ARCHIV - 10.02.2023, Hessen, Bensheim: Flüchtlinge sind in einem der Zelte einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft unterwegs.  (zu dpa: Städtepräsident vor Flüchtlingsgipfel: «Probleme nicht schönreden») Foto: Arne Dedert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Flüchtlingsunterkunft

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Schwabens Kommunen unter Druck: Wohin mit den Flüchtlingen?

Städte und Landkreise fordern vom Bund mehr Geld für Geflüchtete. Denn Wohnraum und Kitaplätze sind knapp. Mancher warnt vor Verteilungskonflikten.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

In über 20 Jahren Politik habe er so ein Verhalten der Bundesregierung noch nicht erlebt, sagt Thorsten Freudenberger dem BR. Der Landrat im Kreis Neu-Ulm beschäftigt sich wie viele andere bayerische Kommunalpolitiker derzeit mit einer Frage: Wie lässt sich die Zahl an Schutzsuchenden bewältigen? Denn es fehlt an vielem, unter anderem an Wohnraum. Freudenberger steht in einer Sporthalle in Nersingen, die seit ein paar Monaten als Aufnahmeeinrichtung dient. Doppelbetten stehen hier in Reihe, mit Laken versuchen die Menschen etwas Privatsphäre zu schaffen. Aus Sicht des CSU-Politikers hilft die Bundesregierung den Kommunen zu wenig, die Flüchtlingsprobleme zu lösen. "Wir müssen zum Beispiel die Personalkosten selbst stemmen. Das läuft nach dem Motto: sollen es halt die anderen zahlen. Ein unerhörter Vorgang," findet Freudenberger.

Konkurrenz mit Einheimischen

Auch im Nachbarlandkreis sieht man die Lage ähnlich. Günzburgs Oberbürgermeister Gerhard Jauernig befürchtet, dass sich die Konkurrenzsituation zwischen der einheimischen Bevölkerung und Geflüchteten zusehends verschärft. Denn beide ringen um knappe Ressourcen wie etwa Kita-Plätze. "Wir haben viel mehr Anmeldungen, als wir anbieten können. Es fehlen nicht nur die Gebäude, sondern auch Mitarbeiter. Wenn wir wissen, dass bald weitere hundert Kinder in unserem Landkreis um einen Platz werben, dann wird der Druck im Kessel riesig", so der SPD-Rathauschef. Man könne nicht bestellen wie ein König und bezahlen wie ein Bettler. Länder und Kommunen wollen deshalb mehr Finanzhilfen vom Bund, der diese Forderungen aber bislang zurückweist.

Keine Entspannung in Sicht

"2800 Menschen kamen im ersten Quartal in Schwaben an, etwas mehr als im Vergleichszeitraum im Vorjahr. Gerade im Frühling, wenn es wärmer wird, steigen die Zahlen wieder", erklärt Frank Kurtenbach. Der Beamte der Regierung von Schwaben leitet die Ankerzentren, also die Einrichtungen, in denen Geflüchtete nach ihrer Ankunft erst einmal aufgenommen werden. Sie werden dort registriert, erhalten medizinische Versorgung oder auch Beratung bei Asylfragen. Von den gut 23.000 Menschen aus der Ukraine haben 18.000 inzwischen eine Wohnung gefunden. "Vor einem Jahr war die Suche aber noch wesentlich einfacher, denn damals war noch mehr frei", sagt Kurtenbach. Weil geflüchtete Menschen aus der Ukraine kein Asylverfahren durchlaufen, dürfen sie sich auf dem freien Markt eine Bleibe suchen, wenn sie denn eine finden. Viele müssen als sogenannte "Fehlbeleger" in den Sammelunterkünften bleiben. Die Kapazitäten seien derzeit zu rund dreiviertel belegt und damit fast voll ausgelastet, heißt es von der Regierung von Schwaben. Eine hundertprozentige Belegung ist aufgrund von Renovierungen oder aus Rücksicht auf Familien nicht möglich.

"Hausgemachte" Probleme

Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat will die Belastung für Kommunen und Landkreise nicht leugnen. Seiner Ansicht nach wurde gerade beim Thema "Wohnen" in der Vergangenheit aber vieles verschlafen. "Mancher Bürgermeister oder Landrat hat sich gedacht, vielleicht wird im Nachbarort eine Unterkunft gebaut, dann müssen wir die Flüchtlinge nicht versorgen", so Dünnwald. Um das Problem zu lösen, schlägt er modulares oder serielles Bauen mit Fertigteilen vor. Häuser müssten nicht zwangsläufig unterkellert sein und könnten so schneller hochgezogen werden. Dünnwald fordert auch die Vorgaben für Flüchtlinge zu lockern. "Derzeit müssen viele Geflüchtete noch verpflichtend in den Unterkünften leben, obwohl Verwandte hier in Deutschland eine Wohnung haben. Wenn sie einfach zu Ihnen ziehen dürften, dann wären rund zehn Prozent schon mal untergebracht", so Dünnwald.

Behörden-Sprache, schwere Sprache

In Babenhausen im Landkreis Unterallgäu trifft sich einmal in der Woche der Verein "Menschen begegnen Menschen". Die Flüchtlingshelfer ärgert, dass sie viele Aufgaben schultern müssen, die ihrer Meinung eigentlich der Staat übernehmen sollte. "Wir haben früher mit den Geflüchteten auch mal Feste gefeiert und die Kulturen kennengelernt. Das fällt fast alles weg, weil wir viel mehr damit beschäftigt sind, Wohnungen zu suchen oder bei bürokratischen Hürden zu helfen", sagt Barbara Galler. Gerade das "Beamtendeutsch", in dem viele Formulare für Flüchtlinge verfasst sind, sei oft so schwierig, dass sie es manchmal selbst kaum verstehe. Die ehrenamtlichen Helfer wünschen sich, dass die Gemeinde eine Person, etwa im Rahmen eines Minijobs, bezahlt, die dann einen Großteil der Bürokratie übernimmt. "So wären wir entlastet und hätten wieder Zeit für andere Dinge", sagt Galler.

Begrenzung der Flüchtlingszahlen

Die Kommunalpolitiker in Günzburg und Neu-Ulm glauben, dass Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen sowie eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa am ehesten zum Ziel führen. "Dazu gehört auch, dass wir nicht zusätzliche Anreize schaffen, damit die Menschen überwiegend nach Deutschland kommen", sagt Oberbürgermeister Jauernig. Zur Lebenswirklichkeit gehöre, dass Migration für die Bürger tragbar sein müsse. Auch Thorsten Freudenberger mahnt. "Wir wollen die Menschen integrieren. Aber das ist bei diesen Zahlen einfach nicht mehr zu leisten. Das sagen wir nicht nur, sondern das ist so." Eine Forderung eint Neu-Ulms Landrat und die Flüchtlingshelfer in Babenhausen. Beide sprechen sich für eine Lockerung der Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge aus. Denn bislang müssen sie warten, bis ihr Bleiberecht geklärt ist. "Wir sollten Menschen nicht jahrelang in Unterkünften herumsitzen lassen, gerade auch angesichts des Arbeiter- und Fachkräftemangels", so Freudenberger.

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