sich im Wesentlichen nicht viel geändert, beobachtet Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations in Berlin.

Was tun, wenn die USA als Garant ausfallen?

Sie hätte es besser gefunden, "wenn sich die Europäer viel früher und viel entschiedener die Frage gestellt hätten: Was machen wir eigentlich, wenn die USA als hauptsächlicher Sicherheitsgarant für Europa ausfallen?" Die aktuelle Entrüstung über die Aussagen Trumps und das "ganz starke Engagement der Biden-Administration in der Ukraine habe eine wichtige Tatsache überdeckt". Denn in den USA gebe es seit langem schon eine Tendenz, "die Verteidigung Europas nicht mehr als Kern der nationalen Sicherheit Amerikas" zu betrachten.

Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama hatten in der Vergangenheit immer wieder, wenn auch diplomatisch verbindlicher als Trump, die Europäer aufgefordert, für ihre eigene Verteidigung mehr zu tun. "Deswegen ist es für mich immer ein bisschen schwierig, dass alles an Trump festzumachen, weil ich finde, wir sollten generell auf die Tendenzen schauen, die aus den USA kommen."

Wie denkt die US-Bevölkerung über die Nato?

Die zunehmende innenpolitische Spaltung der beiden großen Lager, Demokraten und Republikaner, spiegelt sich auch in Umfragen wider, die sich mit der Unterstützung der Nato durch die Vereinigten Staaten beschäftigen. Nur die Hälfte der republikanischen Anhänger stimmt der Aussage zu, dass die USA vom westlichen Verteidigungsbündnis profitieren würden. Bei den Demokraten sind es nach Angaben der "New York Times", die sich auf Daten vom Oktober letzten Jahres beziehen, immerhin noch 80 Prozent.

Ein ähnliches Stimmungsbild bei der Frage, ob die USA den baltischen Staaten im Falle eines russischen Angriffs beistehen sollten: 48 Prozent der Republikaner antworten mit "Ja", bei den Demokraten beträgt die Zustimmung zur Einhaltung der Bündnisgarantien knapp 70 Prozent. Trump lenke "den alten isolationistischen Teil der amerikanischen Öffentlichkeit in eine neue Richtung", sagt der frühere amerikanische Nato-Botschafter Ivo Daalder der "New York Times". Der Ex-Präsident mobilisiere eine Wählerschaft, "die schon immer gegen diese Sache war".

Schaut Scholz zu sehr auf Washington?

Seit Kriegsbeginn legte der Bundeskanzler größten Wert auf eine enge Abstimmung mit dem wichtigsten Nato-Partner, den USA. Er hob vor wichtigen Entscheidungen in allen strategischen und taktischen Fragen rund um den russischen Überfall auf die Ukraine seine besondere Nähe zu Präsident Biden hervor.

Dabei habe Scholz jedoch bei seiner Zeitenwende die "europäische Dimension" vernachlässigt, bedauert die Politologin Jana Puglierin. "Die Zeitenwende ist sehr transatlantisch. Wir kaufen amerikanischer Waffen. Wir haben unsere Abhängigkeit von den Amerikanern dadurch langfristig erhöht. Wir haben auf die amerikanische Führung gesetzt."

Vor allem bei den Entscheidungen, welche Waffensysteme Deutschland an die Ukraine für deren Abwehrkampf liefern würde, wie etwa bei der Lieferung von deutschen Leopard 2 A6 Kampfpanzern, wurde dies offensichtlich. Erst nachdem das Weiße Haus vergleichbare Rüstungsgüter nach Kiew entsandt hatte, beispielsweise deren Abrams-Panzer, zog Berlin nach. "Wir haben dabei die europäische Komponente vernachlässigt." Es habe seit 2016 keine "ganz große deutsch-französische Initiative im Bereich Sicherheit und Verteidigung gegeben".

Und wenn die Nato hauptsächlich von Europäern getragen wird?

Zwar seien EU-Initiativen aufgelegt worden. Doch diese seien in der Größe, der finanziellen Ausstattung und der Unterstützung durch die Mitgliedstaaten "viel zu klein und viel zu wenig", so Jana Puglierin gegenüber BR24. Ein erster Lichtblick sei die Wiederbelebung des sogenannten Weimarer Dreiecks. Damit ist das diplomatische Koordinierungsformat zwischen Frankreich, Polen und Deutschland gemeint, das 1991 ins Leben gerufen wurde und seit Kriegsbeginn ein kümmerliches außenpolitisches Schattendasein führte.

Polens neuer Regierungschef Donald Tusk blicke "ganz offensiv nach Deutschland" und wolle "auch gemeinsam die europäische Verteidigung stärken". Es sei wünschenswert, wenn es jetzt schon eine Allianz gäbe, die bislang wegen der vielen unterschiedlichen nationalen Interessen nicht gegeben habe. "Frankreich, Polen und Deutschland und dann auch Italien und die baltischen Staaten sollten sich an einen Tisch setzen und sich überlegen, was sie mit der Ukraine machen wollen, inklusive Wiederaufbau, wie sie die künftige Russland-Politik ausgestalten wollen und wie sie sich in der Nato für den Fall aufstellen, dass die Nato hauptsächlich von Europäern getragen wird", so Puglierin.

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Christoph Heusgen, Botschafter und Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), kommt zur Pressekonferenz (Archivbild)
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Christoph Heusgen, Botschafter und Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), kommt zur Pressekonferenz (Archivbild)

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