Buchensämling
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Buchensämling aus natürlicher Verjüngung

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Waldumbau vom Reißbrett – und wo bleibt die Natur?

Der Waldumbau läuft bayernweit auf Hochtouren, 200.000 Hektar Privatwald sollen bis 2030 zu intakten Mischwäldern werden. Es wird vor allem teuer gepflanzt - dabei könnte die Natur selbst einen stabilen "Zukunftswald" hervorbringen, sagen Experten.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Eine kahle Fläche zieht sich den Hang bei Eppenreuth im Frankenwald hinab, bis vor drei Jahren stand hier ein Fichtenwald. Iris Schröppel rammt kraftvoll ihren Hohlspaten in den Boden und setzt eine 30 Zentimeter hohe Vogelkirsche ins Pflanzloch: Die Waldbesitzerin will einen neuen Wald aufbauen, aber diesmal soll es ein gemischter, klimastabiler Wald sein. "Ich war traurig, als der Borkenkäfer meine Fichten vernichtet hat", sagt die 62-Jährige, "aber nun ist es schön, es beginnt etwas Neues."

Finanzielle Förderung vom Freistaat

Schröppel hat für ihre Pflanzung eine finanzielle Förderung vom Freistaat bekommen: 2,50 Euro gibt es pro Pflanze. Das ist genug, um auch einen Wildschutzzaun davon zu bezahlen. Der Zaun ist dringend notwendig, damit das Rehwild die jungen Bäume nicht verbeißt. Und zwar nicht nur die von Schröppel gepflanzten, sondern auch die vielen Baumarten, die ganz von allein hochkommen.

Denn auch auf vermeintlich artenarmen Flächen gibt es großes Potenzial für eine natürliche Verjüngung. Und wenn so ein Wildschutzzaun erst einmal steht, sind viele Waldbesitzer überrascht, wie viele weitere Baumarten plötzlich von selbst zwischen den gepflanzten Bäumen heranwachsen – die sogenannte "Naturverjüngung".

Samen werden u.a. von Tieren eingetragen

"Naturverjüngung" - das sind jene Bäume, die von selbst im Waldboden aufkommen, gekeimt aus den Samen der Altbäume. Bei Schröppel standen vor allem Fichten, sie werden sich also auch wieder hier verjüngen. Ebenso tragen der Wind, Vögel und Eichhörnchen Samen ein und erweitern so das Spektrum der Baumarten. Einige Samen schlummern als stille Reserve über viele Jahre im Boden.

Försterin Carmen Hombach, die Vorsitzende der örtlichen Waldbesitzervereinigung Kulmbach-Stadtsteinach, lässt ihren Blick über die Fläche schweifen: Zwischen den gepflanzten Vogelkirschen und Roteichen spitzen hier und da schon Holunder, Ahorne, Vogelbeeren und Birken aus dem Boden. Keine "wertvollen" Baumarten, mögen viele Waldbesitzer denken, aber immerhin bedecken sie die kahle Fläche und verhinderten so Erosion, sagt Hombach. "Man muss eine Fläche erst einmal genau betrachten - und wo schon eine natürlich aufgekommene Bauminsel ist, läuft die Verjüngung oft von da aus weiter.“

Enormes Potenzial im Waldboden

Eigentlich ist das die Grundlage eines jeden Waldbaus: Erst einmal genau hinschauen, welche Sämlinge aus dem Boden spitzen, wie viele alte Bäume in der Umgebung stehen und was künftig an natürlicher Verjüngung zu erwarten ist. Und dann erst pflanzen – als Ergänzung der Natur sozusagen.

Aber dieses Wissen und die damit verbundenen waldbaulichen Techniken seien in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt worden, sagt Ottmar Ruppert von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF). Viele Waldbesitzer erkennen die winzigen Keimlinge gar nicht mehr, wissen nicht, welches Potenzial in ihrem Waldboden schlummert. Und das kostenlos: Denn die Natur schüttet jedes Jahr ein Füllhorn an Samen aus. Außerdem sind Sämlinge, die von allein im Boden aufwachsen, viel robuster als gedüngte Baumschulpflanzen.

Zu viel Aktionismus nach "Wiebke" und "Vivian"?

Ruppert ist einer von zwei bayerischen Waldbautrainern und zuständig für die Schulung der Förster. Als junger Forstmann hat er miterlebt, wie die Orkane "Vivian" und "Wiebke" im Winter 1990 in Bayerns Wäldern wüteten und mehr als 60.000 Hektar Wald zerstörten.

Angesichts der dramatischen Schäden wurden umgehend Aufforstungsprojekte in Angriff genommen und Millionengelder lockergemacht. Dieser Aktionismus sei vielerorts ein Fehler gewesen, sagt Ruppert: "Es ist das erste, was wir gelernt haben, dass wir mit zu viel Aufwand und zu hohen Pflanzenzahlen rangegangen sind. Wir haben unterschätzt, was die Natur uns noch bringt."

Fördermittel in Millionenhöhe

Die gängige Förderpraxis in Bayern verfolgt allerdings bisher dieses alte Schema: Es werden vor allem intensive Pflanzungen mit 6.000 bis 8.000 Bäumen pro Hektar gefördert. Geld ist genug da: Fast 111 Millionen Euro hat Bayern allein in den Jahren 2019 bis 2022 in Pflanzungen investiert: 43 Millionen Bäume wurden mit staatlichen Fördergeldern gepflanzt, die Kosten dafür werden dem Waldbesitzer bis zu 90 Prozent erstattet. Dank der Bundesmittel und landeseigener Finanzen stehen den bayerischen Waldbesitzern bis 2023 gut 204 Millionen Euro zur Verfügung.

Pflanzen sollen Naturverjüngung ergänzen

Im Frankenwald dagegen hilft Geld allein nicht, die Borkenkäfer-Katastrophe der vergangenen Jahre könnte die Förster zu einer Rückkehr zu bescheideneren Methoden des Waldbaus zwingen: Rund 10.000 Hektar Fichtenforst sind hier dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen, ein Viertel der Waldfläche ist kahl. Diese Hänge wiederzubewalden ist eine enorme Herausforderung: Es gibt nur wenige Baumarten, die für das raue Klima im Frankenwald geeignet sind. Und da im benachbarten Thüringen ebenfalls riesige Kahlflächen entstanden sind, könnte das Pflanzgut knapp werden.

Es sind also weder die erforderlichen Pflanzenmengen da, noch gibt es genügend Waldbesitzer, die in der Lage wären, solch riesige Pflanzungen auch zu pflegen. Ganz zu schweigen davon, dass es schier unmöglich wäre, Flächen von Tausenden von Hektar einzuzäunen, damit das Wild die teuren Bäume nicht verbeißt.

Aufforstung des Frankenwaldes

Es müssen also andere Ansätze her: "Wir müssen bei der Wiederbewaldung mehr mit der natürlichen Sukzession arbeiten", sagt Ruppert von der LWF. Das heißt, Baumschulpflanzen gezielt in die Lücken der natürlichen Verjüngung setzen, diese also sinnvoll ergänzen, statt die gesamte Fläche wie vom Reißbrett mit künstlichen Kulturen zuzupflastern.

Der Waldbauexperte erzählt von Bäumen, die in kleinen "Trupps" gepflanzt werden, von sternenförmigen Pflanzrädern, die ihre Satelliten fingerartig in die Fläche strecken, von "Bauminseln“, die sich wie "Fettaugen“ auf dem kahlen Boden ausbreiten und von einer Wertschätzung von Pionierbaumarten wie der Birke, die in sehr kurzer Zeit aufkommen, den Wind abschirmen und so vor Erosion schützen.

Forstliche Beratung wichtig

Ruppert wünscht sich, dass solche waldbaulichen Techniken und die Arbeit mit der natürlichen Verjüngung mehr gefördert und von den amtlichen Förstern beraten werden. Außerdem müsse ein jagdliches Konzept her, sagt er, denn ohne eine intensivere Jagd habe auch die natürliche Verjüngung auf den Kahlflächen keine Chance.

Das gilt nicht nur für den Frankenwald, sondern für viele Wälder in Bayern: "Es wäre wünschenswert, dass die Jäger diese natürliche Wiederbewaldung und das Aufkommen der Naturverjüngung mit ihren Abschüssen begleiten", sagt Ruppert. "Alles andere sind Krücken, die nur einen Teil dessen ermöglichen, was uns die Natur eigentlich als Füllhorn auf der Fläche bringt.

Pflanzen im Schutz der Baumstümpfe

Iris Schröppel ist fast fertig mit ihrer Pflanzung: Ihre Vogelkirschen und Roteichen stehen nicht in Reih und Glied wie auf vielen anderen Kahlflächen – sie hat sie in lockerem Abstand kreuz und quer über die Fläche verstreut. Das macht es zwar schwerer, die jungen Bäume später wiederzufinden, aber Schröppel gefällt diese natürliche Pflanzung besser als eine Anordnung vom Reißbrett.

Und die Fichtenstümpfe hat sie mit eingebunden: Denn auch das ist ein verlorengegangenes Wissen - dass junge Pflanzen in den Achseln der Baumstümpfe Schutz finden und über die absterbenden Wurzeln den Erdboden erschließen können. "Ich freue mich darauf, dass ich meinen Pflanzen beim Wachsen zuschauen kann, alles andere liegt nicht in meiner Hand," sagt Schröppel.

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