Ministerpräsident Söder und Herausforderer Hartmann
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Wie viele anerkannte Flüchtlinge beziehen Hartz IV?

Haben nur 100.000 Asylbewerber in Deutschland Arbeit? Das behauptete Ministerpräsident Markus Söder im TV-Duell vom 26. September. Doch das ist falsch. Ein #Faktenfuchs.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Mittwochabend im TV-Duell: "Wir haben nach Aussage der Bundesagentur, glaube ich, 700.000 anerkannte Asylbewerber in Deutschland, davon sind 100.000 Gott sei Dank in Arbeit, aber 600.000 noch in Hartz IV." Die CSU twitterte diese Aussage auch am selben Abend.

Auch Zuschauer des BR-Fünfkampfs griffen die Zahl der 600.000 angeblich arbeitslosen Asylbewerber auf. So wandte sich Facebook-Nutzer Gerald Bast an den FDP-Spitzenkandidaten: "Herr Hagen, wir haben 600.000 anerkannte Asylbewerber, die kann man anstellen."

Die Aussage von Söder erweist sich im Faktencheck als falsch. Er nennt drei verschiedene Zahlen, die alle aus unterschiedlichen Statistiken stammen und daher nicht miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Zudem stimmen die Zahlen zum Teil nicht.

Es geht dem Ministerpräsidenten, das wird in seiner Aussage deutlich, um den Anteil der Asylbewerber in Deutschland, die Hartz IV beziehen. Und um den nach seiner Darstellung geringen Anteil der Flüchtlinge in Arbeit. Um die Fakten aufzudröseln, beginnen wir in der Mitte des Zitats, wie es wörtlich im Duell fiel.

Die 100.000

Söder behauptete, rund 100.000 anerkannte Asylbewerber seien in Deutschland in Arbeit. Das ist falsch.

Ein Bericht der Bundesagentur für Arbeit zum Thema Fluchtmigration aus dem August zeigt: Im Juni 2018 waren 244.000 Menschen aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern der Geflüchteten sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Hinzu kommen 70.000 Personen mit einer Staatsangehörigkeit aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern, die geringfügig beschäftigt waren. Das sind insgesamt 314.000 in Arbeit – und nicht nur 100.000. (Es gibt sogar schon leicht höhere Zahlen vom Juli. Aber zur besseren Vergleichbarkeit ziehen wir die Statistik vom Juni heran.)

Die Behörde registriert allerdings nur die Staatsangehörigkeit, nicht den Aufenthaltsstatus – aus datenschutzrechtlichen Gründen. Die Hauptherkunftsländer sind: Eritrea, Nigeria, Somalia, Afghanistan, Irak, Iran, Pakistan, Syrien.

"Diese Ländergruppe umfasst gut 70 Prozent der Flüchtlinge in Deutschland. Auch haben gut 70 Prozent der Bevölkerung aus diesen Ländern einen Fluchthintergrund", sagt Herbert Brücker, Leiter des Forschungsbereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. "Wir haben also eine gewisse statistische Unschärfe, weil die Flüchtlinge nicht direkt in der Beschäftigungsstatistik erfasst werden."

Befragungsergebnisse zeigen Brücker zufolge aber, dass die Beschäftigung aus den acht außereuropäischen Asylherkunftsländern ein guter Indikator für die Beschäftigung der Flüchtlinge ist. "Wir können folglich davon ausgehen, dass die Zahl der beschäftigten Flüchtlinge eher bei 300.000 als bei 100.000 Personen liegt, sofern wir auch die Flüchtlinge berücksichtigen, die vor 2015 gekommen sind", erklärt Brücker.

Der zuständige Statistiker von der Bundesagentur für Arbeit bestätigte dem Bayerischen Rundfunk diese Angaben.

Die 600.000

Söder sagte, 600.000 anerkannte Asylbewerber seien in Hartz IV.

Das stimmt ungefähr - gerundet. Den Angaben der Bundesagentur für Arbeit zufolge waren es im Juni 617.000 Geflüchtete.

Hier kann die Bundesagentur den Asylstatus angeben; allerdings erhebt sie die Daten dafür erst seit Juni 2016.

Eine andere Statistik der Behörde (Migrations-Monitor Arbeitsmarkt - Prozess- und Strukturkennzahlen) weist für Mai diesen Jahres 662.967 Menschen aus den acht Hauptherkunftsländern als erwerbsfähige Leistungsberechtigte aus – also auch Hartz-IV-Empfänger. Darin enthalten sind also auch – verhältnismäßig wenige – Menschen, die keine Geflüchteten sind. (Die Zahlen vom zurückliegenden Juni sind noch nicht verfügbar.)

Ursache für die unterschiedlichen Zahlen und Angaben über den Aufenthaltsstatus ist, dass die beiden Statistiken der Behörde zufolge an anderen Zähltagen und auf unterschiedlichen Wegen erhoben werden.

Die 700.000

Hier wird es kompliziert.

Söder sagte im Duell explizit: "Wir haben nach Aussage der Bundesagentur, glaube ich, 700.000 anerkannte Asylbewerber in Deutschland".

Die Bundesagentur für Arbeit erstellt keine Bevölkerungsstatistik, die Zahl der "700.000 anerkannten Asylbewerber" stammt deshalb nicht von der Bundesagentur für Arbeit, wie eine Sprecherin der Behörde bestätigte. Diese Behörde sammelt ausschließlich Zahlen zum Arbeitsmarkt.

Wir haben die CSU gefragt, woher die Zahl "700.000" stamme. Der Tweet sei auf Basis der Aussage Söders im TV-Duell entstanden, sagte ein Sprecher. "Wir zweifeln die Richtigkeit der Aussagen des Ministerpräsidenten nicht an", sagte er und verwies an das CSU-geführte Innenministerium.

Söders Zahl beinhaltet nicht alle Asylbewerber

Dort erklärt man die Aussage Söders so: "Deutschlandweit gibt es demnach 662.389 erwerbsfähige Leistungsberechtigte (...anerkannte Asylbewerber/Anmerkung d. Redaktion)...alles Anerkannte, da sonst nicht in SGB II, sprich Hartz IV), davon sind 96.078 erwerbstätig (das heißt Hartz IV, aber mit Job). Der Rest, also 566.311, sind erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die nicht arbeiteten, mit anderen Worten nur Hartz IV beziehen."

Gerundet entsprechen die Zahlen genau denen, die Söder genannt hat. Nur hat Söder sie eben nicht genau so genannt.

Diese Zahlen beziehen sich auf den März 2018 und stammen – zumindest teilweise – von der Bundesagentur für Arbeit. Es sind Zahlen aus der Statistik, die wir oben erwähnt haben: über die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus den acht Asylherkunftsländern.

Das heißt aber: Söders 700.000 ist – gerundet - die Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus den acht Asylherkunftsstaaten. Es ist aber nicht, wie er behauptet hat, die Zahl ALLER anerkannten Asylbewerber in Deutschland. Das ist ein entscheidender Unterschied.

Die 96.078 Erwerbstätigen unter den Hartz-IV-Empfängern, auf die das Innenministerium verweist, sind demnach der Ursprung für Söders "100.000 in Arbeit". Diese – gerundeten – 100.000 sind eine Teilmenge der 327.000 Menschen aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern, die arbeiten, wie ein Experte der Bundesagentur für Arbeit erklärt. Es gibt also Überschneidungen zwischen den Gruppen in den verschiedenen Statistiken.

Hier hat Söder also eine falsche Zahl angegeben.

Die dritte Zahl (566.311 anerkannte Asylbewerber, die Hartz IV empfangen), die das Innenministerium nennt, findet sich so nicht in der Tabelle der Bundesagentur für Arbeit.

Die Aussage

In Söders Satz geht es um die Frage, welchen Anteil die Hartz-IV-Empfänger ausmachen an allen Flüchtlingen, die in Deutschland arbeiten dürfen. In Deutschland dürfen allerdings nicht nur anerkannte Asylbewerber arbeiten, sondern auch abgelehnte, zum Beispiel, wenn sie eine Duldung haben.

Zunächst ist wichtig, dass die Zahlen vergleichbar sind und die Menschen im erwerbsfähigen Alter – also zwischen 15 und 65 Jahren.

Die Zahlen zur ausländischen Bevölkerung erhebt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Diese Zahlen fließen ins Ausländerzentralregister (AZR).

Arbeitsmarktforscher Brücker hat aktuelle Zahlen daraus, die noch nicht veröffentlicht sind. Die Bevölkerung aus den acht außereuropäischen Asylherkunftsländern im erwerbsfähigen Alter belief sich ihm zufolge im Juni auf 1.129.000 Personen.

Ergebnis

Als Ausgangspunkt anerkannte Asylbewerber zu nehmen, funktioniert nicht. Wer Hartz IV bezieht, ist in jedem Fall anerkannt, wer arbeitet, nicht unbedingt. Die Behörden dürfen zudem aus Datenschutzgründen nicht die Informationen über den Aufenthaltstitel und die Erwerbstätigkeit verbinden. Wie viele anerkannte Asylbewerber arbeiten, ist deshalb unklar. Also verlassen sich Experten darauf, die Staatsangehörigkeit als Indikator dafür zu nehmen, dass die Menschen einen Fluchthintergrund haben.

Was man sagen kann: Von den rund 1,13 Millionen Menschen aus den acht nichteuropäischen Asylherkunftsländern sind rund 314.000 in Arbeit. Das sind mehr als dreimal so viele wie Söder im TV-Duell angab.

Rund 660.000 Menschen von den rund 1,13 Millionen sind Hartz-IV-Empfänger, das sind etwa 58 Prozent - und nicht 86 Prozent, wie Markus Söder mit seiner Rechnung implizierte.

Eine Prozentrechnung mit diesen drei Gruppen - also den 1,13 Millionen, den Arbeitenden und den Hartz-IV-Empfängern - lässt sich seriös nicht machen. Denn es gibt Menschen, die arbeiten und trotzdem Hartz IV beziehen, und es gibt Menschen, die andere Leistungen erhalten - oder weder arbeiten noch Sozialleistungen bekommen.