Polizeibeamte begleiten Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug (Archivbild von 2019)
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Polizeibeamte begleiten Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug (Archivbild von 2019)

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Abschiebungen: Was bringt Nancy Faesers Reformpaket?

"Wer kein Bleiberecht hat, muss unser Land wieder verlassen", sagt Innenministerin Faeser und will dazu einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Könnte die geplante Reform Abschiebungen beschleunigen? Ein Blick in die Praxis.

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Die Zahlen bestätigen den Handlungsbedarf: Im Jahr 2022 hat der Freistaat 2.046 ausreisepflichtige Ausländer aus Bayern abgeschoben - 4.251 "Abschiebemaßnahmen" aber also scheiterten. Das heißt: in 67,5 Prozent der Fälle, scheint es, war der Staat nicht in der Lage, Recht zu durchzusetzen. Im ersten Halbjahr 2023 haben sich die Zahlen leicht, aber noch nicht grundlegend verbessert.

Jetzt hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgelegt, das rechtsgültige Abschiebungen beschleunigen soll.

Was die Bundesregierung jetzt plant

Die wichtigsten Neuerungen:

  • Die Höchstdauer des sogenannten Ausreisegewahrsams soll von derzeit 10 auf 28 Tage verlängert werden.
  • Die Behörden sollen in kompletten Gemeinschaftsunterkünften und nicht nur in den Zimmern der Ausreisepflichtigen nach diesen suchen dürfen, und dies in begründeten Fällen auch nachts. Auch die Durchsuchung von Wohnungen wird vereinfacht - etwa, um die Identität einer Person zweifelsfrei klären zu können.
  • Die bisherige Pflicht, Menschen, die seit mindestens einem Jahr in Deutschland geduldet waren, ihre Abschiebung mindestens einen Monat zuvor anzukündigen, soll grundsätzlich gestrichen werden. Eine Vorwarnung sollen nur noch Familien mit Kindern unter zwölf Jahren erhalten.
  • Faeser will - Stichwort Clan-Kriminalität - mit dem Gesetz die Möglichkeit schaffen, Menschen auszuweisen, die mutmaßlich einer kriminellen Vereinigung angehören. Unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung soll reichen, dass "Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen". Die bloße Verwandtschaft zu einem Mitglied organisierter Kriminalität genügt dafür aber nicht.
  • Das Gesetzespaket sieht zudem eine Reihe weiterer Verschärfungen vor: Unter anderem soll ein "besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse" künftig angenommen werden, wenn jemand wegen Schleusungskriminalität zu mindestens einem Jahr (statt bisher zwei Jahren) Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Zudem sollen Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote ein eigenständiger Grund für eine Abschiebehaft werden; Falschangaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden ein eigener Straftatbestand.

Woran Abschiebungen bisher scheitern

Bringt die Reform echte Verbesserungen oder nur groß angekündigtes Kleinklein?

Der #Faktenfuchs hat schon Anfang Oktober beim Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR) nachgefragt, weshalb Abschiebungen bisher platzten. Die Antwort der Landesregierung listet vier verschiedene Kategorien auf: medizinische, rechtliche und "tatsächliche Gründe", sowie die Tatsache, dass jemand nicht aufzufinden war.

Der bei weitem größte Teil der Abschiebungen - nämlich rund 86 Prozent - scheiterte aus "tatsächlichen Gründen" oder weil der oder die Abzuschiebende nicht auffindbar war. Was aber sind "tatsächliche Gründe"? Das LfAR nennt verschiedene Fälle, warum eine Abschiebung praktisch nicht durchführbar ist: weil ein Ausreisepflichtiger Widerstand leistet, weil Dokumente fehlen oder nicht mehr gültig sind, oder auch, weil Familien im Rahmen einer Abschiebung nicht auseinandergerissen werden dürfen und ein Familienmitglied nicht anzutreffen ist.

Was die Reform in der Praxis bewirken könnte

Die Zahl angeordneter Abschiebungen dürfte durch die Ausweitung von Fällen "schwerwiegenden Ausweisungsinteresses" steigen, vermutlich auch die Zahl abzuschiebender Rechtsbrecher. Wie viel mehr Menschen tatsächlich abgeschoben werden, bleibt abzuwarten.

Immerhin haben die Behörden jetzt mehr Handhabe gegen Personen, die etwa ihren Ausweis vernichtet haben oder spurlos verschwunden sind. Doch es gibt auch weiterhin Gründe, warum eine Abschiebung unterbleibt - sinnvolle und problematische.

Hinderungsgrund 1: Die Duldung

Wichtig zu wissen: ein guter Teil der - Stand Juni - bundesweit 279.098 prinzipiell ausreisepflichtigen Personen wird in Deutschland "geduldet"; etwa wegen gesundheitlicher Probleme oder auch, weil sie einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen, Deutsch gelernt haben und gut integriert sind. Letzteres trifft zum Beispiel auf den Ghanaer Adam Mohamed zu, den die Polizei im Januar an seiner Arbeitsstelle im Altenpflegeheim Lauingen festnahm und in Abschiebehaft steckte - über sein Schicksal entscheidet demnächst die Härtefallkommission.

Die bisherige Rechtslage sieht vor, dass ein Asylbewerber, der hier arbeiten will, in das Land, aus dem er geflohen ist, zurückreisen muss, um sich dort ein Arbeitsvisum zu besorgen. Was im Fall des Tierpflegers Mo Ishaq, einem anderen Ghanaer, zu einer gefährlichen siebenmonatigen Odyssee führte.

Praktiker fordern schon lang, das Neben- und Durcheinander von Asylrecht und Arbeitsmigration zu entwirren, um Flüchtlingen eine schnellere Aufnahme von Arbeit zu ermöglichen. Die Bundesregierung will Arbeitsgenehmigungen für Geflüchtete jetzt erleichtern; an den Details wird noch gestrickt.

Hindernisgrund 2: Bürokratie

Helfen würde in diesem Zusammenhang auch eine deutlich schnellere Bearbeitung von Asylanträgen, also der finalen Entscheidung über "Bleiben oder Gehen". Für viele Unternehmen, die Jobs zu vergeben haben, ist es keine Option, Arbeitskräfte einzustellen, die nach sechs oder zwölf Monaten vielleicht das Land verlassen müssen; ganz zu schweigen von der quälenden Ungewissheit für die Asylsuchenden, den Problemen in den Kommunen und den Kosten für die Allgemeinheit. Eine deutliche Beschleunigung ist angesichts der chronischen Überlastung der Behörden nicht zu erwarten.

Hindernisgrund 3: Die Frage nach dem Wohin

Wer abgelehnte Asylbewerber in ein Flugzeug setzen will, sollte auch wissen, wohin dieses Flugzeug startet. Und hier liegt vielleicht das dickste der vielen zu bohrenden Bretter. "Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass derzeit nach Syrien und Afghanistan Rückführungen quasi ausgeschlossen sind", erklärte Joachim Stamp (FDP), der neu eingesetzte Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, bei seinem Amtsantritt im Februar. Aus den beiden Staaten kamen (vom Sonderfall Ukraine abgesehen) zuletzt die meisten Flüchtlinge.

Für die "Rückführungsoffensive" infrage kommen derzeit nur sichere Drittstaaten - und die wenigen Länder, mit denen Deutschland und/oder die EU ein Migrationsabkommen geschlossen haben, etwa Tunesien und Indien. Die europäische Seite zahlt, stellt mehr Visa aus oder bietet Qualifizierungskurse vor Ort an - die Vertragspartner verpflichten sich, abgelehnte Asylbewerber aufzunehmen, was im Fall von Tunesien mehr schlecht als recht funktioniert. Sechs weitere Staaten könnten demnächst dazukommen. Liest man, wer genannt wird - nämlich Georgien, Moldau, Kenia, Kolumbien, Usbekistan und Kirgistan - und wer alles nicht auf der Liste steht, lässt sich erahnen, dass der Migrationsbeauftragte noch viel Arbeit vor sich hat.

Video: Nancy Faeser über ihre Reformvorhaben

Nancy Faeser
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Nancy Faeser

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