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Eine Kundin der Essener Tafel zeigt ihre Berechtigungskarte

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Münchner Tafel kritisiert Aufnahmestopp für Migranten in Essen

Die Entscheidung der Essener Tafel, vorerst keine neuen Migranten mehr als Bedürftige aufzunehmen, hat eine bundesweite Debatte ausgelöst. Heftige Kritik kam auch aus München. Selbst die Bundesregierung wirkt leicht konsterniert. Von Margit Ehrlich

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 1 am Nachmittag am .

Deutschland sei ein Land er Mitmenschlichkeit, und in diesem Land sollte jedem geholfen werden, der bedürftig ist, stellte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer klar. Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD) erklärte gegenüber epd, es müsse klar sein, dass Bedürftigkeit das Maß sei "und nicht der Pass".

"Wir fassen uns an den Kopf"

Deutlicher wurde der Sprecher der Münchner Tafel, Gregor Tschung im Interview mit BR24. "Wir fassen uns an den Kopf", war die erste spontane Reaktion. Dann stellte Tschung klar:

"Wir werden nicht anfangen, Bedürftige unterschiedlicher Herkunft gegeneinander auszuspielen." Pressesprecher der Münchner Tafel, Gregor Tschung 

Lage in München besonders prekär

Tatsächlich mache sich auch in München eine erhöhte Nachfrage bemerkbar, vor allem in den Brennpunkten, so Tschung weiter. Dafür seien aber weniger die Flüchtlingsströme verantwortlich, sondern die Armut wachse generell. In München sei die Lage natürlich besonders prekär wegen der Wohnungssituation.

"Wir haben inzwischen sogar Flüchtlinge, die bei uns an den Ausgabestellen und als Beifahrer aushelfen. Das ist Integration." Pressesprecher der Münchner Tafel, Gregor Tschung 

Wenn es Probleme an den Ausgabestellen gibt, dann ist der Grund eine schwierig Lebenslage, nicht die Nationalität, betont Tschung.

120.000 kg Lebensmittel pro Woche

In München geben 27 Ausgabestellen 120.000 kg Lebensmittel pro Woche an 20.000 Bedürftige aus. Ist die Kapazität an der zuständigen Ausgabestelle erschöpft, kommt der Bedürftige, der seine Bedürftigkeit mit amtlichen Dokumenten nachweisen muss, auf eine Warteliste.

Harsche Kritik aus Berlin und weiteren Landesverbänden

Nach den Grundsätzen des Dachverbandes "Tafel Deutschland e.V. sei die Hilfe der gemeinnützigen Essensausgaben für alle gedacht, die dieser Unterstützung bedürften, sagte die Vorsitzende der Berliner Tafel, Sabine Werth, der Deutschen Presse-Agentur.

"Für die Berliner Tafel gibt es keine Bedürftigen erster oder zweiter Klasse." Sabine Werth, Vorsitzende der Berliner Tafel

"Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten"

Ähnlich kritisch wie die Berliner Tafel äußerten sich auch andere Landesverbände, etwa in Niedersachsen, Bremen und Hessen. "Wir sind für alle Bedürftigen da, egal welche Hautfarbe oder Nationalität sie haben", sagte auch der Thüringer Landesvorsitzende Nico Schäfer der dpa. Der Paritätische Wohlfahrtsverband in NRW kritisierte die Entscheidung aus Essen ebenfalls. "Natürlich kann ich nachvollziehen, dass Tafeln unter großem Druck stehen und ihre Ressourcen im Blick haben müssen", sagte Landesgeschäftsführer Christian Woltering. "Aber Maßnahmen wie ein Aufnahmestopp sind Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten".

Immer weniger Alleinerziehende und Rentner

Der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, verteidigte den umstrittenen Schritt. "Ich stehe dazu", sagte er in Essen. Es sei im Tafel-Vorstand lange diskutiert worden über den Entschluss, abgesehen von den bisherigen Kunden vorerst keine weiteren Migranten mehr aufzunehmen. Zuletzt seien aber weniger Alleinerziehende und Rentner gekommen. Der Aufnahmestopp sei nur eine vorübergehende Maßnahme, "wahrscheinlich nicht über den Sommer hinaus". Der paritätische Gesamtverband sprach von einer "ethnischen Diskriminierung", die sofort beendet werden müsse

Von fremdsprachigen jungen Männern "abgeschreckt"

Gestern war bekannt geworden, dass die Tafel in Essen seit Mitte Januar nur noch Bedürftige mit deutschem Pass neu in ihre Kundenkartei aufnimmt. Grund sei ein Anstieg des Anteils der Migranten an den Kunden auf etwa drei Viertel. In den vergangenen zwei Jahren hätten sich gerade ältere Tafel-Nutzerinnen sowie alleinerziehende Mütter von fremdsprachigen jungen Männern in der Warteschlange abgeschreckt gefühlt, hieß es.