13.07.2023, Berlin: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, stellt die künftige deutsche China-Politik im Berliner China-Institut Merics vor. Mit der neuen China-Strategie will die Bundesregierung unter anderem Lehren aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ziehen und angesichts einer aggressiveren Außenpolitik Pekings einseitige Abhängigkeiten von dem Land reduzieren. Foto: Britta Pedersen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Annalena Baerbock stellt deutsche China-Strategie vor.

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Abstand zum Reich der Mitte: Die neue China-Strategie

Wie gute Beziehungen zu China pflegen, die Interessen deutscher Unternehmen berücksichtigen und gleichzeitig die Abhängigkeit reduzieren? Lange hat die Bundesregierung gerungen, nun präsentierte Außenministerin Baerbock die Strategie.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die Bundesaußenministerin stellt die Strategie alleine vor. Dabei hat vor allem das Kanzleramt im Hintergrund mächtig mitgemischt, nicht immer zur besonderen Freude von Annalena Baerbock. Aber nun ist man, nach langem Ringen und Zerren, endlich fertig geworden. 83 Wochen, nachdem man im Koalitionsvertrag festgehalten hatte, man "brauche eine neue China-Strategie".

Baerbock bringt nun gleich das Dilemma im Verhältnis Deutschland-China in ein paar nackten Zahlen auf den Punkt:

  • 96 Prozent - das ist der Anteil Chinas an der weltweiten Gallium-Produktion, einem seltenen Metall, dessen Export China seit letzter Woche beschränkten will.
  • 69 Kriegsschiffe - damit hat China in den letzten fünf Jahren seine Marine zur zahlenmäßig größten der Welt gemacht.
  • 1 Million Hongkong-Dollar - das ist das Kopfgeld, das die Hongkonger Polizei auf acht pro-demokratische Aktivisten ausgesetzt hat, die im Ausland leben.

An China kommt niemand mehr vorbei

Baerbocks Credo: China hat sich verändert. Daher muss sich auch die deutsche China-Strategie verändern. Denn Fakt ist: An China mit seinen 1,4 Milliarden Menschen kommt niemand mehr vorbei. Und so versucht sich die Strategie der Bundesregierung in der Balance, das Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland klein und Menschenrechte hochzuhalten, ohne China, den "systemischen Rivalen", zu verprellen. Dass der Wahrung der Menschenrechte ein ganzes Kapitel gewidmet ist, das noch vor den Wirtschaftsbeziehungen kommt und in dem die "schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen" explizit genannt werden, dürfte in Peking allerdings nicht auf Gegenliebe stoßen.

Ein Kerngedanke der Strategie ist es, Abhängigkeiten von China zu beseitigen, ohne die Kontakte zu dem größten Handelspartner Deutschlands abzubrechen. Dabei will die Bundesregierung die Wirtschaft stärker in die Pflicht nehmen. Jene Unternehmen, "die sich in hohem Maße vom chinesischen Markt abhängig machen", müssten "in Zukunft das finanzielle Risiko verstärkt selbst tragen", erklärte Baerbock. Seit vergangenem November hat die Bundesregierung ihre Investitionsgarantien auf drei Milliarden Euro pro Unternehmen und Zielstaat gedeckelt.

Wirtschaftlicher Fortschritt für China und für Deutschland

Der Balance-Akt zwischen einem Außenministerium, das sich deutlichere Worte gewünscht hat und einem Kanzleramt, das vorsichtiger formulieren wollte, zieht sich durch die Strategie. Manche Passagen des 64-seitigen Papiers lesen sich, als habe das Kanzleramt zusammen mit Wirtschaftsverbänden die Feder geführt:

"Es ist nicht unsere Intention, den wirtschaftlichen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung Chinas zu behindern. Dennoch ist eine Minderung von Risiken (De-Risking) dringend geboten; eine Entkopplung unserer Volkswirtschaften (De-Coupling) lehnen wir hingegen ab". Aus dem Strategie-Papier

China ist der wichtigste deutsche Handelspartner, im vergangenen Jahr betrug der Umsatz laut Statistischem Bundesamt knapp 299 Milliarden Euro. Und auch wenn der Handel im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen ist - die chinesischen Exporte nach Deutschland sanken beispielsweise um 15 Prozent - bleibt China enorm wichtig. Auch für Bayern: So ist China das bedeutendste Importland für den Freistaat, bei den Exporten liegt es hinter den USA und Österreich auf Rang drei.

Zustimmung aus der deutschen Wirtschaft

Vertreter der Wirtschaft äußerten sich mehrheitlich positiv. So sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, es sei richtig, Lieferketten auf den Prüfstand zu stellen und die Belastbarkeit der deutsch-chinesischen Brücke zu prüfen. Es wäre aber falsch, sie abzureißen. Risiken zu minimieren, bedeute nicht, alle Geschäftsbeziehungen aufzugeben.

Auch BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner äußerte im ARD-Hauptstadtstudio Wohlwollen für die Strategie der Bundesregierung: "Jeder, der glaubt, sich komplett von China unabhängig machen zu können, unterschätzt die Größe Chinas und auch den Markt." Auch Gönner sprach sich für Diversifizierung aus, das gehe nur leider nicht auf Knopfdruck. Aber der Überfall Russlands auf die Ukraine sei ein Eye-Opener für die Abhängigkeitsfragen in der Deutschen Wirtschaft gewesen. Nun müsse die Ampel-Koalition aber die richtigen Akzente setzen, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie: "Sonst wird aus dem Exportweltmeister ein Ankündigungsweltmeister." Deutschland sei ein wichtiger Player, aber nur ein geeintes Europa könne China auf Augenhöhe begegnen.

Der Markt als Mittel zum Zweck

Das weiß die Bundesaußenministerin. Annalena Baerbock betont daher, dass es ohne eine europäische keine nationale China-Strategie geben kann. Für die Grünen-Ministerin ist der europäische Binnenmarkt Hebel und Schutzschild zugleich. Denn China schaut auf diesen Markt und will ihn nicht verlieren. Genau auf dieser Marktmacht setzt die nationale Strategie auf, um ein weiteres zentrales Element zu unterstreichen: den gemeinsamen Kampf gegen die Klimakrise.

"Die Bundesregierung sucht die Zusammenarbeit mit China, insbesondere als unverzichtbarer Akteur für die Lösung zentraler globaler Herausforderungen: China ist der größte CO2 -Emittent weltweit. Ohne China wird die Klimakrise nicht zu bewältigen sein; sein Verhalten ist entscheidend für den Erhalt der biologischen Vielfalt und der Umwelt. Gleichzeitig ist China der größte Produzent erneuerbarer Energien. Die Bundesregierung ermutigt China dazu, seiner globalen Verantwortung gerecht zu werden, denn Chinas klima- und umweltpolitische Entscheidungen wirken sich auf die ganze Welt aus."

Die China-Strategie muss nun noch im Bundestag diskutiert werden. Für Nils Schmidt (SPD), den außenpolitischen Sprecher seiner Fraktion, "atmet die Strategie nicht nur den Geist der Defensive, des Bedrohlichen", sondern sie sei ein selbstbewusstes Statement der eigenen Stärken. Und auch aus der Union kam vorsichtiges Lob. Nicolas Zippelius (CDU) sieht in der Strategie durchaus Punkte, bei denen die Union mitgehen könne. Es blieben aber auch offene Fragen, etwa wie genau De-Risking definiert werde. Zu einem nationalen Konsens in der China-Strategie-Frage sei die Union durchaus bereit.

Im Video - Doris Fischer, Professorin für Wirtschaft Chinas an der Uni Würzburg:

Doris Fischer
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Doris Fischer

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