Dachdeckermeister Kay Preißinger vor einer Palette mit Dachziegeln
Bildrechte: BR Kontrovers | Friederike Wipfler

Dachdeckermeister Kay Preißinger hat zurzeit Probleme, alle Baumaterialien zu bekommen.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Unternehmer besorgt: Ukraine-Krieg verschärft Lieferengpässe

Corona brachte weltweit Lieferketten ins Stocken. Der Krieg in der Ukraine und die verhängten Sanktionen lassen nun weitere Verbindungen abreißen. In der "Kontrovers"-Story berichten Unternehmen von ihren aktuellen Herausforderungen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Auf einer Nürnberger Baustelle von Dachdeckermeister Kay Preißinger herrscht Stress. Ein Flachdach soll neu gemacht werden. Um das Mehrfamilienhaus steht ein großes Gerüst. Aber dringend benötigte Balken wurden nicht planmäßig geliefert, jetzt muss der Chef selbst zum Lieferanten fahren und sie abholen.

Früher bekam Preißinger Holz innerhalb eines Tages geliefert, dieses Mal hat es zwei Wochen gedauert. "Wir versuchen natürlich, Baumaßnahmen einzutakten", sagt Preißinger. "Da haben wir schon die Wetterunbill, dass es manchmal eben nicht klappt. Und jetzt haben wir das mit dem Material auch noch." Wichtig sei, dass das Unternehmen seine Mitarbeiter beschäftige. Nur: "Wie soll das funktionieren?"

Existenzgefährdet trotz guter Auftragslage

Noch schlimmer ist für den Dachdecker, dass er essenzielle Baumaterialien zurzeit nicht bestellen kann, zum Beispiel Dachpappe, sogenannte Bitumenbahnen. Denn Bitumen kommt größtenteils aus Russland und ist aktuell kaum lieferbar. Auch wenn die Dachpappe in Deutschland hergestellt wird, ohne den Rohstoff aus Russland geht es nicht. Noch hat er Bitumenbahnen gelagert, aber der Lieferengpass könnte für seinen Betrieb existenzgefährdend werden. Im schlimmsten Fall müsste Kay Preißinger Mitarbeiter trotz guter Auftragslage in Kurzarbeit schicken, weil das Baumaterial fehlt.

  • Zum Artikel: "Deutlicher Preisanstieg bremst Wachstum am Bau"

Steht bald alles still?

Globalisierte Lieferketten bergen hohe Risiken

In den letzten Jahrzehnten sind durch die Globalisierung komplexe Lieferketten entstanden. Viele Produkte werden günstig im Ausland produziert. Brechen diese Lieferketten allerdings zusammen, ist der Dominoeffekt in der Wirtschaft riesig.

Kai Elsermann vom Münchner Hightech-Unternehmen "Riskmethods" analysiert für Kunden diese Risiken entlang der Lieferketten. Er sagt im BR-Politikmagazin Kontrovers: "Wir stellen fest, dass manche Unternehmen zumindest den Gedanken anregen, ob es nicht eine Umkehr von der grenzenlosen Globalisierung geben muss, um eben kürzere und damit auch weniger risikobehaftete Lieferketten im Portfolio zu haben." Vielleicht also wieder hin zum teureren Produkt, dafür aber mit kurzer, gesicherter Lieferkette?

  • Zum Artikel: "Folgen des Krieges: Weniger Globalisierung und Wohlstand"

Rohdraht für Paletten-Nägel fehlt

Manchmal sorgen schon ganz kleine Teile für riesige Produktionsprobleme: Zum Beispiel die Nägel, die in den Europaletten von Palettenunternehmer Tobias Lüffe-Baak stecken. "Das Rohmaterial kommt zum großen Teil aus der Ukraine, aus Belarus, aus Russland. Und dieser Rohdraht, den unsere Nagellieferanten dort kaufen, steht jetzt nicht mehr zur Verfügung." Von diesem Problem sei die Branche relativ überrascht gewesen. Ungefähr 70 Nägel stecken in einer Palette. Und Paletten sind im Moment so gefragt wie Klopapier zu Beginn der Pandemie. Seine Firma werde mit Anfragen bombardiert, so Lüffe-Baak. 40 bis 50 Anfragen täglich seien keine Seltenheit - Anfragen, die er absagen muss. Im Moment kann er gerade so seine Stammkunden beliefern.

Es fehlt an Nägeln genauso wie an Schnittholz. Auch das kam bis Kriegsbeginn unter anderem aus Belarus. Jetzt muss er seine Lieferketten umplanen. So unscheinbar Paletten auf den ersten Blick erscheinen, die gesamte Logistik ist von ihnen abhängig. "Viele Firmen, die irgendetwas produzieren, müssen ihre Ware auf Paletten stellen. Ob es Lebensmittel sind, Getränke, chemische Produkte oder Autozuliefererteile", sagt Lüffe-Baak. "Unsere gesamte Logistik weltweit steht eigentlich auf Paletten."

Eine Million Euro Mehrkosten für Paletten

Die Lieferengpässe in der Palettenproduktion treffen unter anderem die Lebensmittelbranche. Zum Beispiel die Milchwerke "Berchtesgadener Land". Denn die Milchprodukte werden auf Paletten an den Lebensmittelhandel ausgeliefert. Geschäftsführer Bernhard Pointner berichtet schon jetzt von einer massiven Preissteigerung: "Eine Europalette hat vor einem Jahr im Zukauf zehn Euro gekostet, aktuell kostet sie 25 Euro. Das heißt für unsere Molkerei: Über eine Million Euro Mehrkosten im Jahr nur für Europaletten." Und dann sei auch hier die Frage, ob "Berchtesgadener Land" die Paletten überhaupt bekommt.

 Pro Tag verwendet die Molkerei in Oberbayern 2.500 Europaletten. Insgesamt werden am Tag eine Million Liter Milch verarbeitet – 1.800 Milchbauern sind davon abhängig. Im Moment hat das Unternehmen genügend Paletten auf Lager. Auch dank der, wie Geschäftsführer Pointner sie nennt, konservativen Unternehmensführung: "Just in time ist für uns kein Thema, genauso wenig wie Outsourcing." Die Molkerei habe Vorräte bei Europaletten und Mehrweg-Glasflaschen angesammelt. "Wir versuchen schon, die Molkerei über diese schwierige Phase möglichst reibungslos zu bringen", sagt Pointner.

Die Corona-Pandemie und der Krieg in Europa könnten viele Unternehmen jetzt zum Umdenken zwingen: Weg von den günstigsten Produkten aus aller Welt, weg vom schnellen Wachstum und zurück zu den heimischen Märkten und zur Lagerhaltung.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!