Gasmaske mit Schutz-Anzug, montiert vor Demontranten mit einem lebensgroßen Modell einer Pershing-II-Rakete
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Das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion erreichte vor 40 Jahren einen Höhepunkt. Die Welt steuerte auf einen Atomkrieg zu.

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1983: Als wir kurz vor dem III. Weltkrieg standen

Das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion erreichte vor 40 Jahren einen Höhepunkt. Die Welt steuerte auf einen Atomkrieg zu. Wie konnte es so weit kommen? Kontrovers - Die Story auf historischer Spurensuche.

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Wenn Helmut Meisel und seine Frau Hatice an das Jahr 1983 zurückdenken, werden ihre Gesichter ganz ernst. Sie erinnern sich noch gut an die Bedrohung, die Teil ihres Alltags war. Das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion steht damals kurz vor einer Eskalation. Hunderte Mittelstreckenraketen sind in Europa stationiert. Sie reichen aus, um die Welt mehrfach zu zerstören. "Das war nur noch Aufrüsten, Totrüsten und darauf hoffen, dass nicht einer nervös wird und den Alarm auslöst", erzählt Helmut Meisel heute.

USA und Russland machen ihre Atomwaffen einsatzbereit

Die Welt driftet 1983 geradewegs auf einen Atomkrieg zu. Ronald Reagan, damals US-Präsident, will die USA zu alter Stärke zurückführen und den Ostblock "totrüsten". Er lässt prüfen, ob es für die USA möglich wäre, einen Atomkrieg zu gewinnen. Dabei helfen sollen neue Pershing-II-Raketen, deren Sprengkraft gewaltig ist. In Moskau wiederum fühlt man sich bedroht. Die Sowjets bewaffnen ihre Jagdbomber mit Atombomben und machen sie gefechtsbereit. Generalsekretär Juri Andropow ist überzeugt, dass die USA einen nuklearen Überraschungsangriff planen.

Ehemaliger Top-Spion liefert Moskau geheime Dokumente

Rainer Rupp, damals Top-Spion des Auslandsgeheimdienstes der DDR, der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), ist damals so nah an der Eskalation dran wie nur wenige. 1983 war er Agent im "Situation Center", dem Lagezentrum im Nato-Hauptquartier in Brüssel. "Ich bekam alles mit", sagt er. Hunderte von sowjetischen Agenten sind zu diesem Zeitpunkt in West-Europa und den USA im Einsatz und schicken Informationen an ihre Führungsoffiziere. Es ist die bis dahin größte Geheimdienst-Aktion des Ostblocks. Rupp fotografiert heimlich mit einer Mini-Kamera tausende von Aufmarschplänen, Aufstellungen und Dokumenten. Er liefert dabei auch das geheime Drehbuch für die Wintex-Cimex-Übung nach Ost-Berlin und Moskau. Und dort ist man alarmiert.

Kanzler-Berater Teltschik erinnert sich an Kreml-Drohungen

In dieser Situation wird Helmut Kohl am 6. März 1983 zum zweiten mal Bundeskanzler und ist entschlossen, Pershing-II-Raketen in Deutschland zu stationieren. Horst Teltschik war damals Kohls enger Mitarbeiter. Er erinnert sich im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers an die Drohungen, die damals aus dem Kreml kamen. "Andropow hatte angekündigt, dass, wenn wir stationieren, die Gefahr eines dritten Weltkrieges gegeben sei."

Ronald Reagan nennt Sowjetunion "evil empire"

Zwei Tage nach der Wiederwahl von Helmut Kohl bezeichnet Ronald Reagan die Sowjetunion in einer Rede als "evil empire", das Reich des Bösen. Kurz darauf kündigt er sein SDI-Programm an. Damit sollen Raketen der Sowjets im Weltraum abgeschossen werden, bevor sie Ziele in den USA erreichen. Generalsekretär Juri Andropow glaubt, dass man einem Angriff der Nato bald nichts mehr entgegenzusetzen habe.

Millionen Menschen demonstrieren für Frieden

An Ostern 1983 demonstrieren in Deutschland Millionen von Menschen für Frieden. Auch Helmut Meisel und Hatice Güler-Meisel sind in der Friedensbewegung aktiv. Sie nehmen mit tausend weiteren Menschen an Mahnwachen vor den Wiley Barracks in Neu-Ulm teil, einer Kaserne der US-Army. Sie liegt in unmittelbarer Nähe an ihrem Wohnort und soll ein Standort für Pershing-II-Raketen werden. Die beiden haben Angst. "Der Erstschlag, ein atomarer Erstschlag, um diese Standorte auszulöschen im Konfliktfall würde halt bedeuten: so und so viele hunderttausende Tote. Sofort Tote", erinnert sich Helmut Meisel.

Generalsekretär Andropow: Jedes Flugzeug wird abgeschossen

Währenddessen spitzt sich der Konflikt zwischen den Atommächten weiter zu. Die Sowjets überqueren mit ihren Flugzeugen Gebiete der Nato. Die Amerikaner wiederum fliegen Scheinangriffe auf sowjetische Stützpunkte. In Moskau ordnet Andropow an, dass jedes Flugzeug, das sowjetischen Luftraum verletzt, abgeschossen werden soll.

Am 1. September schießen sowjetische Abfangjäger eine koreanische Passagiermaschine mit 269 Menschen an Bord ab. Sie war aus Versehen in den sowjetischen Luftraum eingedrungen. Die Welt ist erschüttert. "Es lief zwischen den beiden Weltmächten nichts mehr. Es gab keine Kontakte, keine Gespräche", erinnert sich Horst Teltschik.

Fehlalarm löst fast einen Atomkrieg aus

Am 26. September 1983 schlägt die sowjetische Satellitenüberwachung Alarm. Das System meldet fünf Atom-Raketen aus den USA, die auf die UDSSR zufliegen. Eigentlich müsste der zuständige Offizier jetzt den Gegenschlag einleiten, doch er wartet ab. Minutenlang steht die Welt vor einem Atomkrieg – bis sich herausstellt, dass es ein Fehlalarm war.

Etwa einen Monat später werden bei einem Anschlag auf einen US-Stützpunkt in Beirut mehr als 200 US-Soldaten getötet. Die USA versetzen ihre Truppen in Alarmbereitschaft und besetzen die karibische Insel Grenada. Ronald Reagan begründet den Einsatz mit den Worten, die Insel sei ein sowjetischer Militär-Stützpunkt.

Wegen Nato-Manöver: Sowjetische Truppen in Europa machen Atomwaffen bereit

Im November 1983 beginnt routinemäßig das Nato-Manöver Able Archer. Dabei wird ein atomarer Krieg unter realistischen Bedingungen geübt. Generalsekretär Andropow hat jetzt keine Zweifel mehr, dass ein Atomangriff der USA bevorsteht. Die sowjetischen Truppen in Ost-Deutschland und Polen machen ihre Atomwaffen bereit.

Die US-Militärs ahnen davon nichts. Erst nach dem Mauerfall erfahren sie, dass mehr als 100 sowjetische Flugzeuge mit Atomwaffen bestückt und gefechtsbereit gemacht worden waren. Ein Zufall oder Fehlalarm hätte dazu geführt, dass die Piloten gestartet und ihre Atombomben ans Ziel gebracht hätten. Doch so weit kommt es nicht. Als das Able-Archer-Manöver ohne Zwischenfälle zu Ende geht, fährt auch die sowjetische Militärführung die Gefechtsbereitschaft wieder herunter.

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