Start einer ATACMS-Rakete bei einer gemeinsamen Militärübung von USA und Südkorea 2017.
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Start einer ATACMS-Rakete bei einer gemeinsamen Militärübung von USA und Südkorea 2017.

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ATACMS für die Ukraine: Ein Waffensystem mehr oder Gamechanger?

Die Ukraine wünscht sich die Waffe schon lange und nun scheint Washington zur Lieferung bereit. Was ist ATACMS und was bedeutet eine Lieferung für den Kriegsverlauf und die deutsche "Taurus-Debatte"?

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Wenn stimmt, was US-Medien übereinstimmend berichten, erfüllt die Regierung von Präsident Biden der Ukraine einen lange vorgebrachten rüstungspolitischen Wunsch und liefert Boden-Boden-Raketen vom Typ ATACMS an das angegriffene Land. Die Führung in Kiew will dieses Waffensystems seit Langem und hält es für eine wichtige Unterstützung.

ATACMS erweitert die Fähigkeiten der ukrainischen Armee und das ist der Grund dafür, dass die USA bisher nicht lieferten. ATACMS hat eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern. Die Ukraine könnte damit also auch Ziele tief in russischem Gebiet bekämpfen. Die Sorge in Washington: Mit der Lieferung von Waffen wie ATACMS an die Ukraine könnte für die Führung im Kreml eine rote Linie überschritten sein.

Wofür steht ATACMS?

Das Army Tactical Missile System, kurz ATACMS, wurde Anfang der 1980er Jahre vom US-Rüstungskonzern Lockheed Martin konzipiert und von der US-Armee im Kampf zum ersten Mal 1991 gegen den Irak eingesetzt: bei der Militäroperation "Desert Storm" zur Befreiung Kuwaits.

Die Rakete wurde immer wieder weiterentwickelt. Es gibt verschiedene Versionen mit unterschiedlichen Reichweiten und Gefechtsköpfen. Die US-Armee hat nach Einschätzung von Experten rund 4.000 ATACMS-Raketen in ihren Beständen.

Welche Variante und wie viele Raketen nun möglicherweise in die Ukraine gehen, ist nicht klar. Eine große Zahl erscheint unwahrscheinlich.

Boden-Boden-Raketen für verschiedene Ziele

ATACMS sind sogenannte Artillerieraketen. Sie werden von Raketenwerfern vom Typ HIMARS oder MLRS abgefeuert. Beide Waffensysteme hat die Ukraine bereits im Einsatz. Die Rakete erreicht nach Abschuss dreifache Schallgeschwindigkeit, steigt zunächst knapp 50 Kilometer hoch in den Himmel auf und stürzt dann auf das anvisierte Ziel hinab.

Bestückt werden können die ATACMS-Raketen mit bunkerbrechenden Gefechtsköpfen oder auch mit Streumunition, deren Einsatz auch deshalb umstritten ist, weil sie eine hohe Blindgängerquote hat.

Ist ATACMS ein Gamechanger?

ATACMS sind teure Präzisionswaffen, die Armeen meist nicht in großer Stückzahl haben und die sie hauptsächlich gegen Ziele von großer Bedeutung einsetzen. Die ukrainischen Truppen könnten zum Beispiel weit entfernte russische Kommandozentralen oder militärische Logistikzentren mit ATACMS-Raketen beschießen oder Nachschublinien wie die Kertsch-Brücke vom russischen Festland auf die Krim treffen.

ATACMS kann so eine wichtige militärische Komponente für die Ukraine werden. Ein sogenannter Gamechanger von entscheidender militärischer Bedeutung sind die Artillerieraketen mit großer Reichweite nach Ansicht von Fachleuten eher nicht.

Andere Fähigkeiten als der Taurus

ATACMS-Raketen und Marschflugkörper wie der deutsche Taurus sind beide geeignet um bedeutende Ziele tief im gegnerischen Hinterland zu treffen. Es gibt allerdings eine Reihe von Unterschieden. Marschflugkörper wie Taurus werden von Trägerflugzeugen ausgeklinkt und fliegen ihre vorher programmierten Ziele dann selbstständig im Tiefflug an, was ihre Bekämpfung durch Flugabwehr erschwert.

Die von Artillerie abgeschossenen ATACMS-Raketen kommen zwar aus sehr viel größerer Höhe auf ihre Ziele zu, sind allerdings auch viel schneller als Marschflugkörper. Der Taurus aber auch die britischen und französischen Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp, die die Ukraine bereits einsetzt, sind eher sogenannte "Bunkerknacker" mit hoher platzierter Sprengkraft. ATACMS-Raketen können gegen Bunker und mit entsprechenden Gefechtsköpfen zusätzlich auch gegen großflächigere Ziele eingesetzt werden.

Die Bundesregierung steht seit Monaten unter wachsendem innen- und außenpolitischem Druck, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Wenn die USA Kiews Truppen nun trotz aller Reichweiten-Bedenken mit ATACMS-Raketen unterstützen, könnte das den Druck auf Berlin noch erhöhen.

Dieser Artikel ist erstmals am 27. September auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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