Eine Kuh in einem Milchviehbetrieb
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In Deutschland kommt es bei Milchkühen immer wieder zu Tierschutzskandalen.

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Blutige Milch: Misshandelte Kühe in Deutschland

Getreten, geschlagen, brutal misshandelt: Kühe müssen vielerorts schlimmes Leid erfahren. Monatelange Recherchen des BR zeigen: Tierschutzverstöße haben in Deutschland System. Experten kritisieren Kontrollbehörden und Staatsanwaltschaften.

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Vor wenigen Wochen schockierten grausame Bilder aus einem der größten bayerischen Milchviehhöfe in Bad Grönenbach. Zahlreiche Kühe sollen dort gequält worden sein. Laut Tierschützern mussten einige kranke Tiere bis zum Tod unter großen Schmerzen vor sich hinvegetieren. Erst im Frühjahr hatte BR Recherche schlimme Verstöße auf Bauernhöfen und in einem Schlachtbetrieb in Niedersachsen aufgedeckt. Kranke Tiere, die nicht mehr gehen und laufen konnten, wurden verbotenerweise per Seilwinde auf Transporter gezerrt und geschlachtet. Warum kommt es immer wieder zu solchen Skandalen?

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Tierschutzverstöße haben in Deutschland System, weil Kontrollbehörden versagen und die Strafverfolgung zu lax ist.

Amtliche Kontrollen versagen

Die renommierte Veterinärin und Landestierschutzbeauftragte von Berlin, Diana Plange, fordert harte Strafen gegen Tierärzte, die Missstände beobachten und decken. "Man müsste denen die Verbeamtung entziehen und alle Privilegien, die damit einhergehen", fordert Plange. Sie berichtet aber auch von einem großen Druck, der auf Veterinären lastet, und von versuchten Einflussnahmen von Bauern, landwirtschaftlichen Verbänden und Wirtschaftsvertretern.

"In einer Untersuchung haben sich spontan über 200 Tierärzte gemeldet, die sich unter Druck gesetzt fühlen, bei dem Versuch wirklich ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen." Diana Plange, Veterinärin und Landestierschutzbeauftragte von Berlin

Auf eine BR-Anfrage beim Verein "Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft" melden sich dutzende Veterinäre, die Druck und Einflussnahmen bestätigen. Eine Amtsveterinärin aus Hessen ist bereit, anonym über ihre Arbeit als Kontrolleurin in Schlachthäusern und auf Bauernhöfen zu sprechen:

"Wenn ich einen tierschutzrelevanten Missstand feststelle, dann wendet sich der betreffende Betrieb häufig an seine Verbände und die wiederum versuchen, Gegengutachten anzustrengen."

Drohungen und Beschwerden würden zu ihrem Alltag gehören.

Auch die Nähe zwischen Kontrolleur und Kontrolliertem sei ein Problem, heißt es aus Veterinärskreisen. Vorstände des Vereins "Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft" fordern deshalb ein Rotationsverfahren, damit Kontrolleure nicht über Jahre ein und denselben Bauernhof besuchen.

Kontrollen nur alle 48 Jahre

Bundesweit kontrollieren Behörden landwirtschaftliche Betriebe im Durchschnitt nur alle 17 Jahre – das hat eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion aus dem vergangenen Jahr ans Licht gebracht. In Bayern ist die Situation besonders drastisch: Hier müssen Bauernhöfe nur alle 48 Jahre mit einer Kontrolle rechnen. Der Präsident des Bundesverbands verbeamteter Tierärzte (BvT), Holger Vogel, sieht die Amtstierärzte einer enormen Überbelastung ausgesetzt: "Die personelle Unterbesetzung in den Ämtern spielt eine große Rolle."

Strafen bleiben oft aus

Nicht nur das Kontrollsystem, sondern auch die Justiz steht in der Kritik. "Aus meiner Sicht sind Einstellungen von Verfahren im Tierschutzbereich die Regel", sagt Jens Bülte, Professor für Strafrecht an der Universität Mannheim. Der Tierschutz werde wirtschaftlichen Interessen untergeordnet und das Staatsziel Tierschutz ignoriert.

Jens Bülte hat rund 50 Einstellungsbescheide bei Tierschutzverfahren untersucht und kommt zum Ergebnis: In drei Viertel der Fälle wird nicht ausreichend ermittelt: "Aus meiner Sicht fehlt es an Expertise, an Zeit, an Personal, sowohl auf Seiten der Staatsanwaltschaft als auch auf Seiten der Veterinäre."

Profit auf Kosten der Tiere

Wie eine BR-Anfrage an Verbände der Milchwirtschaft in allen Bundesländern ergeben hat, wurden bundesweit zuletzt rund 1,7 Millionen Kühe im Jahr aussortiert und getötet. Viele, weil sie zu schwach und krank sind, zu wenig Milch geben.

Laut dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter e.V. hängt diese Entwicklung mit den niedrigen Preisen für Milch und Fleisch zusammen. Das wiederum bringe die Landwirte dazu, auf immer größere Betriebseinheiten zu setzen und die Tiere durch immer weniger und oft unqualifizierte Arbeitskräfte betreuen zu lassen.

Männliche Kälber: ein "Abfallprodukt"

Auch die Jungtiere leiden unter einer Landwirtschaft, die auf Wachstum setzt. Schon kurz nach der Geburt trennen die meisten Landwirte die Kälber von ihren Mutterkühen. Die weiblichen Kälber wachsen selbst zu Milchkühen heran. Die männlichen Kälber sind ein "Abfallprodukt", heißt es aus der Branche. Sie werden oft an Mastbetriebe in Südeuropa oder in Drittländer verkauft, weil Mast und Schlachtung dort billiger sind.

Bei einigen Transporten ins Ausland schlagen Tierschützer und Veterinäre Alarm: zu viele Tiere auf engem Raum, zu lange Transportwege, unzureichende oder keine Versorgung der Kälber.

Tödliche Missstände bei Transporten

Anfang des Jahres konnten BR-Reporter österreichische Tierschützer begleiten, die einen Kälbertransport von Salzburg bis ins spanische Vic bei Barcelona verfolgten. Der Lastwagen war über 20 Stunden unterwegs – ohne angemessene Versorgung der Tiere. Dort angekommen, entdeckten die Tierschützer auch ein totes Kalb aus Bayern. Es wurde nur zwei Wochen alt. "Man sollte unbedingt davon wegkommen, die Tiere durch ganz Europa zu transportieren, nur um des Profits Willen", fordert Irene Weiersmüller vom Verein "Animals‘ Angels".

Landwirtschaftsministerin Klöckner schweigt - seit Monaten

Tierschutzverstöße insbesondere bei Milchkühen lassen sich entlang der ganzen Kette der Milchproduktion beobachten. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) möchte sich dem BR gegenüber zu den Recherchen nicht äußern. Mehrmalige Interviewanfragen wurden über Monate abgelehnt.

Der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im Bundestag, Alois Gerig, sagte ein Interview erst zu und dann kurzfristig wieder ab.

Viel Milch, viel Tierleid
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