Am Abend des 8. Januar geht Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva durch die verwüsteten Räume im Planalto-Palast
Bildrechte: Eraldo Peres/AP/dpa

Am Abend des 8. Januar geht Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva durch die verwüsteten Räume im Planalto-Palast

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Déjà-vu in Brasilia: Rechtsradikaler Mob stürmt Staatsgebäude

Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Sturm auf das US-Kapitol in Washington demolieren Tausende Anhänger von Ex-Präsident Bolsonaro die Gebäude der staatlichen Institutionen Brasiliens. Ein verheerendes Déjà-vu in Brasilia.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Es war der schwerste Angriff auf die Institutionen des Staates seit der Wiederherstellung der Demokratie in Brasilien vor vier Jahrzehnten. Der Angriff erschüttert nur wenige Tage nach der Amtseinführung des linksorientierten Staatspräsidenten Lula da Silva am 1. Januar das fundamentale Prinzip des demokratischen Machtwechsels. Ein zigtausend-köpfiger, rechtsextremer Mob stürmte am Sonntag die Kapitale des Landes, konnte zunächst stundenlang ungehindert von Polizeikräften in die Gebäude des Parlaments, des Obersten Gerichtshofes und des Präsidenten eindringen und diese zentralen Einrichtungen des Staates verwüsten. Die Parallelen zum Sturm auf den US-Kongress am 6. Januar 2021 sind erschreckend offenkundig.

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Die Lüge vom Wahlbetrug in Brasilien

Die Bilder gleichen sich: Wie in Washington vor zwei Jahren stürmten in Brasilia marodierende Anhänger eines Wahlverlierers das Zentrum der politischen Macht des Landes. In Brasiliens Hauptstadt erschollen Aufrufe an die Armee, die drei Gewalten Justiz, Legislative und Exekutive außer Kraft zu setzen und die Macht zu übernehmen.

Der ehemalige Präsident Brasiliens Jair Bolsonaro, ein glühender Anhänger und eifriger Nachahmer von Donald Trump, erkannte den Wahlsieg seines Kontrahenten Lula da Silva nicht an. Seit Bekanntgabe des Wahlergebnisses Ende Oktober verbreitete Bolsonaro weiterhin sein zersetzendes, antidemokratisches Gift unter seinen Gefolgsleuten, wonach das brasilianische Wahlsystem angeblich korrupt sei. Die "Eliten" des Landes wollten ihn, Bolsonaro, absetzen lassen.

Schon während seiner Amtszeit hatte Bolsonaro die Integrität der Wahlen immer wieder in Abrede gestellt. Nur falls die Wahlergebnisse gefälscht werden würden, könnte er jemals verlieren. Sonst nicht. Als Ende Oktober das Ergebnis der Stichwahlen bekanntgegeben wurde, demzufolge Lula da Silva knapp mit 50,9 Prozent vor Bolsonaro mit 49,1 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, folgte der Wahlverlierer dem politischen Drehbuch von Donald Trump: Er gestand die Niederlage offiziell nicht ein, verweigerte die übliche Gratulation und blieb der Amtsübergabe fern.

Umfragen zeigten nach den Wahlen, dass ein beträchtlicher Teil der brasilianischen Bevölkerung tatsächlich der Meinung war, dass Lula da Silva die Wahlen "gestohlen" habe und er nicht der "rechtmäßige" Präsident des Landes sei. Zehntausende Bolsonaro-Anhänger kampierten vor Armee-Kasernen im gesamten Land, um gegen das Wahlergebnis zu protestieren. Ihre Hoffnung: Die Streitkräfte sollten zugunsten des Wahlverlierers eingreifen.

Enge Kontakte zwischen Trump und Bolsonaro

Zwischen Ende Oktober 2022 und dem Sturm auf die brasilianische Hauptstadt hielt das Bolsonaro-Lager engen Kontakt zum ehemaligen US-Präsidenten und dessen Vertrauten. Eduardo Bolsonaro, der Sohn des unterlegenen Jair Bolsonaro und zugleich Parlamentsabgeordneter, reiste Ende Oktober nach Angaben der "Washington Post" zu einem Treffen von Trump auf dessen Anwesen in Florida, Mar-a-Lago. Die Absicht: Das weitere Vorgehen nach den verlorenen Wahlen zu besprechen. Ebenfalls kontaktierte Eduardo Bolsonaro den früheren Trump-Berater, Stephan Bannon, und den ehemaligen Trump-Vertrauten Jason Miller.

Kurz darauf hätten Bolsonaro-Anhänger auf ihren Twitter-Accounts zwei Hashtags verwendet, die zuvor Stephan Bannon in Umlauf gebracht habe: #BrazilianSpring und #BrazilWasStolen“. Die beiden rechtsradikalen Bewegungen in den USA und Brasilien hätten anschließend die Mär vom angeblichen Wahlbetrug an Bolsonaro in den vergangenen Wochen und Tagen befeuert. Lula habe die Wahlen "gestohlen", dies wüssten "alle Brasilianer", schob Bannon auf der Online-Plattform Gettr immer wieder nach. Der Vorstandschef von Gettr ist der ehemalige Trump-Vertraute Jason Miller.

Bolsonaro setzte sich zwei Tage vor der Amtseinführung seines Nachfolgers in den US-Bundestaat ab, in dem auch der ehemalige US-Präsident sein Domizil hat: Nach Florida. Bolsonaros lahme Besänftigung aus dem amerikanischen Exil, es sei nicht in Ordnung, "öffentliche Gebäude zu plündern", allerdings verwahre er sich gegen den Vorwurf, er habe die Angreifer "ermutigt", kann nicht überzeugen.

Unterschiede zwischen Washington und Brasilia

Bei allen offenkundigen Parallelen zwischen dem Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 und der Erstürmung der Gebäude des Parlaments, des Obersten Gerichtshofs und des Präsidenten in Brasilia am 8. Januar 2023 gibt es dennoch einige Unterschiede: Die amerikanischen Gewalttäter hatten das Kapitol an dem Tag gestürmt, an dem alle Kongress-Mitglieder zur Zertifizierung des Wahlsiegs von Joe Biden im Gebäude waren. Die Trump-Anhänger hatten, vom abgewählten Präsidenten nur wenige Stunden zuvor öffentlich aufgestachelt, mit Gewalt das Wahlergebnis zunichtemachen wollen.

Davon kann im Falle der Erstürmung Brasilias nicht die Rede sein: Die Bolsonaro-Anhänger drangen am Sonntag in die Gebäude ein, an dem keine Parlamentarier, Richter oder gar der Präsident zugegen waren. Die Amtseinführung Lula da Silvas lag bereits eine Woche zurück. Die brasilianischen Gewalttäter waren mit ihrem marodierenden Verwüstungszug durch die Staatsgebäude nicht in der Lage, das Wahlergebnis zu "korrigieren".

Großer Schaden für Brasilien

Der innenpolitische Schaden, den Bolsonaros Anhänger mit dem gewaltsamen Sturm auf die Institutionen des Staates angerichtet haben, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Die gesellschaftliche Spaltung Brasiliens spiegelt sich in der Vehemenz wider, mit der das Bolsonaro-Lager den demokratischen Wechsel zu Lula da Silva ablehnt. Dem 77-jährigen Staatspräsidenten stehen äußerst unruhige Wochen bevor. Zutreffend hat Lula da Silva die Geschehnisse vom Sonntag als "beispiellos in der Geschichte Brasiliens" verurteilt.

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