Eine Frau mit zwei Kindern steht neben Betten in einem Raum
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Die Möglichkeiten für eine Unterbringung der Flüchtlinge sind bald erschöpft, warnen die Kommunen und Landkreise.

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Länder geeint: Flüchtlingsgipfel mit "schwierigen Themen"

Beim Flüchtlingsgipfel beraten die Ministerpräsidenten mit Scholz über das weitere Vorgehen. Dabei ist die Finanzierungsfrage aus Sicht der Länder der Knackpunkt. Sie gehen in Einigkeit ins Kanzleramt. Der Dissens zum Bund ist teils noch groß.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Ein "Gesamtpuzzle" nannte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, die Thematik um die Versorgung von Geflüchteten. "Wir wollen heute ein Ergebnis erzielen", sagte er zum Bund-Länder-Treffen an diesem Mittwoch im ARD-"Morgenmagazin". Doch die Diskussionen sind seit Wochen schwierig, die Fronten mittlerweile verhärtet.

MPK-Chef: "Noch einige schwierige Themen"

Stephan Weil, Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz und Niedersachsens Ministerpräsident, sah kurz vor den Beratungen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) noch "einige schwierige Themen in der Beratung". Die Länder stünden an der Seite der Kommunen, sagte er am frühen Nachmittag nach einem Ländertreffen. Zwar seien nicht alle Probleme nur mit Geld zu lösen, aber: Die finanzielle Unterstützung der Kommunen müsse verbessert werden, "insbesondere durch den Bund".

"Wir wissen zu würdigen, dass der Bund sich an anderer Stelle engagiert", sagte Weil mit Blick auf die Kosten für Flüchtlinge aus der Ukraine. Es brauche ein "atmendes, dynamisches System", denn die Zuwanderungszahlen schwanken über die Zeit, stellte Weil heraus. Das Modell müsse sich daran orientieren, wie viele Menschen zu versorgen sind. Dabei gebe es aber einen "unübersehbaren Dissens" zur Position des Bundes. Dieser wolle das Thema über Jahresleistungen, also ein Pauschalsystem bearbeiten. Weils Gegenargument: "Planungssicherheit ist für Kommunen notwendig."

Offenbar Bewegung in der Diskussion für 2023 - Entwurf durchgesickert

Immerhin scheint sich in den Beratungen am Vormittag etwas bewegt zu haben: Jedenfalls sieht Weil für 2023 Bewegung in der Diskussion. Details nannte er nicht. In der Grundsatzfrage aber scheinen sich Bund und Länder vor der großen Runde noch nicht einig.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete daran anschließend von einem neuen Vorschlag der Länder. "Der Bund wird für das Jahr 2023 die Flüchtlingspauschale an die Länder um eine Milliarde Euro erhöhen, damit die Länder dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zusätzlich zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren", heißt es in einem dem Medium vorliegenden Papier, das die Ministerpräsidenten am Vormittag beschlossen hatten. Sie pochen daneben aber auch auf eine langfristige Entlastung. Zum entsprechenden Finanzierungsmodell gehörten die vollständige Erstattung der Kosten für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete, die Zahlung einer monatlichen Pro-Kopf-Pauschale sowie Integrationskosten und die Kosten für unbegleitete Minderjährige.

Die Ministerpräsidenten wollen sich im Zweifel eher vertagen, als sich am Mittwoch bloß auf eine Einmalzahlung einzulassen, berichtete die Nachrichtenagentur dpa. "Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder werden bis spätestens November 2023 erneut zusammenkommen, um über die konkrete Umsetzung dieses Modells abschließend zu beraten", heißt es demnach in dem Papier.

Wüst verlangt von Scholz Führung

Der Vizevorsitzende der Länderchefs, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), betonte in seinem Statement, dass es jetzt nicht um "Rechentricks" gehe. "Alle Ebenen müssen der Verantwortung gemeinsam gerecht werden." Und dabei gelte: "Wer entscheidet, muss auch Verantwortung übernehmen." Weil der Bund über die Steuerung des Zuzugs entscheide, müsse er auch die finanziellen Folgen seiner Entscheidung tragen. Der Kanzler müsse Führung zeigen. "Es darf kein dauerhaftes Feilschen geben." Die Länder gingen parteiübergreifend in Einigkeit ins Kanzleramt.

Vor dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt pocht NRW-Regierungschef Wüst auf eine stärkere finanzielle Beteiligung der Bundesregierung.
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Vor dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt pocht NRW-Regierungschef Wüst auf eine stärkere finanzielle Beteiligung der Bundesregierung.

Bund: Beteiligen uns schon überproportional an Kosten

In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 101.981 Asyl-Erstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entgegengenommen - ein Plus von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Versorgung und Integration der wieder wachsenden Flüchtlingszahl reißt nach Darstellung von Ländern und Kommunen Milliardenlöcher in ihre Kassen. Der Bund will aber nicht mehr Geld als vorgesehen zuschießen, weil er sich aus seiner Sicht bereits überproportional an den Kosten beteiligt. Zudem verwies die Regierung in den vergangenen Tagen immer wieder auf die Zuständigkeit von Ländern und Kommunen sowie auf die sehr schwierige Haushaltslage im Bund ab 2024, wenn die Schuldenbremse wieder greift.

Am Mittwochvormittag berieten die 16 Ministerpräsidenten. Gegen 15 Uhr begann das gemeinsame Treffen mit Scholz im Kanzleramt. Am späten Nachmittag kam es dabei zwischendurch zu einer Unterbrechung: Aus Teilnehmerkreisen hieß es mehreren Medien zufolge, beide Seiten würden getrennt über Finanzfragen sprechen. "Vielleicht haben wir heute noch kein umfassendes Ergebnis", sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) dem "Spiegel". Aber innerhalb von sechs Wochen könnte man eine solche "Roadmap" erarbeiten, zitierte das Medium.

Grüne: Bund soll gezielt mehr finanzielle Verantwortung übernehmen

In der Ampel-Koalition bröckelte die gemeinsame Haltung zuletzt. Denn parallel zur Länder-Vorbesprechung veröffentlichte die Grünen-Spitze einen Zehn-Punkte-Plan für eine "moderne und menschenrechtsorientierte Migrationspolitik", mit dem sie wie Länder und Kommunen mehr Geld vom Bund verlangen. SPD und FDP in der Bundesregierung sind bislang nicht bereit, weitere finanzielle Unterstützung zu leisten.

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour und Fraktionschefin Britta Haßelmann forderten hingegen in ihrem Plan, "dass der Bund gezielt mehr finanzielle Verantwortung übernimmt, als bisher zugesagt wurde - insbesondere dort, wo die Herausforderungen am größten sind". Notwendig sei hierfür auch "eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten für Integrationsmaßnahmen". In dem Papier wird die Bundesregierung auch aufgefordert, weiter nach eigenen kurzfristig verfügbaren Gebäuden für die Unterbringung von Geflüchteten zu suchen. Außerdem sei es auf EU-Ebene wichtig, "Fluchtursachen statt Geflüchtete zu bekämpfen".

Schlechte Stimmung bei Länderchefs im Vorfeld

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) äußerte sich im Vorfeld des Flüchtlingsgipfels kritisch. Er gehe mit einem "sehr schlechten Gefühl" in das Treffen, sagte er bei Bayern 2. Denn bislang nehme der Bund die Lage in den Ländern nicht richtig wahr.

Thüringens Ministerpräsident Ramelow empörte sich über den bisherigen Umgang der Bundesregierung mit den Ländern. Die Stimmung sei schlecht. "Der Bund hat im Vorfeld nicht einmal die üblichen Höflichkeitsregeln bei der Kommunikation eingehalten", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Ramelow bekräftigte die Forderung, dass der Bund pro Geflüchtetem einen bestimmten Betrag bezahlt.

Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) sagte im Deutschlandfunk, eine "Zeitenwende" in der Migrationspolitik, wie sie von einigen FDP-Politikern gefordert worden sei, werde es beim Treffen nicht geben. Sie erwartete aber, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) da als "Ermöglichungsminister" auftrete.

Bund trug 2022 alleine 28 Milliarden Euro für Flucht und Migration

Einem Regierungsbericht zufolge hat der Bund im Bereich Flucht und Migration im vergangenen Jahr Kosten von rund 28 Milliarden Euro allein getragen. Mehr als 12 Milliarden davon wurden in die Bekämpfung von Fluchtursachen im Ausland investiert, rund 15 Milliarden sollten Länder und Kommunen direkt entlasten. Das geht aus dem Flüchtlingskosten-Bericht der Bundesregierung hervor, der dpa vorliege.

Rund 4,6 Milliarden Euro flossen demnach über die Umsatzsteuerverteilung an die Länder - und damit nicht zweckgebunden in deren reguläre Haushalte. Mehrere Länder wiesen im Bericht darauf hin, dass die Bundesmittel zur Deckung der Kosten nicht ausreichten. Aus dem Bundeshaushalt wurden zudem Integrationsleistungen mit rund 2,3 Milliarden Euro finanziert. Rund 8 Milliarden trug der Bund an Sozialleistungen für Geflüchtete.

Beschlüsse über Finanzierung hinaus?

Neben den Finanzthemen pocht der Bund darauf, dass es eine Reihe anderer Punkte in der Flüchtlingspolitik gebe, die zu klären seien. Dabei geht es etwa um die Digitalisierung der Ausländerbehörden und generell um die Beschleunigung von die Asylverfahren. Zudem soll die Liste sicherer Herkunftsstaaten um die EU-Beitrittsaspiranten Georgien und Moldau ergänzt werden.

Landrat aus Bayern: Geld zaubert nicht einfach Personal her

Josef Miedermaier (Freie Wähler), Landrat in Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, erklärte im BR24live, mehr Geld sei gut, in Bayern aber nicht das eigentliche Problem. Man wisse nicht, wo die ankommenden Menschen unterkommen sollen, woher das Personal für Integrationsmaßnahmen kommen soll. "Ressourcen und Kapazitäten sind hinten und vorne nicht da." Wichtig sei, die Fluchtursachen im Ausland zu bekämpfen. Doch da ist auch die EU gefragt, die beim Bund-Länder-Treffen heute nicht am Tisch sitzt.

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

Flüchtlinge sind in einem der Zelte einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft unterwegs (Archivbild).
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BR24live zum Flüchtlingsgipfel (Archivbild).

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