Das ARRI-Kino und ein Bär in ukrainischen Landesfarben, gezeichnet von Christiane Neukirch
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Das ARRI-Kino und ein Bär in ukrainischen Landesfarben, gezeichnet von Christiane Neukirch

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Wie "Wolodymyr Paddington" nach München kam

Was haben Wolodymyr Selenskyj und Paddington Bär gemeinsam? Ihre Stimme, zumindest in der Fassung des beliebten Kinderfilms, die bald bei einer Benefiz-Kinovorstellung für ukrainische Kinder in München läuft. Der Weg dorthin war recht kompliziert.

Die Geschichte darüber, dass Sinnvolles zu tun manchmal etwas länger dauert, dann aber doch klappt, beginnt am 24. Februar 2022. Am Tag, als russische Truppen die Ukraine überfallen, liegt Christiane Neukirch mit Corona im Bett und fühlt sich doppelt hilflos. "Ich kenne die Ukraine seit einem Aufenthalt in Odessa 1991, habe so herzliche Menschen da kennengelernt", erzählt sie.

Noch immer hat sie einen ukrainischen Brieffreund, der ihr in den nächsten Monaten berichten wird, wie hart das Leben als Selbstversorger in seinem kleinen Dorf am Schwarzen Meer jetzt ist und wie schwierig es geworden ist, in dem einstigen Kohleexportland etwas zum Heizen zu bekommen. Dann reißt der Kontakt ab.

In Regensburg, wo Neukirch aufgewachsen ist, pflegt man seit 1990 eine Städtepartnerschaft mit Odessa, hat nach Kriegsausbruch Waisenkinder von dort aufgenommen und Generatoren gespendet. Neukirch, jetzt in München, hat keinen Generator daheim und keinen Platz für ein Waisenkind. Was also tun? Spenden und die Ukrainisch-Kenntnisse auffrischen.

Sprachlektionen: Warum spricht der Bär nur russisch?

Anna, ihre Ukrainisch-Lehrerin, empfiehlt ihr, sich zum Üben Kinderbücher oder -filme zu Gemüte zu führen. "Auf meinem Tisch lag die DVD mit meinem Lieblingsfilm 'Paddington'. Während ich im Internet nach einer ukrainisch synchronisierten Fassung fahndete, ging mir durch den Kopf, dass die Geschichte des kleinen Bären, der fremd in London landet, ja genau davon handelt, was geflüchtete Kinder aus der Ukraine gerade erleben: Die zerstörte Heimat verlassen zu müssen und in der Fremde, weit weg von Land und Sprache, ein neues Zuhause zu finden."

Neukirchs Idee: Es wäre doch schön, wenn geflüchtete ukrainische Kinder in Bayern den Film in ihrer Muttersprache sehen könnten. Allein: "Internet, Streaming, DVD – nirgends konnte man die ukrainische Fassung sehen. Die Russische schon."

Paddington for President

Schließlich – Neukirch hat schon fast aufgegeben – findet sich im Netz ein Videoschnipsel: ein "Making-of" einer ukrainischen Fassung. Es gibt sie also, und sogar prominent besetzt. Die Rolle des höflichen kleinen Bären mit Hut, der gern Orangenmarmelade isst, spricht kein Geringerer als der frühere Entertainer, und jetzige Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Eine Überraschung – auch wenn die Geschichte von Paddington, dem Bär noch nie unpolitisch war (siehe unten). Wäre doch komisch, denkt Neukirch, wenn Wolodymyr Paddington bei seinen Landsleuten in Deutschland nicht zu hören sein sollte. "Also habe ich Selenskyj einen Brief geschrieben, mit einem Bild von Paddington und einer selbst entworfenen Solidaritätsbriefmarke auf dem Umschlag."

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Christiane Neukirchs Brief (Ausschnitt)

Post aus Kiew

Einen Monat später hat Neukirch eine Mail mit der Endung "gov.ua" in der Mailbox. Absender: das ukrainische Kultusministerium. Betreff: Paddington. Inhalt: Man habe Anweisung vom Präsidenten erhalten, sich dieser Angelegenheit anzunehmen, und zu klären, wer zuständig sei – nämlich die staatliche ukrainische Filmagentur.

Kurz darauf Post von derselben, eine ganze Seite mit langen und höflichsten Dankesbezeigungen und dazwischen einer Erklärung, dass es ein Gesetz gäbe, wonach die Ukraine nur Filme im Ausland verbreiten darf, die mithilfe der Filmagentur entstanden sind. Wie beim "Mensch ärgere Dich nicht" steht Neukirch also wieder am Anfang.

Und fängt nochmal an. Diesmal mit dem Tipp, Herrn Meyer von der Produktionsfirma "Studiocanal" zu schreiben. Und der antwortet ziemlich schnell: Die ukrainische Filmgesetzgebung könne er leider nicht beeinflussen. "Aber was ich kann: Ich kann Ihnen den Film in ukrainischer Synchronisation kostenlos zur Verfügung stellen für eine Vorführung in einem Kino", zitiert Neukirch aus seinem Antwortbrief. (Zu Weihnachten bekommt Neukirch dann zudem Post von ihrem verschollenen Brieffreund, der noch lebt - wenn auch weiter ohne Heizmaterial).

Happy End im ARRI-Kino

Nach einem guten Dutzend weiterer Briefe an Münchner Kinomacher steht fest: Am 20. Januar 2024 findet eine Sondervorstellung von Paddington (Teil 1) auf Ukrainisch für ukrainische Kinder statt, und zwar im ARRI-Kino (jetzt Astor Film Lounge), einem echten Schwabinger Kultkino. Erbaut 1958, in jenem Jahr, in dem die UdSSR Atomwaffen in der DDR stationierte. Auch keine friedliche Zeit, damals. Aber immerhin erschien in jenem Jahr die erste Geschichte über einen höflichen kleinen Bären mit Hut, der gerne Orangenmarmelade isst.

Die ukrainische Vorführung findet statt am 20. Januar, 12 Uhr, in der ASTOR Film Lounge im ARRI, Türkenstraße 91 in München. Der Eintritt ist für geflüchtete Kinder kostenlos. Reservierungen sind ab sofort unter muenchen.premiumkino.de möglich. Verfügbar sind 177 Plätze.

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Paddington: "Möchten Sie ein Marmeladen-Sandwich? Ich habe immer eines für Notfälle dabei." Queen: "Ich auch. In meiner Tasche."

💡 Die Paddington-Story: "Please care for the little bear"

27 Bände hat die Erzählung von Paddington, dem Bären, die sich der englische Kinderbuchautor Michael Bond ab 1958 ausdachte. Die Grundgeschichte ist schnell erzählt: Paddington kommt als blinder Passagier aus Peru nach England, strandet an einem Londoner Vorortbahnhof (von dem er den Namen hat) und findet Unterschlupf bei der auf Bären nicht wirklich eingestellten Familie Brown.

Der Hintergrund ist etwas komplexer: Bond dachte bei dem kleinen Bären, der ein Schild mit der Bitte, sich um ihn zu kümmern, um den Hals trägt, an Londoner Kinder, die vor der deutschen Bombardierung mit ganz ähnlichen Schildern aufs Land geschickt wurden.

In seiner Exilheimat taucht der Bär seit zehn Jahren immer wieder in der Zuwanderungsdebatte auf: Für Flüchtlingshilfeorganisationen ist die Geschichte ein Beispiel für britische Hilfsbereitschaft und gelungene Integration, anderen stößt auf, dass nicht alle Einwanderer so perfekt Englisch sprechen und Orangenmarmelade lieben.

Im Buch sagt Paddingtons Hauptfeindin, die Tierpräparatorin Millicent: "Mit einem Bären fängt's an, und bald ist die ganze Straße voll mit ihnen." Seit Queen Elizabeth sich 2022 mit Paddington beim Fünfuhrtee ablichten ließ, hat sich zumindest diese Debatte etwas beruhigt.

Im Audio: Kalenderblatt - 13.10.1958: Paddington Bear erscheint

Paddington Bear erscheint (13.10.1958)
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Kalenderblatt 13.10.2015: Paddington Bear

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