Flüchtlingskinder gehen durch das Zelt einer Flüchtlingsunterkunft (Archivbild).
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Flüchtlingskinder gehen durch das Zelt einer Flüchtlingsunterkunft (Archivbild).

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Geeinte Länderfront gegen den Bund vor Flüchtlingsgipfel

Am Mittwoch berät Kanzler Scholz mit den Ländern über Flüchtlingsfragen. Die Kommunen setzen Hilferufe ab, wollen Planungssicherheit. Doch eine Lösung im Finanzierungsstreit scheint nicht in Sicht. Stattdessen prallen die Argumente aufeinander.

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Bund und Länder – beide Seiten legen sich für den sogenannten Flüchtlingsgipfel am Mittwoch Argumente und Daten zurecht. Die Erwartungen sind hoch: Das Treffen dürfe nicht scheitern, heißt es etwa von Wirtschaftsexperten. Doch der andauernde Streit im Vorfeld belastet die Bund-Länder-Verhandlungen. Von einem "unwürdigen Feilschen" auf dem Rücken aller Bürger in den Kommunen spricht der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, im "Handelsblatt".

Die Fronten sind verhärtet: Bund und Länder kommen etwa auf völlig unterschiedliche Zahlen, wie groß die Zuweisungen in den verschiedenen Finanztöpfen eigentlich sind. Die 16 Bundesländer demonstrieren dabei große Einigkeit. Am Montagabend übermittelten die Staatskanzleichefs dem Bundeskanzleramt eine gemeinsame Beratungsgrundlage, die mehreren Nachrichtenagenturen und Medien vorliegt.

Position der Länder: Mehr Geld für Flüchtlinge

Darin verlangen die Länder laut der Nachrichtenagentur dpa eine vollständige Kostenerstattung für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete sowie eine allgemeine monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zudem wollen die Ministerpräsidenten bei den Beratungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine verlässliche Lösung für Integrationskosten sowie die Kosten für unbegleitete Flüchtlinge.

Von einem "atmenden System" ist Medienberichten zufolge die Rede: "Es bedarf eines Finanzierungsmodells, das der Höhe nach angemessen ist und sich verändernden Flüchtlingszahlen anpasst." Die vom Bund zugesagten 1,5 Milliarden Euro für Geflüchtete aus der Ukraine sowie 1,25 Milliarden Euro für Migranten aus anderen Staaten - bei Weiterzahlung lediglich des letzteren Postens ab 2024 - würden den steigenden Flüchtlingszahlen nicht gerecht. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres hätten die Asyl-Erstanträge um fast 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zugenommen.

Zudem gehen die Länder in ihrem neuen Papier auf andere Aspekte im Umgang mit den Flüchtlingen und Migranten ein - vom Grenzschutz bis zur schnelleren Rückführung abgelehnter Asylbewerber und der Rücküberstellung von Antragstellern in die EU-Außengrenzstaaten. Sie bekennen sich dazu, dass die Asylverfahren für Staatsangehörige aus Moldau und Georgien beschleunigt werden, weil diese Länder eine EU-Beitrittsperspektive hätten.

Position der Bundesregierung: Tragen schon viele Kosten

In der Ampel-Koalition scheint derweil die Einigkeit zu bröckeln. Die Linie der Regierung aber bleibt: Der Bund trage bereits einen erheblichen Teil der Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen, führte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auch am Montag noch einmal aus. Zwar stünden die Kommunen vor finanziellen Herausforderungen, für deren Finanzsituation trügen aber die Länder die Verantwortung.

Scholz betonte am Dienstag bei einem Besuch in Straßburg, wie wichtig die Verständigung zwischen Bund und Ländern sei. Inhaltlich solle es bei dem Treffen am Mittwoch unter anderem um die notwendige Digitalisierung der Ausländerbehörden gehen, sagte Scholz. Auch die Zahl der Abschiebehaftplätze, die Erreichbarkeit von Behörden und eine Beschleunigung der Asylverfahren sollten angesprochen werden. Zur Forderung nach mehr Bundesgeld sagte Scholz, der Bund trage schon jetzt 90 Prozent der Kosten für ukrainische Flüchtlinge, die ohne eigenes Asylverfahren Bürgergeld erhielten. Man werde mit den Ländern aber sicher darüber reden müssen, was 2023 noch erforderlich und möglich sei.

Die FDP stemmt sich dagegen, mehr Geld vom Bund bereitzustellen. Der Bund leiste bereits Milliardenbeträge zur Unterstützung der Kommunen, sagte FDP-Finanzminister Christian Lindner der "Welt". Es brauche nicht immer mehr Geld, sondern eine andere Flüchtlingspolitik mit weniger irregulärer Migration. Auch müssten Menschen ohne Aufenthaltsrecht das Land wieder verlassen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr verwies in der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" auf die Folgen für andere Projekte, wie der Kindergrundsicherung, für die bei weiterer Unterstützung vom Bund dann das Geld fehlen würde.

Im Video: FDP-Generalsekretär will EU-Kontrollfähigkeit an Grenzen verbessern

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai will die Kontrollfähigkeit der EU an den Grenzen gegenüber irregulärer Migration verbessern.
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FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai will die Kontrollfähigkeit der EU an den Grenzen gegenüber irregulärer Migration verbessern.

Die Grünen unterstützen die Städte und Gemeinden bei ihren Appellen nach mehr Hilfen. "Was die Kommunen benötigen, ist eine vernünftige Finanzierung und Unterstützung bei der Unterbringung", sagte der Grünen-Innenpolitiker Julian Pahlke. Der Bundestagsabgeordnete blickt kritisch auf die Töne von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): Angesichts der Forderungen der Kommunen jetzt über "neue EU-Verordnungen zu reden, die völlig unplanbar erst in den nächsten Jahren in Kraft treten würden", bedeute, "leere und wirkungslose Versprechungen" zu machen.

Union appelliert an Scholz

Die Union - an neun Landesregierungen beteiligt - sieht Scholz in der Pflicht: "Der Bundeskanzler sollte erkennen, dass es sinnvoll war und ist, Migration nach Deutschland nachhaltig zu steuern", sagte CDU-Chef Friedrich Merz dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". Zugleich betonte er: "Eine spürbare Grenze bei der Zuwanderung nach Deutschland bedeutet aber keine Begrenzung der Menschlichkeit." Deutschland könne mehr in den Transit- und Herkunftsstaaten für die Menschen tun. Beides müsse "zusammen gedacht und getan werden", forderte Merz. Doch Geflüchtete zu integrieren, habe auch etwas mit der Anzahl von Menschen zu tun, die in Deutschland leben. Behörden oder Schulen hätten keine unendlichen Kapazitäten.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wirft dem Bund vor, die Länder mit den gestiegenen Asylbewerberzahlen finanziell im Stich zu lassen. Erhebungen der Bundesländer belegten, dass die vom Bund gewährten Gelder für 2022 und 2023 nur für einen Bruchteil der Kosten im Bereich Asyl und Integration ausreichten, sagte er der "Augsburger Allgemeinen". Es sei "absolut gerechtfertigt", dass die Länder und Kommunen mehr Geld fordern. Das gelte "umso mehr, da der Bund die hohen Zugangszahlen im Bereich Asyl über falsche Anreize mit verursacht hat und bislang eine Entspannung der Situation nicht absehbar ist". Der Migrations-Sonderbevollmächtigte Joachim Stamp (FDP) sei jetzt ein Vierteljahr im Amt, "Ergebnisse gibt es leider keine", so Herrmann.

Kommunen stark belastet

Viele Kommunen klagen, sie seien an die Grenze der Belastbarkeit angelangt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) machte im ZDF-"heute journal" deutlich, dass die Länder in erster Linie als Sachwalter für die Kommunen agierten. Bei der Unterbringung der Geflüchteten stünden Kommunen und Länder Seite an Seite, betonte auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, Malu Dreyer (SPD).

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe (CDU), forderte im Gespräch mit der dpa eine dauerhafte Regelung, die sich automatisch an die jeweils aktuelle Zahl der Schutzsuchenden anpasst - sonst gehe Zeit und Vertrauen verloren. Bei der Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen gehe es um mehr als ein Bett und Essen, betonte Lewe. "Es geht um Wohnungen, Kita- und Schulplätze. Uns fehlt vor Ort auch das Personal."

Mit Informationen von dpa, AFP, Reuters und epd

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